Gescheiterte rot-grüne Verhandlungen Berlin: Kompromiss ja, Koalition nein
Eine Lösung beim Ausbau der A 100 schien zum Greifen nah. Dennoch kommt die rot-grüne Koalition nicht zustande. SPD und Grüne geben sich gegenseitig die Schuld.
BERLIN taz | Mit versteinerter Miene betritt Klaus Wowereit den Pressesaal des Roten Rathauses. An der Seite des Regierenden Bürgermeisters von Berlin läuft sein enger Vertrauter Michael Müller. Mit knappen Worten gibt Müller bekannt, dass die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen gescheitert sind. "Wir haben deutlich Kompromissangebote gemacht. Aber es gibt einen Punkt, wo alle Gespräche mal beendet sind." Rot-Grün in Berlin hielt nicht einmal zwei Stunden.
Dreimal hatten Sozialdemokraten und Grüne bereits sondiert, bevor sie am Mittwoch zur ersten Runde der Koalitionsverhandlungen zusammenkamen. Der größte Brocken, der weggeräumt werden musste, war der umstrittene Weiterbau der Stadtautobahn A 100. Die Grünen sind strikt dagegen, die SPD sieht das 3,2 Kilometer lange Teilstück als wichtiges Infrastrukturprojekt.
Als die 15-köpfige Delegation der Grünen kurz vor elf am Roten Rathaus in Berlin-Mitte eintraf, stand vor der Tür ein Schild: "No entry. Geschlossene Veranstaltung". "Die wollen uns hier nicht haben", scherzte eine Grüne. Da haben alle noch gelacht. Zwei Stunden später scherzt keiner mehr.
Auch den Sozialdemokraten ist das Lachen vergangen. Björn Böhning, einstiger Jusochef und Wowereits Vordenker, steht bedröppelt da, als wäre er auf einer Beerdigung. Michael Müller legt die Stirn in Falten und bemüht sich um Professionalität. Kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September hatte Müller, der Vorsitzende der Berliner SPD, noch gesagt, dass es in seiner Partei eine "Sehnsucht nach Rot-Grün" gebe.
Reise in die Vergangenheit
Das sahen auch die Wählerinnen und Wähler so. Die übergroße Mehrheit von ihnen favorisierte Rot-Grün als Regierungsbündnis für die kommenden fünf Jahre. Dass die Hauptstadt nun von SPD und CDU regiert werden soll, wirkt wie eine Reise in eine überwunden geglaubte Vergangenheit. Im Jahr 2001 hatte Wowereit die Koalition mit der CDU beendet, die Berlin den Bankenskandal und einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen hat.
Geknickte Gesichter auch bei den Grünen. Wie bei einem dummen Streich ertappt stehen sie in der Ecke des Pressesaals, als Müller und Wowereit ihre Lesart des Scheiterns erklären. "Wir sind den Grünen entgegengekommen", sagt Wowereit und bedauert, dass die Grünen ihrerseits nicht zu bereits ausgehandelten Kompromissen gestanden hätten. Später wird der grüne Verhandlungsführer und Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann das gleiche von der SPD behaupten.
Tatsächlich war ein Kompromiss beim erbittert geführten Konflikt um die A 100 zum Greifen nahe. Nachdem Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) eine Umwidmung der 420 Millionen Euro für den Bau kategorisch ausgeschlossen hatte, wollte die SPD die Bundestagswahl im Jahr 2013 und eine neue Regierungsbildung abwarten. Erst wenn es auch dann keine Möglichkeit gegeben hätte, die Gelder für andere Infrastrukturprojekte auszugeben, hätte die SPD auf den Autobahnbau bestanden.
Bittere Pille für die SPD-Linken
Die Grünen wiederum hatten sich beim letzten Sondierungsgespräch am Dienstagabend bereit erklärt, in diesem Fall zunächst dem Bau eines Teilstücks zuzustimmen. Einen "qualifizierten Abschluss" nannte das Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann.
Doch gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen am Mittwochvormittag wurde wieder am Kompromiss heruminterpretiert. "Man muss sich schon fragen, ob die SPD wirklich eine Koalition mit den Grünen wollte", ärgert sich Ratzmann. Später wird Mark Rackles, ein Vertreter der SPD-Linken, die gleiche Frage in Richtung Grüne stellen.
Für die Linken in der Berliner SPD ist das Scheitern von Rot-Grün eine ganz bittere Pille. Erst vor einem Jahr mussten sie erleben, wie Klaus Wowereit bei einem Parteitag mit Rücktritt drohte, falls die SPD nicht für den Weiterbau der A 100 stimmte. Die politische Erpressung brachte eine knappe Mehrheit für Wowereit. Zuvor hatten sich die Sozialdemokraten gegen den Bau der A 100 ausgesprochen. Nun müssen die Betongegner in der SPD erleben, wie die Betonköpfe an ihrer Parteispitze mit der A 100 auch Rot-Grün gegen die Wand fahren.
Bitter ist das Ende von Rot-Grün nicht zuletzt auch für die linken Grünen aus Kreuzberg und Friedrichshain. Einerseits wären sie vom Weiterbau der Autobahn ganz unmittelbar betroffen gewesen. Andererseits aber war Rot-Grün für den linken Flügel um Parteichef Daniel Wesener die unumstrittene Wunschkonstellation.
Die CDU läuft sich warm
Mit dem Wunsch der Berliner nach einem solchen Bündnis und der Furcht vor Grün-Schwarz hatte Wesener im Wahlkampf auch die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast in die Defensive getrieben. Die hatte lange Zeit nicht ausgeschlossen, sich auch mit den Stimmen der CDU zur Regierenden Bürgermeisterin wählen zu lassen.
Nachdem die Grünen von Umfrage zu Umfrage weiter in den Keller gingen, zog Künast die Notbremse. Zu spät, wie manche nun meinen. Rot-Grün nämlich hätte im Berliner Abgeordnetenhaus nur eine Mehrheit von einer Stimme über der absoluten Mehrheit gehabt.
Mit einer so knappen Mehrheit, wurde SPD-Chef Müller nicht müde zu argumentieren, müssten die Grünen Verlässlichkeit zeigen. "Die SPD hat doch vielmehr Angst, dass die Mehrheit in den eigenen Reihen nicht steht", sagt dagegen ein Grüner. Wowereit und Müller hätten Rot-Grün von Anfang an nicht gewollt. "Die Verhandlungen haben sie nur geführt, weil es die Mehrheit im SPD-Landesverband wollte."
Nun wird die SPD Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufnehmen - ein Bündnis mit Linken und Piraten ist nur rein theoretisch möglich. "Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen", läuft sich der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel nach dem Scheitern von Rot-Grün warm. Seine Partei ist die Einzige, die sich wirklich über diesen Mittwoch in Berlin freuen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr