Kulturelle Einflussnahme in Hamburg: Vattenfall-Kuratorin macht Druck
Die Organisatorin der Vattenfall Lesetage bedrängt Gäste der alternativen Lesetage. Sie machten sich mit Linksradikalen gemein.
HAMBURG taz | Die Kuratorin der Vattenfall Lesetage hat versucht, die Gäste der „Erneuerbaren Lesetage“ unter Druck zu setzen. Wie die Veranstalter bestätigten, verschickte die Kultur-Promoterin Barbara Heine Briefe, in denen sie Lesungsteilnehmern wie Roger Willemsen und Jakob Augstein ins Gewissen redete.
Sie sollten es sich überlegen, ob sie zu Totengräbern eines traditionsreichen Literaturfestivals werden und sich mit einem Veranstalter mit Kontakten zur autonomen Szene gemein machen wollten. Außerdem hat Vattenfall direkt versucht, die Öffentlichen Bücherhallen umzustimmen, die sich entschieden hatten, an den Erneuerbaren Lesetagen statt an den Vattenfall Lesetagen teilzunehmen.
„Lesen ohne Atomstrom – die erneuerbaren Lesetage“ gehört zu einer Reihe von Alternativprogrammen zu den Vattenfall Lesetagen und wird von dem städtischen Versorger Hamburg Energie unterstützt.
Es gibt drei Gegenveranstaltungen zu den Vattenfall Lesetagen, die noch bis zum 25. April laufen.
"Lesen ohne Atomstrom - die erneuerbaren Lesetage" finden zum dritten Mal statt und u.a. hätten Iris Berben und Roger Willemsen im Schauspielhaus Texte über Widerstand, Ungehorsam und Empörung lesen sollen.
Die "Lesetage selber machen - Vattenfall Tschüss sagen" gehen in diesem Jahr in die zweite Runde.
Die HEW-Lesetage wurden dieses Jahr ins Leben gerufen. HEW steht für Hamburger Energie Wechsel.
Allen Gegenprogrammen liegt eine Kritik an der Geschäftspolitik von Vattenfall zu Grunde. Der Energiekonzern ist an den Atomkraftwerken Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf beteiligt; er baut ein großes Kohlekraftwerk in Hamburg Moorburg und betreibt Braunkohlekraftwerke, die als besonders klimaschädlich gelten.
„Völlig unabhängig und frei“
Die Kritiker werfen Vattenfall vor, sich mit dem Sponsern von Ereignissen wie dem Radrennen Cyclassics und den Lesetagen ein grünes Mäntelchen umhängen zu wollen, also Greenwashing zu betreiben. Vattenfall verweist darauf, dass die Lesetage auf die Zeit vor dem Verkauf der ehemaligen Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) an Vattenfall zurückgingen und vom Engagement besonders interessierter Mitarbeiter lebten.
Seit elf Jahren werden die Lesetage von Barbara Heine, Inhaberin der Agentur „Heinekomm“, kuratiert. Die Agentur konzipiere „Formate für Literatur und Medien“. In den Briefen, die Heine vor einigen Wochen verschickte, spricht sie von einem „Herzensprojekt“. Vattenfall ermögliche es, „völlig unabhängig und frei ein Festivalprogramm zu gestalten“. Dabei müsse sie sich keinerlei Moden unterwerfen und auch nicht möglichst publikumswirksame Events auf die Beine stellen.
Den Erneuerbaren Lesetagen wirft Heine vor, sie instrumentalisierten die Kultur, um Kultur zu zerstören – „eine Kampfmethode, die in Deutschland leider auf eine traurige Tradition zurückblickt“. Der Verein „Kultur für alle“, Organisator der Erneuerbaren Lesetage, stehe der autonomen Szene nahe, deren Vertreter auch Gewalt rechtfertigten.
„Alle diskreditierenden Behauptungen entbehren jeder Grundlage“, wehrt sich Heiko Böttner, der Vorsitzende des Fördervereins. Dieser habe rechtliche Schritte gegen Heine eingeleitet. Der Kulturmäzen Frank Otto spricht von „an Erpressung grenzenden Übergriffen gegen Künstler und Förderer“. Die Verleumdung des Kulturvereins sei beschämend und inakzeptabel.
Nicht im Auftrag Vattenfalls?
Hella Schwemer-Martienßen, die Direktorin der Öffentlichen Bücherhallen (HÖB), wundert sich über die Kritik an den Erneuerbaren Lesetagen. „Wir haben nie die Konfrontation gesucht“, sagt sie. Innerhalb der Initiative hätten unterschiedliche Meinungen ihren Platz. Sie verstehe nicht, warum versucht werde, dieses Projekt zu diskreditieren.
Die Entscheidung zu wechseln, sei aufgrund der Stimmung in der Belegschaft gefallen und von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) anerkannt worden. „Auf mich ist kein politischer Druck ausgeübt worden“, versichert Schwemer-Martienßen. Allerdings sei Vattenfall mit einer fünfköpfigen Delegation erschienen, um die HÖB umzustimmen. Auch habe Vattenfall über den SPD-Fraktionschef Andreas Dressel vorgefühlt, ob an der Entscheidung etwas zu ändern sei. „Ich habe keinen Druck ausgeübt“, versichert Dressel.
Die Firma Vattenfall beteuert, sie habe bis vor Kurzem nichts von Heines Briefen gewusst. Sie seien nicht im Auftrag Vattenfalls verfasst worden und widersprächen auch dem Standpunkt des Unternehmens: „Wir betrachten die anderen Literaturfestivals als Bereicherung“, sagt Firmensprecher Stefan Kleimeier. Vattenfall habe lange mit den HÖB zusammengearbeitet. Daher sei es normal, in einem Gespräch nach einer Basis für eine weitere Kooperation zu suchen.
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