Debatte Integration: Wer ist hier nicht integriert?
Die Ängste vieler Migranten vor dem Osten sind gut begründet, wie die Nazi-Mordserie zeigt. Doch Rassismus ist kein ostdeutsches Problem.
D ie Aufregung über einen "aspekte"-Beitrag, von dem sich die Stadt Jena zu Unrecht als "braunes Nest" verleumdet fühlte, hat sich gelegt. Der Schriftsteller Steven Uhly aus München, der darin als Kronzeuge vorgeführt wurde, hat sich von der Machart des Beitrags distanziert.
Und im Stadttheater von Jena gab es eine Podiumsdiskussion über diesen TV-Bericht, den Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht "tendenziös, zynisch und schlecht recherchiert" nannte. Der umstrittene Beitrag stammt von der Berliner TV-Journalistin Güner Balci.
Die Pointe dabei ist, dass diese in ihren Beiträgen normalerweise Migranten in ein schlechtes Licht rückt. Daran stören sich meist nur wenige, überwiegend Migranten. Nun hat Balci den Osten der Republik heimgesucht, was ihr gleich mehrere Beschwerden beim Rundfunkrat einbrachte.
Jenseits der Frage nach gutem oder schlechtem Journalismus aber bleibt das Problem, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund oder andere, die - wie Steven Uhly - nicht im herkömmlichen Sinne "deutsch" aussehen, Angst davor haben, sich im Osten der Republik frei zu bewegen. Und diese Ängste sind gut begründet.
Denn Tatsache ist: Nirgendwo ist die NPD in Landesparlamenten und Kommunen so fest verankert wie in den neuen Bundesländern. Nirgendwo wird die Jugendkultur so stark von rechtsextremen Gruppen geprägt wie in manchen ländlichen Regionen Ostdeutschlands, etwa im Erzgebirge oder in Ostvorpommern. Und nirgendwo ist die Gefahr, Opfer rechter Gewalt zu werden, größer als im Osten der Republik.
Das Risiko ist im Osten schon höher als im Westen, wenn man die Zahl der Taten auf die Einwohnerzahl pro Bundesland bezieht. Bedenkt man, dass es im Osten auch deutlich weniger Menschen gibt, die als "Ausländer" durchgehen könnten, lebt diese Gruppe dort besonders gefährlich.
Europaweit einmalige Mordserie bestärkt Vorbehalte
Kein Wunder, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund, die im Westen leben, wenig Lust verspüren, in den neuen Bundesländern auch nur ihren Urlaub zu verbringen. Die Aufdeckung der europaweit einmaligen Serie von Morden an Kleinhändlern durch Neonazis aus Zwickau trägt nicht dazu bei, solche Vorbehalte auszuräumen.
Und dass etwa Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich so auffällig lange dafür brauchte, sich zu der Terrorzelle zu äußern, die sich mitten in seinem Bundesland eingenistet hatte, hilft nicht gerade, die Gemüter zu beruhigen.
Dabei hat gerade Sachsen ein Problem mit gewalttätigen Rechtsextremisten. Hier, in einem Dresdener Gerichtssaal, ereignete sich im Juli 2009 der Mord an der schwangeren Ägypterin Marwa El-Sherbini, der bundesweit Schlagzeilen machte. Und hier wurde im Oktober 2010 vor dem Hauptbahnhof in Leipzig der 19-jährige Iraker Kamal K. von zwei stadtbekannten Neonazis erstochen.
Doch obwohl deren rechte Gesinnung offensichtlich war, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst keinen rassistischen Hintergrund der Tat sehen - auch solche Details sind nicht dazu angetan, für Vertrauen in die sächsischen Behörden zu sorgen.
Gefahr von rechts wurde verharmlost
Wer außerdem weiß, dass die sächsischen Sicherheitsbehörden in diesem Jahr vor allem damit beschäftigt waren, die Handydaten von Tausenden von Demonstranten, die im Februar gegen Neonaziaufmärsche in Dresden protestiert hatten, zu erfassen und auszuwerten, und dass sie nun sogar Anklage gegen den evangelischen Jugendpfarrer Lothar König erheben, weil dieser sich an den Antinaziprotesten beteiligte, der muss sich schon fragen, ob hier die Prioritäten immer richtig gesetzt werden.
Das gilt auch für Thüringen, wo sich der Verfassungsschutz zuletzt vor allem darauf konzentrierte, den Linken-Politiker Bodo Ramelow zu observieren. Nun zeigt sich, dass darüber die Gefahr von rechts aus dem Auge verloren wurde - offen ist noch, ob aus Naivität oder gar aus Kumpanei.
Viele Einwanderer hegen gegenüber den neuen Bundesländern ohnehin ambivalente Gefühle. Denn viele von ihnen verloren nach der "Wiedervereinigung" ihre Arbeit, als die Konkurrenz aus dem Osten auf den Plan trat.
Auch mussten sie erleben, wie die ostdeutschen Neubürger systematisch bevorteilt wurden gegenüber den Einwanderern, die schon viel länger in der alten Bundesrepublik lebten. Und dann wurden sie auch noch zur Zielscheibe jener rechtsextremen Gewalt, die auf die Wirren der Vereinigung folgte.
Aufmerksamen Zeitungslesern unter ihnen entgeht es deshalb auch nicht, dass ein Thilo Sarrazin in Dresden im Januar seinen bundesweit bestbesuchten Auftritt hatte - ein Indiz dafür, dass Vorurteile gegen Muslime hier, wo kaum muslimische Einwanderer leben, besonders weit verbreitet sind.
Vor 2.500 Zuhörern in der ausverkauften Stadthalle von Dresden schlug damals ein Mann unter Applaus vor, "alle Ausländer in ihre Heimat zurück"zuschicken; Sarrazin wies ihn dafür auch nicht in die Schranken.
Auch der Westen hat ein Rassismusproblem
Es wäre aber völlig falsch, deshalb jetzt pauschal mit dem Finger auf den ganzen Osten zu zeigen. Denn auch der Westen hat ein Rassismusproblem. Ein Thilo Sarrazin wurde von den Medien im Westen hochgeschrieben, von Spiegel bis Bild. Und auch in westdeutschen Städten wie Dortmund oder Nürnberg, in Hessen und Bayern gibt es eine rechtsextreme Szene, die durch Gewalt und politische Aktionen in Erscheinung tritt.
Die Führungsspitzen der NPD - Udo Pastörs, Holger Apfel und Udo Voigt - stammen allesamt aus dem Westen. Und hier sollen die Rechtsterroristen aus Zwickau auch Helfer gehabt haben, die sie aktiv unterstützten. In dieser Affäre haben deshalb auch die Behörden im Westen versagt, allen voran der Verfassungsschutz in Hessen und Niedersachsen.
Erst wenn dieser größte Geheimdienstskandal seit der Wiedervereinigung wirklich lückenlos aufgeklärt ist und sich etwas an den Zuständen ändert, die diese Mordserie begünstigt haben, kann Entwarnung gegeben werden.
Die zentrale Frage dabei wird sein, wie man all jene urdeutschen Integrationsverweigerer einfängt, die sich mit dem Leben in einer pluralen, multikulturellen Einwanderungsgesellschaft noch immer so schwertun.
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