Gericht zu Funkzellenabfrage Dresden 2011: Handyschnüffeln offiziell rechtmäßig
Das Amtsgericht Dresden hat erklärt, dass die Abfrage von mehr als einer Millionenen Handydaten während Anti-Nazi-Demos erlaubt war. Zweifel bleiben angebracht.
BERLIN taz | Das Amtsgericht Dresden hat die Funkzellenabfrage vom Februar 2011 für rechtens erklärt. Sowohl die Anordnung als auch der Vollzug seien demnach rechtmäßig gewesen, wie die Staatsanwaltschaft Dresden am Freitagabend mitteilte. Das Gericht, welches seinerzeit auch die richterliche Anordnung zur Funkzellenabfrage gegeben hatte, hat damit jetzt die Anträge von acht Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Beschlüsse und ihrer Umsetzung abgewiesen.
Es habe ein hinreichender Tatverdacht bestanden, begründete das Amtsgericht das Urteil. Ohne eine Funkzellenabfrage hätten die „begangenen Straftaten (Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung) nicht oder kaum aufgeklärt“ werden können. Die Beschlüsse seien daher „erforderlich, geboten und angemessen“ gewesen und daher der „mildeste Eingriff in die Rechtspositionen unbeteiligter Dritter“.
Das lässt aufhorchen. Hatten doch die Behörden rund um die Naziproteste im Februar 2011 in Dresden mehr als eine Million Handyverbindungsdaten von mehr als 300.000 Menschen ermittelt. Darunter zahlreichen Unbeteiligten wie Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern. Monatelang wurden die Daten ausgewertet. In mindestens 45 Fällen wurden die Daten auch zweckentfremdet und für Verfahren gegen Blockierer verwendet. Diesen Fehler hatte die sächsische Regierung seinerzeit eingeräumt.
Die taz hatte den Skandal vor einem Jahr aufgedeckt. Daraufhin musste der Dresdner Polizeipräsident wegen mangelnder Informationspolitik seinen Hut nehmen, der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) sah sich massiver Kritik ausgesetzt. Datenschützer liefen Sturm. Bundesweit wurde über die Maßnahme diskutiert. Über die Rechtmäßigkeit der Funkzellenabfrage debattierte auch der Bundestag. Im Bundesrat ist seit Monaten ein Vorschlag zu einer Gesetzesverschärfung anhängig.
Seltsame Öffentlichkeitsarbeit
Die jetzige Entscheidung des Gerichtes überrascht daher. Schlicht ärgerlich ist zudem der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Laut Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft habe das Amtsgericht den Beschluss bereits am Mittwoch getroffen. Die Mitteilung wurde aber erst am Freitagabend verschickt. Für Nachfragen war – so kurz vor Pfingsten – niemand mehr zu erreichen. So bleiben Fragen offen. Etwa, weshalb nur von acht Antragstellern gesprochen wird. Mehrere Dutzend haben vor dem Amtsgericht einen derartigen Antrag gestellt. Darunter zahlreiche Journalisten.
Die Anwältin Kristin Pietrzyk hat ebenfalls einen Antrag vor dem Amtsgericht gestellt. Als Betroffene und als Vertreterin für vier Mandanten. Von dem Gerichtsbeschluss erfuhr sie am Freitagabend von der taz. „Das ist unglaublich", sagt sie.
Sie habe mehrfach Akteneinsicht beantragt, die sei ihr nie vollständig gewährt worden. Trotz des Gerichtsbeschlusses ist für sie eins klar: „Das ist noch nicht das Ende der Geschichte.“
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