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Der politische WM-CheckWas läuft im Schlandestag?

Während die Deutschen Fußball gucken, beschließt der Bundestag in Windeseile unbeliebte Gesetze. Wahrheit oder Verschwörungstheorie?

Nutzten die Abgeordneten die Gunst der Stunde? Bild: imago/Metodi Popow

Die Theorie klingt zu gut, um falsch zu sein. Während die Deutschen fußballselig vor dem Fernseher hocken, „Schland!“ brüllen und die Kanzlerin in Brasilien mit Poldi posiert, tut die Regierung böse Dinge. Sehr böse Dinge. Sie winkt in Windeseile unschöne Gesetzesvorhaben durch, von denen die Bevölkerung nichts mitbekommen soll. Wahrheit oder Verschwörungstheorie?

Das berühmteste Beispiel für diese These liefert die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent im Jahr 2006. Ein extrem umstrittenes Projekt der damaligen Großen Koalition. Welcher Bürger zahlt schon gerne mehr Steuern auf Chips, Bier und schwarz-rot-goldene Winkelemente?

Union und SPD schleusten das Vorhaben damals in der Tat ungewöhnlich schnell durch das Parlament, die entscheidende Sitzung wurde eigens vorgezogen. Dennoch passt die Sache nicht zur These der den Fußball ausnutzenden Politik. Schließlich fiel der Beschluss im Bundestag schon Ende Mai, und Deutschland versank erst ab dem 9. Juni im kollektiven Jubel, der als „Sommermärchen“ in die Geschichte einging. Drei Wochen Zeit für böse Medienberichte über die Mehrwertsteuer. Es gab sie zuhauf.

Wie aber sieht es bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft aus? Die parlamentarische Sommerpause rückt näher, der Bundestag tagt nur noch in dieser und der nächsten Woche. Eine tolle Chance für die Koalition also, Ungeliebtes im Windschatten das Fußballfiebers zu beschließen. Höchste Zeit für den politischen WM-Check der taz.

FRACKING: Eigentlich wollte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) noch im Juni ein Gesetz ins Kabinett einbringen, das die Förderung von Öl und Gas mit dem Frackingverfahren regelt. Die Nichtregierungsorganisation Campact wittert bereits ein „dreistes Foul-Spiel“. Gabriel versuche, sein Gesetz „im Windschatten der WM-Begeisterung schnell und heimlich“ durchzubringen. Gegen diese Behauptung sprechen drei Punkte.

Erstens ist bisher nicht klar, was Gabriel eigentlich vorhat: Plant er strenge Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Fracking verhindern? Oder will er nur Trinkwasserschutzgebiete ausnehmen, Fracking also de facto im Großteil des Bundesgebiets erlauben? Zweitens ist ein Kabinettsbeschluss noch lange kein Gesetz. Das wochenlange Verhandeln im Bundestag stünde dann erst an, es würde sich bis in den Herbst ziehen.

Drittens hakt Gabriels Zeitplan. Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen, will die Technologie mit aller Macht verhindern. Den Konflikt mit der starken SPD-Frau muss Gabriel erst lösen, bevor er seinen Entwurf vorlegt. Eine Abstimmung mit den anderen Ministerien sei noch nicht eingeleitet, sagt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. „Eine Kabinettbefassung wird zeitnah angestrebt.“

Das heißt übersetzt: Vor der Sommerpause passiert nichts mehr. Sorry, Campact.

Verschwörungs-Faktor: 0

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PKW-MAUT: Beim Lieblingsprojekt der CSU herrscht großes Rätselraten. Wann legt Verkehrsminister Alexander Dobrindt endlich einen Gesetzentwurf vor? Schließlich war eine Pkw-Maut für Ausländer einer der Wahlkampfkracher der Bayern. Dobrindt wird’s mit diesem Herzensprojekt aber wohl nicht mehr in die Fußballphase schaffen.

Sein Ministerium plant, den Maut-Entwurf erst im September ins Kabinett einzubringen. Selbst wenn die Fachreferenten in Dobrindts Haus schon etwas in petto hätten, würde es dieser Entwurf bis zur Sommerpause nicht mehr durch die notwendige Abstimmung mit den anderen Ministerien schaffen. Deshalb: Der Fußballgenuss wird nicht durch die Pkw-Maut getrübt.

Verschwörungs-Faktor: 0

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MINDESTLOHN: Der Mindestlohn wird am 4. Juli vom Bundestag verabschiedet. Ab Januar 2015 müssen Betriebe ihren Angestellten dann 8,50 Euro in der Stunde zahlen, Ausnahmen gelten für Kurzzeitpraktikanten und Langzeitarbeitslose, die in den Job zurückkehren. Die SPD bewirbt den Mindestlohn als Glanzstück, dieser war ihre wichtigste Bedingung für die Koalition mit der Union.

Die schnelle Verabschiedung ist deshalb keine Überraschung. Dass sie während der Fußball-WM passiert, ist den Umständen geschuldet. Die SPD hat kein Interesse daran, ihr Lieblingsthema totzuschweigen oder im Fußballfieber zu „verstecken“. Ganz im Gegenteil – die Sozis werden sich eher über die WM-Parallele ärgern.

Verschwörungs-Faktor: 0

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HAUSHALT: In dieser Woche wird sich der Bundestag vor allem mit dem Haushalt für 2014 beschäftigen. Die großen Brocken haben die Haushaltsexperten der Fraktionen schon vor zwei Wochen aus dem Weg geräumt. Union und SPD mussten dabei ein bisschen tricksen und die Steuerschätzung nach oben korrigieren, um die geplante Neuverschuldung von 6,5 Milliarden Euro halten zu können.

Das ist aber alles erledigt, wie gesagt. Ab heute geht es dann im Bundestag um die Einzeletats der Ministerien. Totlangweilig, selbst Honduras gegen die Schweiz ist spannender.

Verschwörungs-Faktor: 0

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ERNEUERBARE-ENERGIEN-GESETZ: Die Reform desselben verabschiedet der Bundestag am kommenden Freitagmorgen. Das letzte Vorrundenspiel der Deutschen gegen die USA findet am Vorabend statt. Ökologisch interessierte Fußballfans können sich also in aller Ruhe den Feinheiten der EEG-Reform widmen. Und ökologisch interessierte Journalisten tun das sowieso.

Der Gesetzentwurf der Regierung sieht vor, die Vergütungen für Strom aus Wind an Land und Biomasse deutlich abzusenken. Die Grünen sehen darin einen „Anschlag auf die Energiewende“. All das ist schon seit Monaten bekannt.

Verschwörungs-Faktor: 0

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LEBENSVERSICHERUNGEN: Menno, wo ist sie denn nun, die große Fußballverschwörung der Regierung? Vielleicht hier?

Heute berät der Bundestag über einen Gesetzentwurf „zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte“. Das Thema betrifft immens viele BürgerInnen: Die Deutschen halten rund 90 Millionen Versicherungsverträge (Stand: 2012).

Die Versicherungswirtschaft klagt seit Längerem über die niedrigen Zinsen, die es den Firmen schwer machten, die in Verträgen garantierten Zinserträge für Kunden zu erwirtschaften. Die Reform der Koalition wird den Versicherern eine andere Gewinnverteilung erlauben und viele Kunden schlechter stellen. Und: Nach dem Aufschlag diese Woche will die Koalition das Gesetz nächste Woche verabschieden – verdächtig schnell.

Der Regierung komme es „sicher nicht ungelegen“, wenn diese Debatte angesichts der Fußballbegeisterung nicht ganz so hohe Wellen schlage, sagt Petra Sitte, die Fraktionsgeschäftsführerin der Linkspartei.

Verschwörungs-Faktor: 3

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FAZIT: Die These, die Regierung beschließe absichtlich während der Fußball-WM unbeliebte Gesetze, ist Unfug. Selbst die Opposition teilt sie nicht. „Wir können während der Zeit der Fußball-WM den Parlamentsbetrieb nicht einstellen“, sagt Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. „Andere gehen auch ihrer normalen Arbeit nach.“

Ihre Kollegin von der Linkspartei-Fraktion sieht das ähnlich. Petra Sittes Fazit lautet: „Es dürfte für die Koalition vor allem wichtig sein, ihre Vorhaben vor der parlamentarischen Sommerpause abzuschließen.“

Manche Theorien klingen eben doch zu gut, um wahr zu sein.

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16 Kommentare

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  • "... Der Innenausschuss des Bundestages änderte das ursprünglich verbraucherfreundliche Regelwerk darauf hin und verschärfte die Regelung. ... Drei Tage vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag legten Hans-Peter Uhl (CSU) und Gisela Piltz (FDP) den geänderten Gesetzentwurf vor. .... Am späten Abend des 28. Juni 2012 beschlossen die Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens ohne weitere Aussprache in geänderter Form. ...Es wurde festgehalten, dass „[…] zum Zeitpunkt der Abstimmung des EM-Halbfinalspiels Deutschland – Italien kaum noch Abgeordnete anwesend“ waren. ....Die Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau erklärte die Abstimmung für beschlussfähig, obwohl nur 26 Abgeordnete anwesend waren." (zitiert aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Meldegesetz)

    Dies ist kein Beleg für eine Verschwörungstheorie, zeigt aber, dass interessierte Politiker sich der Besonderheiten solcher Ereignisse bewußt sind, dass es für Parlamentarier wichtigere Dinge als Politik gibt und dass Journalisten intensiver recherchieren sollten, auch auf die Gefahr hin, dass sie ihre eigne These dadurch widerlegen.

    Jörg Herrmann

  • Wir haben uns auf eine ganze Reihe von Qualitätsmedien berufen, dass Sigmar Gabriel während WM Fracking-Gesetz ins Kabinett einbringen will. Wie dem auch sei – an der sachlichen Kritik ändert es nichts: Gabriel will konventionelles Fracking per Gesetz weiter erlauben. Was wir brauchen ist ein Verbot für alle Formen dieser Hochrisiko-Technologie, so wie es Barbara Hendricks fordert. Mehr im Campact-Blog: http://blog.campact.de/2014/06/fracking-spd-versucht-ablenkungsmanoever/

  • Wow! Ulrich Schulte stellt verblüffende Thesen auf, die er dann nach und nach widerlegt. Die Abteilung "Parlamentsbüro" bei der taz produziert seit Monaten einen journalistischen Flop nach dem anderen und ihr Leiter hat wirklich nichts Besseres zu tun? Solche Sorgen möcht ich auch mal haben.

  • Müsste es nicht eigentlich Schlandtag heißen und nur die Bulähs betreffe? Für das oberparlamentarische Berliner Bohei schlage ich vor: Schleichstag. Passt doch ganz gut zur Gesetzes-Rush-hour während der Schlandgröhlerei. Geht alles ohne Schleichstagsbrand.

  • "Die These, die Regierung beschließe absichtlich während der Fußball-WM unbeliebte Gesetze, ist Unfug. Selbst die Opposition teilt sie nicht."

     

    Welche Opposition???

  • Es wäre wirklich erfreulich, wenn die TAZ ihre Vorliebe für dieses sinnlose Raabsche Kunstwort "Schland" mal bewältigen könnte. Nennt es irgendwie, egal, notfalls auch nur profan "Deutschland", aber hört auf mit diesem Unfug!

  • Ein Glück, jetzt können wir uns wieder voll auf den FIFA Zirkus konzentrieren.

  • Theorien sind nur so lange Theorien, bis sie bewiesen werden. Auch Galileo Galilei hat ganz schön lange warten müssen.

    • @Thomas Schöffel :

      Es ist eher umgekehrt: Theorien halten, bis sie widerlegt werden (und sind nur gültig wenn sie widerlegbar gibt und es überhaupt von vornherein Gründe gibt, sie für wahr zuhalten).

    • @Thomas Schöffel :

      ...aber nicht jede Theorie wird je bewiesen. Deshalb ist es klug, unbewiesene Theorien auch tatsächlich als solche - und nicht als "noch nicht durchgesetzte Wahrheit" - zu behandeln. Ansonsten spricht man dann auch richtigerweise nicht von "Theorien" sondern von "Glaubenssätzen"

       

      Manche Theorien werden übrigens sogar in der Realität widerlegt. Genau das will dieser Artikel auf sachliche, - ohne die taz beleidigen zu wollen: - geradezu neutrale Weise darstellen. Aber das reicht natürlich nie und nimmer, um um die Theorie gewordene Wahrheit zu unterdrücken...

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Natürlich nutzen die den reduzierten Aufmerksamkeitshorizont während der WM.

    Aber ich schätze mal, es gibt noch genug Gutgläubige, die die Regierung für rechtschaffene Leute halten.

    • @90191 (Profil gelöscht):

      Genau. Es ist alles Glaubensfrage. Wen interessiert schon, wie wenig tarnbedürftig die Entscheidungen während der WM faktisch sind (davon handelt dieser Artikel), wenn man unumstößliche Thesen hat, die das Gegenteil besagen...

       

      Es hat auch nicht notwendigerweise mit Rechtschaffenheit zu tun. Die VT vom Durchmogeln von unpopulären Entscheidungen unter dem WM-Tarnschirm ist so weit verbreitet, dass selbst der fieseste Hibnterzimmer-Akrobat einsehen muss, dass es eben doch genug Öffentlichkeit gibt, die ihm während dieser Zeit auf dei Finger schauen.

       

      Insofern sei dem kritischen Journalismus hier mal eine großer Dank ausgesprochen, insbesondere wenn er so fair daherkommt und eingesteht, dass es a7usnahmsweise mal keine Missetaten der pösen Regierenden zu berichten gibt.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        Wie naiv .

         

        Das sind völlig normale Strategien der politischen "Öffentlichkeitsarbeit", die da ablaufen und werden von mir auch genau so bewertet. Kleinvieh macht auch Mist, dazu braucht es keine großartige Verschwörung.

    • @90191 (Profil gelöscht):

      Die taz schreibt einen ganzen Artikel, um die These ausführlich zu widerlegen, und alles, was Ihnen dazu einfällt, ist "doch!"? So geht das aber nicht, Linksnormal!

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @Megestos:

        Die TAZ hätte sich das sparen können. Zu jedem Argument gibt´s ein entkräftendes Gegenargument. Die Frage ist in solchen Diskussionen nicht, wer die Wahrheit widergibt, sondern, wer aus welchem Interesse welche Argumente vorbringt. Oder was glauben Sie, warum in jedem Streit jeder nur sich selber Recht gibt, auch wenn nicht beide Parteien gleichzeitig Recht haben können?

         

        Sie können ihren Glauben an die saubere Elite ja gerne aufrecht erhalten, immerhin glauben heutzutage ja nicht wenige Menschen sogar an Ufos, Kreationismus, die BRD-AG und noch bizarreren Quatsch. Oder vielleicht gehören Sie selbst ja zu den Profiteuren der Berliner Politik, wer weiß das schon?

        • @90191 (Profil gelöscht):

          @Linksnormal

          Ein Streit, in dem jeder nur sich selbst Recht gibt, ist keine Diskussion. Selbstverständlich geht bei der Frage, ober der Bundestag im Schatten der WM "unpopuläre" Gesetze im Eiltempo erlässt, um Wahrheit. Nämlich die wahre Antwort auf die Frage, ob der Bundestag tatsächlich eine solche Strategie erkennen lässt, ob eine solche Strategie überhaupt einen Effekt hätte.

           

          Klar gibt es zu jedem Argument ein Gegenargument - aber nicht immer ein korrektes. Nur weil man Unwahrheiten behaupten kann, erledigt sich nicht die Frage nach der Wahrheit. Es mag ja bequem sein, nur nach Interessen zu fragen, anstatt Argumente zu prüfen, aber produktiv ist es nicht.

           

          Die Frage "wer aus welchem Interesse welche Argumente vorbringt" ist übrigens genauso eine Frage nach Wahrheit. Sie können sich einer argumentativen Diskussion nicht einfach entziehen, indem Sie behaupten, Wahrheit und Korrektheit von Argumenten seien egal - das wäre reinste Sophisterei.

           

          Das "die Elite" "sauber" sei, hat übrigens keiner hier gesagt. Die taz, Normalo und ich behaupten lediglich, dass es empirische und strukturelle Argumente gegen die vermeintliche WM-Strategie der Bundesregierung gibt. Wenn Sie diese Argumente nicht überzeugend finden, dann sollten Sie das begründen - stattdessen behaupten Sei, sachliche Argumente seien irrelevant, und greifen mich und Normalo ad hominem an.