Ergebnisse des Griechenland-Gipfels: "Banken haben sich behauptet"
Die Beteiligung der Banken ist Augenwischerei, findet der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Wichtige Fortschritte habe der Gipfel trotzdem gebracht, etwa die Abschaffung der Strafzinsen.
taz: Herr Bofinger, Sie haben Anfang der Woche zusammen mit den anderen Wirtschaftsweisen die "Blockade der europäischen Politik" in der Eurokrise kritisiert. Haben Sie nach dem Gipfel das Gefühl, dass diese Kritik gefruchtet hat?
Peter Bofinger: Ja, es ist ohne Frage einiges in Bewegung gekommen, und zwar insgesamt in die richtige Richtung.
Die Bewertungen schwanken ja von "kleiner Aufschub" bis "historischer Durchbruch". Wo auf dieser Skala liegen Sie?
In der Mitte. Es ist ein wichtiger, substanzieller Schritt, nicht nur Symbolpolitik. Aber wirklich zukunftsfähig aufgestellt ist der Euroraum damit immer noch nicht.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?
der 56-jährige Volkswirtschaftsprofessor aus Würzburg gehört seit 2004 zum Sachverständigenrat der Bundesregierung, den sogenannten fünf Weisen. Berufen wurde er auf Empfehlung der Gewerkschaften.
Ganz entscheidend ist, dass Griechenland künftig Geld zu niedrigeren Zinsen bekommt. Die unsinnige Regelung, dass das angeschlagene Land an die anderen Mitgliedstaaten auch noch Strafzinsen zahlen muss, ist endlich vom Tisch. Natürlich muss Griechenland konsolidieren, aber wenn sie das richtig machen, dann muss das auch durch niedrige Zinsen gefördert werden. Wenn jemand einen schweren Herzinfarkt hat, dann bestraft und beschimpft man den doch auch nicht, sondern schafft ihn auf die Intensivstation - selbst wenn er vorher vielleicht zu viel geraucht und getrunken hat.
Wie beurteilen Sie die neue Rolle des Euro-Rettungsschirms?
Das ist der zweite positive Ansatz. Der Stabilitäts- und Rettungsfonds (EFSF) kann in Zukunft viel flexibler agieren. Bisher war das praktisch eine Feuerwehr, die erst ausrücken durfte, wenn das Haus schon lichterloh brennt. Künftig kann man sie auch schon rufen, wenn es im Keller nach Rauch riecht.
Was heißt das konkret?
Es gibt jetzt die Möglichkeit, Geld vom EFSF zu erhalten, sobald sich an den Kapitalmärkten Spannungen für einzelne Länder auftun. Wenn Investoren nervös werden, kann man die entsprechenden Anleihen einfach vom Markt nehmen.
Deutschland ist besonders stolz darauf, gegen starken Widerstand die Beteiligung der privaten Banken an der Griechenland-Rettung durchgesetzt zu haben. Sehen Sie das auch so?
Nein, überhaupt nicht. Diese angebliche Beteiligung des privaten Sektors halte ich für reine Augenwischerei.
Wieso? Die Regierungen nennen doch sehr konkrete Summen, auf die die Banken verzichten.
Aber man muss genau hinsehen, wie die zustande kommen. Es geht dabei ja um zukünftige Forderungen. Um mit denen arbeiten zu können, muss man sie auf den heutigen Wert runterrechnen, das nennt man abdiskontieren. Und nimmt dafür normalerweise einen Zinssatz für sichere Anleihen, das wären rund 3 Prozent. Die hohen Zahlen, dass der Bankensektor auf 21 Prozent verzichtet, kommen nur zustande, weil mit einem völlig unrealistischen Diskontierungszinssatz von 9 Prozent gerechnet wurde. Ein extrem hoher Zinssatz führt dazu, das künftige Zahlungen extrem wenig wert sind.
Wie sähe das Ergebnis mit dieser Annahme aus?
Ich habe es noch nicht durchgerechnet; aber wenn bei den unrealistischen Annahmen 20 Prozent rauskommen, dann ist die reale Beteiligung vermutlich eher null.
Aber ein Teil der privaten Beteiligung erfolgt doch durch einen Umtausch in neue Papiere mit geringerem Wert und niedrigeren Zinsen. Ist das nicht ein realer Verzicht?
Nein. Die meisten griechischen Anleihen, die jetzt fällig werden, stammen aus dem letzten Jahrzehnt und haben Zinssätze von etwa 4 Prozent. Wenn die jetzt in neue, abgesicherte Papiere zu 4,5 Prozent umgewandelt werden, dann ist das kein Verzicht, sondern ein gutes Geschäft. Die andere Möglichkeit ist, dass es einen Umtausch mit einem Abschlag auf den Wert gibt. Aber dafür gibt es dann Zinsen von 6,5 Prozent, und das ist ebenfalls eine Rendite von rund 4 Prozent. Betriebswirtschaftlich gesehen erkenne ich keine echte Beteiligung des Privatsektors. Die Banken haben sich exzellent behauptet.
Warum hat die Politik auf einen echten Schuldenschnitt verzichtet?
Ein Grund ist sicher, dass die Banken eine starke Lobby haben. Allerdings ist es auch nicht von der Hand zu weisen, dass es durchaus eine Ansteckungsgefahr für weitere Staaten gegeben hätten, wenn man da radikal rangegangen wäre. Jetzt können die Anleger beruhigt sein: Wenn man selbst im größten Problemfall Griechenland so freundlich behandelt wird, kann man den anderen Dingen ganz gelassen entgegensehen.
Der zentrale Grund für die Probleme der Eurozone sind die Handelsungleichgewichte und die unterschiedliche Lohnentwicklung. Aber dieses Thema wird nicht angegangen.
Das Programm enthält schon Aussagen dazu, dass die griechische Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden soll. Aber was daraus konkret folgt, ist offen.
Aber Wettbewerbsfähigkeit ist doch immer relativ. Ist das Lohndumping und die Exportorientierung der Deutschen nicht das größere Problem?
Ja, Deutschland war in der Vergangenheit ein Problem, nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa. Aufgrund unserer kaum steigenden Löhne trat die Binnenachfrage über ein Jahrzehnt auf der Stelle und das hat nicht unwesentlich zu den Ungleichheiten im Euroraum beigetragen. Wenn alle anderen in den vergangenen Jahren die Löhne auch nicht erhöht und damit weniger konsumiert hätten, wären im Euroraum die Lichter ausgegangen. Die Lohnpolitik hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren zwar gebessert, aber der Leistungsbilanzüberschuss ist noch immer viel zu hoch.
Aber mit solchen Vorschlägen, die Veränderungen in Deutschland bedeuteten, halten sich auch die Wirtschaftsweisen zurück.
Da ist was dran. Wir haben in dieser Frage keine einheitliche Meinung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!