Einwanderung: Länder machen Deutsche
Schleswig-Holstein legt Gesetz zur Abschaffung des Optionszwangs vor. Der Entwurf zielt gegen das "bürokratische Monster" des Bundesinnenministers.
HAMBURG taz | Einwandererkinder mit mehreren Staatsbürgerschaften sollen sich nicht mehr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen, sobald sie erwachsen sind. Einen Gesetzentwurf, der die Aufhebung dieses „Optionszwangs“ vorsieht, stellte der schleswig-holsteinische Innenminister Andreas Breitner (SPD) am Dienstag in Kiel vor.
Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wollen den Entwurf am 7. März in den Bundesrat einbringen. Die drei Länder werden rot-grün regiert – im Norden unter Beteiligung der Minderheitenpartei SSW. Sie setzen mit dem Vorstoß Thomas de Maizière (CDU), den Innenminister der schwarz-roten Koalition im Bund unter Druck, der ein anders Vorgehen will.
Seit dem Jahr 2000 erhalten in Deutschland geborene Kinder von Zuwanderern die deutsche Staatsbürgerschaft zusätzlich zu der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern – bei von 1990 bis 1999 Geborenen auf Antrag. Zu ihrem 18. Geburtstag bekommen sie Post von der Ausländerbehörde, mit der Aufforderung, sich bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Andernfalls verlieren sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft.
Hamburg hat die Optionspflicht ausgesetzt. Seit 2008 gab es 565 Betroffene, 261 entschieden sich für den deutschen Pass, sieben verloren ihn.
Niedersachsen empfiehlt, vorsorglich die Doppelstaatlichkeit zu beantragen. Die Behörden sollen diese Anträge nicht ablehnen.
Schleswig-Holstein verfährt ähnlich und versucht, die Optionsverfahren nicht zu beschleunigen. Am 31. 12. 2012 waren hier 145 Menschen im Verfahren, 69 entschieden sich für den deutschen Pass, keiner für einen ausländischen, zwei verloren die deutsche Staatsangehörigkeit.
Bremen hat die Bedingungen für den Doppelpass gelockert. 2014 müssen sich 84 Menschen entscheiden, seit 2008 haben acht den deutschen Pass verloren.
Da sich die Regelung auf die Geburtsjahrgänge ab 1990 bezieht, konnte ihr Effekt im vergangenen Jahr erstmals bilanziert werden. 248 Jugendliche verloren nach Angaben der Bundesregierung ihre deutsche Staatsbürgerschaft, weil sie sich nicht entschieden. Bei einer Befragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 2011 entschieden sich 98 Prozent für die deutsche Staatsangehörigkeit – auch wenn es einem Drittel lieber gewesen wäre, sich nicht entscheiden zu müssen.
Breitner und seine Kollegen wollen, dass ihnen diese Entscheidung erspart bleibt. Die Optionsregelung diskriminiere eine Generation von jungen Deutschen, auf die die Gesellschaft in Zukunft angewiesen sein werde, und stürze die jungen Leute in „vermeidbare Gewissenskonflikte“, sagte Breitner.
Er wandte sich ausdrücklich gegen den Gesetzentwurf von Bundesinnenminister de Maizière, der ja eine Koalitionsvereinbarung zur Abschaffung des Optionszwangs umsetzen soll. Demnach sollen in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder zwei Pässe haben können. Aufgewachsensein bedeutet nach de Maizières Lesart, dass man bis zum 23. Lebensjahr zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat, vier davon zwischen dem zehnten und 16. Lebensjahr.
Dafür müssen die Betroffenen Meldebescheinigungen vorlegen. Alternativ können sie einen deutschen Schulabschluss nachweisen. So werde verhindert, dass junge Leute, die sich „in der prägenden Phase der allgemeinen Schulpflicht nicht in Deutschland aufgehalten haben“, einen Doppelpass bekämen, heißt es in dem Entwurf.
Breitner bezeichnete diesen Vorschlag als „bürokratisches Monster“. Die vorgesehenen Nachweise seien nicht praktikabel oder zu aufwendig. „Die persönliche Unsicherheit bleibt“, sagte Breitner. Familien werde es schwer gemacht, beruflich Zeit im Ausland zu verbringen, wenn sie dadurch die mehrfache Staatsangehörigkeit ihrer Kinder in Gefahr bringen könnten.
70 Prozent derjenigen, die wählen müssen, besitzen neben der deutschen die türkische Staatsangehörigkeit. EU-Bürger in Deutschland können heute schon zwei Pässe haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands