Griechen sorgen sich über deutsche Debatte: Schlag unter die Gürtellinie
In Griechenland plädieren alle Parteien für einen Verbleib in der Eurozone. Ein Austritt steht nicht zur Diskussion. Die deutsche Debatte wird mit Skepsis betrachtet.
ATHEN taz | Auf dem Obst- und Gemüsemarkt im gutbürgerlichen Athener Stadtviertel Psychiko an einem heißen Septembernachmittag prüfen Hausfrauen und junge Familienväter die Auslagen der Marktstände mit frischen Melonen und Rosinentrauben.
Ein ZDF-Team dreht gerade am Tomatenstand, es geht um einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro. Plötzlich dreht ein Kunde völlig durch: "Verschwindet, ihr Gauner, was wollt ihr hier überhaupt?", schreit der kräftige Mann. Als er merkt, dass beide ZDF-Mitarbeiter Griechen sind, läuft er weiter, wild gestikulierend: "Verschwinden sollt ihr, ihr seid doch die größten Verbrecher der Welt", schreit er durch die Menge.
Fast alle Gemüsehändler schütteln den Kopf, immerhin ein Zeichen dafür, dass der durchgedrehte Mann mit seiner Meinung in der Minderheit bleibt. Heftige Bürgerreaktionen seien allerdings in der Tat kein Einzelfall, erklärt der Kameramann Panos Manolitsis.
"Wenn die Leute merken, dass wir für einen deutschen TV-Sender arbeiten, kommt es manchmal vor, dass wir richtig angefeindet und angepöbelt werden" sagt der freie ZDF-Mitarbeiter. Und was kann man dagegen unternehmen? "Na ja, die andere Wange hinhalten. Gar nichts. Ich darf doch nicht einen Streit im Namen des ZDF anfangen", sagt der erfahrene TV-Mann.
Auch dieses Beispiel zeigt, dass die Berichterstattung deutscher Medien in Hellas mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird und auch überempfindliche Reaktionen auslösen kann - vor allem dann, wenn es um einen Teil des griechischen Selbstverständnisses geht. Fast alle Griechen sind nämlich davon überzeugt, dass ihr Land eine feste Größe in Europa ist und auch bleiben sollte. Gerüchte über einen Ausstieg aus dem Euro werden deshalb als Schlag unter der Gürtellinie betrachtet.
Fast keine Alternative zur EU
Nicht nur die sozialistische Regierung von Giorgos Papandreou, auch die konservative Opposition und zahlreiche linke Splitterparteien sind eindeutig für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Die Partei der Demokratischen Linken erklärte sogar den Verbleib im harten Kern Europas zur "nationalen Aufgabe und Herausforderung". Nur die ehemals moskautreue Kommunistische Partei findet, Griechenland sollte am besten die EU verlassen, um eine zentral geplante Wirtschaft im Namen des Volkes einzuführen.
Auch die auflagenstärkste Athener Sonntagszeitung Proto Thema spricht sich klar für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone aus. Die Alternative sei eine Verarmung ohnegleichen: Der Wohlstand aller Griechen wäre zerstört, ihre Kaufkraft eliminiert, ein Ausstieg aus dem Euro würde alle Bankguthaben im Nu dahinschmelzen lassen.
Warum kommt dann die ganze Diskussion auf? "Alles nur Taktik", glaubt Stelios Katranidis, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Thessaloniki. "Finanzminister Venizelos wollte bluffen und mit der Troika neu verhandeln, dadurch hat er auch heftige Reaktionen und Szenarien um einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro praktisch mitprovoziert. Aber es ist doch so: Mit ausgestreckter Hand darf man sich kein Bluffspiel leisten" erklärte Katranidis im griechischen Fernsehen.
Rösler irritiert
Unterdessen sorgen auch die Aussagen deutscher Politiker für Irritationen in Griechenland, vor allem wenn sie miteinander verglichen werden. Da bittet die Bundeskanzlerin in einem Interview mit dem Tagesspiegel um mehr Geduld und Toleranz für Griechenland, und am nächsten Tag denkt Vizekanzler Philipp Rösler laut über einen Ausstieg aus dem Euro nach - der gleiche Vizekanzler wohlgemerkt, der voraussichtlich Anfang Oktober Athen besuchen wird, um für seine "Wachstumsoffensive für Griechenland" zu werben und sich als Retter des überschuldeten Landes feiern zu lassen. Ergibt das alles noch Sinn?
Vielleicht wäre es gar nicht verkehrt, sich nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten umzuschauen, glauben viele Finanzexperten. Und Zypern hat es bereits vorgemacht: Nach Presseberichten aus Nikosia führt der kommunistische Präsident Dimitris Christofias Verhandlungen mit Russland über ein Darlehen mit fünfjähriger Laufzeit zu einem Zinssatz von unter 5 Prozent.
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