„Global Soil Week“: Auf dem Boden der Tatsachen
Fruchtbare Böden werden weltweit immer knapper. Höchste Zeit zu handeln, sagen Wissenschaftler, denn ohne Boden gelingt kein Klimaschutz.
BERLIN taz | Wasser gilt als Ressource, um die Kriege geführt werden. Wälder sind so wertvoll, dass sogar Bierkonzerne mit ihrem Schutz werben. Nur die Ressource, auf der Wälder wachsen und die das Wasser speichert und reinigt, wird kaum wahrgenommen: fruchtbare Böden.
Doch das ändert sich gerade. Kaum eine Diskussion über Ressourcenpolitik kommt ohne den Hinweis auf die „unterschätzte Ressource Boden“ aus. Das Umweltbundesamt (UBA) gibt eine Publikation nach der anderen zum „Boden“ heraus, und diese Woche trifft sich alles, was in der Entwicklungs- und Umweltpolitik Rang und Namen hat, in Berlin, um auf der Global Soil Week über den Erhalt fruchtbarer Böden zu diskutieren.
Der Veranstalter, das Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) unter Exekutivdirektor Klaus Töpfer, hat den Zeitpunkt bewusst gewählt: Nächste Woche am Montag beginnt die neue Klimakonferenz in Doha. Wer das Klima schützen will, kommt am Thema Boden aber nicht vorbei.
wird vom Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies veranstaltet. Noch bis 22. November diskutieren dort Fachleute aus Poltik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, wie sich der Boden weltweit besser schützen lässt.
Auf dieser ersten derartigen Konferenz geht es um zum Beispiel darum, wie der Artenreichtum in Böden erhalten bleiben kann oder wie mit verseuchten Böden umgegangen werden sollte. Die Wissenschaftler und Poltiker diskutieren auch, wie „Dienstleistungen" der Böden beziffert werden können.
Münden soll der Kongress in einer Agenda for Action, die auf die Klimaverhandlungen in Doha ausstrahlt.
Auf der Global Soil Week sind unter anderem die Welternährungsorganisation (FAO), die UN-Entwicklungsorganisation (Unep), die EU-Komission, das Bundesentwicklungsministerium und das Umweltbundesamt vertreten.
Mehr Infos und ein Livestream unter www.globalsoilweek.org
Mit 4.000 Milliarden Tonnen speichert der Boden weltweit mehr Kohlenstoff, als Atmosphäre und Wälder zusammen. Gesunde Böden sind die Voraussetzung dafür, dass genug Nahrungsmittel für demnächst 9 Milliarden Menschen angebaut werden können. 70 Prozent des weltweiten Lebensmittelbedarfs werden derzeit auf Böden erzeugt, 30 Prozent der Nahrungsmittel kommen aus dem Wasser.
Boden ging verloren
Zudem müssen auf den Böden auch noch genug Pflanzen für Chemieindustrie und Energiewirtschaft wachsen, wenn die Industrie das Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen will. Dabei ist die Ressource Boden knapp: Nur 12 Prozent der Erdoberfläche sind landwirtschaftlich nutzbar, mit abnehmender Tendenz.
Laut IASS stehen jedem Menschen weltweit nur noch 0,22 Hektar fruchtbaren Bodens zur Verfügung, da Boden verloren ging und die Bevölkerung gewachsen ist. 1960 hatte jeder Mensch rechnerisch noch mehr als die doppelte Menge Boden.
Wie bedrohlich der Verlust in Heller und Pfennig ist, will die Initiative Economics of Land Degradation (ELD) zeigen. In dem Netzwerk arbeiten Wissenschaftler, Politiker und Unternehmen zusammen daran, den Bodenverlust zu beziffern.
Ihr Vorbild ist der frühere Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, der im sogenannten Stern-Report die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels berechnet und damit das Thema auf die internationale Agenda gebracht hat. Auf 70 Dollar pro Kopf und Jahr beziffert die ELD die durch Erosion von Ackerboden durch Wind und Wasser entstehenden Kosten.
Größter Feind des Bodens ist die Landwirtschaft
Ein solcher Report sei längst überfällig, mahnt Joachim von Braun an, der als Direktor des Bonner Zentrums für Entwicklungsforschung beim ELD mitmischt. Damit es nicht bei einem Bericht bleibe, sondern Aktionen für nachhaltige Bodennutzung herauskämen, müssten Bauern beteiligt werden. Größter Feind des Bodens ist die Landwirtschaft.
Doch befassen sich Kampagnen zum Bodenschutz in Deutschland meist damit, dass auf fruchtbarer Erde zu viele Straßen, Häuser und Gewerbegebiete gebaut werden. „13 Prozent der Landesfläche sind inzwischen versiegelt“, kritisiert Helmut Röscheisen, Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings. Im Schnitt gingen täglich 87 Hektar verloren.
Doch auf dem Boden gedeihen eben nicht nur Nahrungsmittel, sondern Böden sind auch Lebensraum, Wasser- und Kohlenstoffspeicher. Böden sind lebendige Organismen: Bis zu 10.000 Arten von Bakterien leben auf einem Quadratmeter gesunden Bodens.
Eine intensive Landwirtschaft zerstört jedoch natürliche Böden. „Äcker werden zulasten von Niedermooren oder Grünland ausgeweitet“, sagt Frank Glante, beim UBA verantwortlich für den Bodenschutz. Der größte Unfug sei, im Namen des Klimaschutzes Wiesen in Maisfelder umzuwandeln und den Mais dann als erneuerbare Energie zu verheizen. „Beim Umbruch etwa eines Niedermoores wird mehr Kohlendioxid freigesetzt, als durch Pflanzensprit und Biogas hinterher eingespart wird“, sagt Glante.
Dabei schützt Deutschland die Böden noch relativ gut; neben dem Bundesbodenschutzgesetz regeln Verordnungen, wer wann wieso Fläche nutzen darf. Doch von 27 EU-Staaten verfügen nur 9 über entsprechende Gesetze. Daher wären europäische Gesetze dringend notwendig, so Glante.
Millionen Hektar „Virtuelles Land" importiert
Die EU-Bodenrahmenrichtlinie aber wird von der Bundesregierung seit Jahren blockiert. Ihr Argument: Boden sei eine regionale Angelegenheit. Glante hält das für falsch: „Die Wirkungen unserer Produktion und unseres Konsums auf die Böden sind doch global.“ Zudem nutzen die Deutschen nicht nur den Boden vor ihrer Haustür, sondern importieren jährlich Millionen Hektar „virtuellen“ Landes.
So werden aus den USA vor allem Soja und Getreide eingeführt, aus Tschechien Getreide, Bier, Milch und Fleisch, Ungarn liefert Mais, Raps, Sonnenblumenkerne, aus China kommen hauptsächlich Obst- und Gemüsekonserven und Getreide.
Grafik: Deutschlands Netto-„Landimporte“ in Hektar (Quelle: seri.at)
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Dabei sei nicht der Handel das Problem, sagt der Agrarwissenschaftler von Braun, sondern der Handel mit Produkten, die zu Bodenverarmung führt. Dass beim Bodenschutz so viele Akteure mitreden müssten – aus der Landwirtschaft, der Umwelt- und Verkehrspolitik oder der Wirtschaft, sei „sehr viel mehr ein Problem als eine Chance“, seufzt IASS-Direktor Klaus Töpfer.
Interessenkonflikte bei der Nutzung der Böden müssten transparent gemacht und die Politik müsse zu Entscheidungen gezwungen werden. Viel Zeit bleibt nicht: In einem komplexen Zusammenspiel bilden abgestorbenen Pflanzen, Tiere und Mineralien fruchtbaren Boden: Für eine 2 Millimeter dicke Schicht brauchen sie hundert Jahre.
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