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Debatte Nato und AfghanistanDer zweite Irak

Kommentar von Thomas Ruttig

Alle sprechen vom Truppenabzug aus Afghanistan bis 2014 und suggerieren, damit wäre der Krieg beendet. Doch der wird weitergehen, wie im Irak.

Das Übergabekonzept der Nato-Staaten ist überhastet. Bild: reuters

D ie Regierungen der Nato-Staaten sitzen derzeit in Chicago beim Gipfeltreffen zusammen, und Afghanistan ist eines der zentralen Themen auf der Tagesordnung. Anlass genug, gleich mal vorab eine Sache richtigzustellen: Ende 2014 ist nicht das Datum, an dem die letzten westlichen Truppen Afghanistan verlassen werden. Lassen Sie sich nicht täuschen.

In vielen Medien wird zwar immer wieder verkürzt von einem Truppenabzug gesprochen, doch liest man die offiziellen Verlautbarungen genau, dann ist dort lediglich von einem Ende der Kampfeinsätze die Rede und von einem „drawdown“, also einer Verminderung der Truppenzahl, niemals von einem vollständigen Abzug. Was also wird wirklich passieren bis zum Ende der „Übergabe der Verantwortung“ an die afghanische Regierung und ihre Sicherheitskräfte?

Grob gesagt, wird Afghanistan sich dem Irak anverwandeln. Ein großer Teil der zurzeit 128.453 Isaf-Soldaten wird tatsächlich abgezogen werden und der Rest wird zu Trainern und Mentoren der afghanischen Armee und Polizei umgeschult. Deshalb ändert auch die Entscheidung des französischen Präsidenten François Hollande nicht viel an der Gesamtlage, wenn er die Kampftruppen seines Landes ein Jahr eher als bisher geplant abzieht. Auch Frankreich will weiter Ausbilder stellen.

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THOMAS RUTTIG

ist Ko-Direktor des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).

Insgesamt wird es Anfang 2015 keine Isaf-Mission mehr geben, sondern neue, kleinere, weniger sichtbare Einheiten. US-Medien gehen von etwa 20.000 Soldaten aus, davon 6.000 Spezialkräfte.

Raus aus den Schlagzeilen

Mit dieser Reduzierung soll der Anschein erweckt werden, der Krieg in Afghanistan sei beendet. Wie im Falle Iraks soll das Thema von den Titelseiten und aus dem Bewusstsein der Wähler verschwinden. Denn wenn nur noch ein paar deutsche Ausbilder in Afghanistan sind, wird es keine „eingebettete“ Berichterstattung mehr geben und auch weniger pressebegleitete Minister- und Parlamentarierreisen. Die Presse bei uns wird das Interesse verlieren, es wird also ruhig werden um Afghanistan.

Der Krieg aber, er wird weitergehen, so wie im Irak auch. Bekanntlich wird hier weiter gebombt, die konfessionelle Spaltung vertieft sich Jahr um Jahr, und immer noch sind Tausende US-Militärs und Kontraktoren dort aktiv. (Die US-Botschaft in Bagdad hat 17.000 Mitarbeiter.) Der Krieg dauert an, es ist kein Frieden in Sicht, aber er hat sein Aussehen geändert.

So werden keine deutschen „Marder“ mit Isaf-Emblem mehr auf den Straßen von Kundus patrouillieren. Stattdessen rücken die Special Operations Forces, vor allem aus den USA, und noch speziellere CIA-Kräfte mehr in der Vordergrund. Sie sollen die Taliban mit Drohnen, nächtlichen Zugriffen („night raids“) und irregulären, milizenähnlichen afghanischen Verbänden bekämpfen.

Krieg der Spezialkräfte

Den Einsatz von Spezialtruppen und Milizen hält das Pentagon für besonders effektiv, obwohl beide häufig außerhalb der Gesetze des Landes operieren. Präsident Barack Obama bestätigte das bei seinem jüngsten Afghanistan-Besuch, am Jahrestag der Tötung Osama bin Ladens: „Wir haben den Schwung der Taliban gebrochen. Wir haben die Al-Qaida-Führung vernichtet.“ Auch die Operation, die zum Tod bin Ladens führte, wurde von den Special Forces durchgeführt.

Gleichzeitig kommen bei deren Einsätzen immer wieder Zivilisten ums Leben. Die in Afghanistan lebenden Forscher Alex Strick van Linschoten und Felix Kuehn haben in ihrer 2011 veröffentlichten Studie („A Knock on the Door: 22 Months of ISAF Press Releases“) vermittelt, dass nur 5 Prozent der bei „night raids“ getöteten Afghanen hochrangige Aufständische waren. Bei allen anderen handelt es sich entweder um Fußvolk oder um Unbeteiligte, und die sind oft nur schwer voneinander zu unterscheiden. Strick und Kuehn sehen darin eine „Netzwerk-Strategie der Zielfindung“, ähnlich der umstrittenen Rasterfahndung.

Schon jetzt ist die Sicht der afghanischen Bevölkerung auf die ausländischen Truppen gekippt: erst Befreier, jetzt Besatzer, für die ihrerseits alle Afghanen in Aufstandsgebieten pauschal potenzielle Feinde sind.

Der Teilabzug Ende 2014 ist also eher ein Formationswechsel, der das Gewicht derjenigen Einsatzkräfte stärkt, die am drastischsten für die gegenwärtige Polarisierung in Afghanistan verantwortlich sind.

Beihilfe zum Bürgerkrieg

Der Krieg wird vielleicht auch noch stärker Bürgerkriegscharakter annehmen. Die afghanische politische Landschaft ist fragmentiert. Fast jeder Politiker, der etwas auf sich hält, hat seine eigene Partei. Viele dieser Parteien sind immer noch bewaffnet und stehen als verbündete Milizen zur Rekrutierung bereit.

Da mit der Truppenreduzierung auch zivile Hilfszuwendungen schrumpfen – der größte Geber, USAID, hat sein Budget von 2010 auf 2011 fast halbiert –, wird der verteilbare Kuchen kleiner, der Anreiz, dafür zur Waffe zu greifen, aber größer. Das ist auch der von Obama initiierten militärischen Eskalation seit 2009 zu verdanken, die vergeblich darauf zielte, die Taliban als künftigen politischen Faktor auszuschalten. Dabei privilegierte der Westen die Verbündeten mit der größten Feuerkraft, so wie Karsais inzwischen ermordeten Bruder Ahmad Wali, und tolerierte deren Verwicklung in Drogenhandel und milliardenschwere Korruption. Afghanistan Ende 2014 wird also ein Land mit schwachen Institutionen und vielen bewaffneten Männern sein.

Statistiken zeigen, dass auch viele Afghanen diese Furcht teilen. Die Kapitalflucht aus dem Land nimmt zu, Investitionen sinken und die Immobilienpreise fallen. Die UNO registriert im vorigen Jahr über ein Drittel mehr afghanische Asylanträge in den Industrieländern. Gleichzeitig sank die Zahl der zurückkehrenden Flüchtlinge fast um die Hälfte.

All dies zeigt: Das Übergabekonzept der Nato-Staaten ist überhastet, beschönigt die Realität in Afghanistan und läuft im schlimmsten Fall auf Beihilfe zum Bürgerkrieg hinaus. Aber wir können sicher sein, dass uns aus Chicago nur die gute Nachricht erreichen wird: Alles läuft nach Plan.

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1 Kommentar

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  • R
    Robert

    Krieg ist Frieden! Lüge Wahrheit! Das zu verbreiten war und ist die Aufgabe der Politik und der angeschlossenen PR-Abteilungen. Es geht um Deutungshoheit. Um nichts anderes. Das System, das solches betreibt, nennt man Demokratie.

    Solange die Rüstungsprodukte weitab von Europa und den USA verbraucht werden und somit für neue Nachfrage sorgen, ist doch alles i.O. Das Problem könnte ev. sein, daß die Iraker, die Afghanen nicht genug verbrauchen bzw. nur schleppend zahlen...

     

    Was ist eigentlich in Tunesien, in Libyen, in Syrien,... aus den demokratischen Aufständen geworden? Will das noch jemand wissen? Soll das hier wirklich jemand erfahren? Oder besser doch nicht?