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Debatte EnergiewendeMehr grüner Ärger schadet nicht

Kommentar von Hanna Gersmann

Umweltschützer übertreiben es mit ihrer Kompromissfreude und spielen so den Nachhaltigkeitsfuzzis in die Hände. Es fehlt die Schlagkraft, dabei kann man jetzt einiges reißen.

Zu harmoniebedürftig: der Öko-Bewegung fehlt zur Zeit die alte Protestkultur. Bild: dpa

H ört auf mit Versöhnung, liebe Umweltschützer. Sie bringt nichts. Gestern lud die Kanzlerin zum Energiegipfel, und wo war der Protest, dass es mit der Umsetzung hapert, dass die konventionelle Wirtschaft blockiert und blockiert? In knapp einem Monat steht in Rio de Janeiro der nächste Erdgipfel an. Die Staats- und Regierungschefs wollen der „nachhaltigen Entwicklung neuen Schwung verleihen“.

Von Protest rund um das Treffen keine Spur. Wie viele Kuschelgipfel soll es noch geben? Sicher, den Planeten nicht zu ruinieren, die Gesellschaft gerechter zu gestalten, dabei aber das ökonomische Wachstum nicht zu vergessen – dies alles drei zu haben wäre ungeheuer schön. Das Anliegen, das inzwischen allgemein mit dem Wort Nachhaltigkeit gelabelt wird, hat nichts an Berechtigung verloren.

Nur: Der Begriff erweist sich inzwischen als kontraproduktiv. Zu viel Harmonie auch. Der Ausstoß der gefährlichen Treibhausgase steigt und steigt. Riesige Flächen tropischer Wälder werden jeden Tag vernichtet. Der Fang von frei lebenden Fischen nimmt ab, denn ein Drittel der weltweiten Bestände gilt als überfischt.

Nötig sei eine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation, forderte auch Ulrich Brand. Der Professor für internationale Politik an der Universität und Mitglied der Wachstums-Enquete des Deutschen Bundestags hat recht. Aber was heißt das praktisch? Wie kommt man voran? Selbstkritik tut not, und zwar von allen, die sich als Ökologen verstehen.

Bild: privat
HANNA GERSMANN

leitet das Inlandsressort der taz. Zuvor arbeitete sie im Parlamentsbüro. Seit 1996 beobachtet sie die Umwelt- und Wirtschaftspolitik der Regierung, insbesondere die Atom- und Energiepolitik.

Rüstungs- und Ölindustrie finden sich nachhaltig

Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung sagt: „Wir müssen wieder aggressiver und kritischer werden.“ Man sollte auf ihn hören. Das Versprechen, das Staats- und Regierungschefs auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 abgaben, war so verlockend. Die globalisierte Welt sollte eine gerechte werden, in der es sich auch in Zukunft noch gut leben lässt. Alles rechne sich. Alles werde partner-schaftlich. Die Idee nutzt sich ab.

Zwanzig Jahre später, zur Rio+20-Konferenz, findet sich die Rüstungsindustrie nachhaltig. Die Ölindustrie auch. Herzlichen Glückwunsch. Die Gegenseite vereinnahmt den Begriff erfolgreich für sich. Sie macht glauben, dass nachhaltig sei, wenn Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichrangig behandelt werden. Dass der Begriff einst der Forstwirtschaft entlehnt wurde, die der Natur den Vorrang lassen muss, um langfristig zu überleben, spielt keine Rolle mehr.

Die Umweltgemeinde hat in dem Moment verloren, in dem sie sich dem Drei-Säulen-Modell nicht laut genug widersetzt und klarmacht, dass die Ökologie den Rahmen setzt, in dem ökonomische und soziale Ziele verwirklicht werden. Den Umweltschützern ist die Hierarchie abhandengekommen und auch die Schlagkraft, Dabei waren sie so erfolgreich im Kampf etwa gegen die Müllberge, die Dünnsäureverklappung auf hoher See oder den sauren Regen. Waren.

Wie das passieren konnte? Man wollte es einfach zu gerne glauben: Der Planet werde sich durch kluge Technik retten, der Einsatz von Rohstoffen vom Wachstum abkoppeln lassen. Die Politik werde klüger. Ende der neunziger Jahre begännen rot-grüne Zeiten.

Kompromisspapiere

Tatsächlich beschäftigt Öko das politische Tagesgeschäft und Umweltschützer sitzen im Nachhaltigkeitsrat der Regierung. Sie schreiben mit an den Kompromisspapieren für die weltweiten Klimaverhandlungen. Doch die von den Konservativen laut verkündete Energiewende ist keine.

In Rio hatten alle, die sich zur Nachhaltigkeit bekannten, schließlich auch den Auftrag gegeben, den Kampf gegen die Erderwärmung in einem völkerrechtlichen Vertrag festzuschreiben. Doch die Diplomaten sitzen immer wieder zusammen und beschließen – zu wenig. Die Welt heizt mit Öl, Kohle, Gas die Erderwärmung weiter an. Die Regierungen räumen der Ökologie keine Priorität ein, der alten Wirtschaft schon.

Und die Umweltschützer? Sie sind ja selbst verstrickt in die Verhandlungsprozesse. Wer aber grün nicht nicht radikal denkt, sondern den politischen Formelkompromiss schon vorwegnimmt, muss im Kampf mit denen verlieren, die beliebige ökonomische Belange in Stellung bringen. Es geht eben nicht ohne Streit.

Öko fordern. Sich außerhalb stellen. Sich Gehör verschaffen. Das ist anstrengend – zumal der Klimawandel, die Energiewende, die Weltenrettung für schlichte Schwarz-Weiß-Botschaften zu kompliziert sind. Windräder drehen sich in der Landschaft, Stromtrassen werden durch die Natur gelegt.

Erneuerung der Energieversorgung

Ökologen müssen Zielkonflikte aushalten. (T. C. Boyle hat das in seinem neuesten Roman, „Wenn das Schlachten vorbei ist“, beschrieben. Darf man tausende Ratten töten, um auf einer Insel das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen?) Angela Merkel hat ihre einstige Rolle als Klimakanzlerin unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise längst abgegeben.

Die Rio+20+Konferenz schenkt sie sich gleich ganz. Sie will zwar „nachhaltiges“ Wachstum, meint damit aber noch nicht einmal grün, sondern einfach langfristig. Die Umwelt braucht den Ohne-Wenn-und-Aber-Fürsprecher. Die Umweltlobby kann jetzt was reißen, nicht auf der kommenden Rio-Konferenz, aber zu Hause.

Sie muss zeigen, dass die Erneuerung der Energieversorgung – weg von Atom, Kohle und Öl, raus aus der Abhängigkeit von wenigen großen Konzernen – funktionieren kann, dass es Platz gibt für neue Hochspannungsleitungen oder Windkraftanlagen, dass Fehlentwicklungen vermieden werden.

Effizientere Fernseher reichen nicht

Denn es könnte die Politik in anderen Ländern verändern, wenn eine starke Industrienation den Umstieg schafft. Die Lobbyisten müssten sich dafür aber auch mal unbeliebt machen. Ja, es kann sein, dass die Strompreise steigen. Ja, nur mit effizienteren Fernsehern ist es nicht getan. Und ja, es ist unklar, wie sich das langfristig auf das Bruttosozialprodukt auswirkt.

Umweltschützer sind zuallererst für die Umwelt da. Die Abwägung mit anderen Lobbyisten muss die Politik treffen und sich für ihre Entscheidungen vor den Wählern rechtfertigen. Mit netten, leisen Worten kommt in der Politik niemand weiter.

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taz-Autorin
War von 2002 bis 2013 in der taz, leitete dort zuletzt das Inlandsressort. Jetzt gehört sie zum Büro die-korrespondenten.de im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Sie schreibt vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.
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10 Kommentare

 / 
  • HK
    Hans-Peter Krebs

    Grüne Kuscheleien lassen sich durch Begriffskritik nicht bekämpfen. Dazu sollte wohl der Rückblick auf Rio 1992 dienen. Wenn "internationale Professoren" lieber "sozial-ökologische Transformation" vorschlagen, sollte man prüfen, was denn damit geholfen ist. Denn unterstellt wird ganz selbstverständlich, dass sich die Grünen mit Nachhaltigkeit eine zu starke Kompromissbereitschaft einhandeln, was gerade zu beweisen wäre. Es könnte aber auch so sein, dass Uli Brand mit seinem Esatzbegriff nur die Niederungen schmutziger Politik (= u.a. Parlamentspraxis) scheut und den Begriff der sozialökologischen Transformation in die Reinheit der Begriffswelt "rettet". Man landet dann bei Plato und dessen Begriffsrealismus. Und das ökologische Desaster geht schlicht weiter.

  • H
    Heino

    Ich verstehe die Häme der meisten Kommentare hier nicht. Frau Gersmann beschreibt doch nur die Tatsache, dass 1992 in Rio in großer politischer Übereinstimmung eine neues Entwicklungskonzept mit dem Namen "Nachhaltigkeit" (genauer sustainable development) aufgelegt wurde, dass dieser Begriff inzwischen in aller Munde ist, dass wir einen Nachhaltigkeitsrat haben, Bildung für nachhaltige Entwicklung staatlich fördern, aber die realkapitalistische Entwicklung ist ungebremst nicht nachhaltig, trotz Energiewende.

    Andreas meint, das ist die Überbevölkerung, will der vielleicht ein Eutanasieprogramm auflegen, damit die Ressourcen geschont werden? Und hat andreas schon mal was vom Bumerangeffekt bei der Effizienzsteigerung gehört?

    Rumpelstilzchen kommt mit der Sozialkeule, was machen denn die Armen, wenn der Ölpreis explodiert??

     

    Der Artikel will doch nur sagen, der nichtnachhaltigen Entwicklung wird zu wenig Widerspruch entgegen gesetzt, was wesentlich an dem Nachhaltigkeitsdreicke läge, nach dem die zukünftige Entwicklung das Ökologische, das Soziale und das Ökonomische in Einklang bringen soll. Etliche Nachhaltigkeitsapostel haben leider übersehen, dass diese Formel einen Kompromiss darstellt, zwischen denen, die materielle Entwicklung weiter wollen, und denen, die meinen, das verträgt das Raumschiff Erde nicht mehr. Zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem besteht keine Harmonie, sondern eine Kampfzone, bei der die Kontrahenten politisch sich gegeneinander durchsetzen müssen. Und leider ist die ökologische Fraktion im Zukunftsringen nicht besonders stark, es fehlt der Druck der Masse, und so geht die Ressourcenausplünderung munter weiter. Soweit bin ich mit Frau Gersmann einig.

    Aber die Lösung liegt nicht im "Primat der Ökologie". Wer z.B. hat die Hoheit zu sagen, welche Ökologie die "richtige" ist? Wenn wir sagen, die Erde verträgt 2 Grad Cesius mehr, dann ist das kein ökologisches Maß. Ob wir damit leben wollen, oder nicht, muss politisch entschieden werden, nicht ökologisch.

  • E
    eksom

    Mit den Grünen von heute sind all diese Forderungen und Programme nicht mehr zu realisieren.

    Sie sind mittlerweile fast alle zu alt, zu bequem, zu gut genährt und viel zu träge!

    Also haben die Grünen fast kein Interesse mehr an wagemutigen Veränderungen, die sogar einem den Job kosten würden!

  • HD
    Hans Dieter Siekmann

    "tiefgreifende sozial-ökologische Transformation" - ... das geht doch nur mit Menschen, die an sich arbeiten und sich auch wirklich verändern. Deshalb ist fast immer "sowohl als auch" besser als "entweder oder". Bewusstseinserweiterung und reden und handeln aus dem Herzen heraus und nur von eigenen Erfahrungen sprechen.

    Uns Menschen tut "Erwachsen werden" not.

    Deshalb: Spiritualität in die Politik. Jetzt.

    Demokratie jetzt.

  • D
    D.J.

    "Ja, es kann sein, dass die Strompreise steigen."

     

    Lustig formuliert. Vielmehr sieht es so aus, dass die chaotische "Energiewende" Energie für die Deutschen bald fast unerschwinglich macht. Übergangsmöglichkeiten wie Schiefergas sind für die Öko-Ideologen ja auch ganz böse.

    Wir Deutschen sind halt ein Volk von Hysterikern, die sich von Angstpropheten gern die Hosen voll machen lassen und dabei mit höchter Wahrscheinlichkeit zu erwartende Probleme verdrängen (siehe oben). Irrationale Kindsköppe halt und sich dabei für rational haltend.

  • A
    andreas

    Jedes Jahr steigt die Weltbevölkerung um 80.000.000 Menschen !

    Menschen die selbstverständlich essen, wohnen und mobil sein wollen. Da liegt der Hase im Pfeffer.

    Solange sich daran nichts ändert...

     

    ...ist es vollkommen egal ob Deutschland die Energiewende in 5-10 oder 30 Jahren schafft.

    Das macht im großen Konzert der weltweiten Umweltzerstörung durch Bevölkerungswachstum keinen großen Unterschied.

     

    Wer aber Deutschland(dessen Bevölkerung ohnehin sinkt) zum Mittelpunkt der Welt erklärt ...

     

    Aber das ist halt die gewohnte alte Leier und beruhigt ungemein... ;0)

     

    P.S. Nicht Umweltschützer schützen letztlich die Welt sondern Erfinder von Solarzellen/Windkrafträder/E-Autos

  • R
    Rumpelstilzchen

    Ja ne is klar. Dann steigen die Strompreise eben (noch mehr). Scheiß drauf was das für die vielen geringverdienenden Familien bedeutet. Genauso wie man drauf geschissen hat, das die sich heute nicht mal mehr das Benzin leisten können.

     

    Für Leute wie Frau Gersmann die vermutlich in einem netten Energie-Plus Haus mit eigener Solaranlage lebt ist das doch alles nebensächlich. Diese unterprivilegierten Schmarotzer müssen endlich verstehen, das Umweltschutz vor sozialen Belangen der Menschen kommt. Wo kommen wir denn hin wenn das Prekariat mit seinen profanen Bedürfnissen wie Strom, Wasser und Nahrung unsere schöne neue (grüne) Welt verhindert?

  • R
    ReinerZufall

    Och, Gottchen. Da hängt aber jemand an den selig machenden Zeiten seiner Jugend.

     

    Da kann man die Scheuklappen auch mal ruhig zu machen - denn genau JETZT ist die Zeit für kompromisslosen Umweltschutz. Genau - so wie damals, als man Biogas ganz toll fand und dieses auch kompromisslos gefordert hat. Gähn.

     

    Und warum steht die Dame mit ihrem CO2-emitierenden T3 / Trecker noch nicht bei den BI gegen Strommasten und sorgt mit Montagsmärschen für Stimmung?

     

    Es ist aber typisch - kaum ergeben sich Gestaltungsspielräume, müssen sich die Angsthasen "aus Prinzip" zurückziehen, da sie sich sonst die Finger in der blöd-realen Realität schmutzig machen müssten - dabei weiß man doch eigentlich, wie es geht. Nur machen will man es nicht, nur sagen was müsste. Doppel-Gähn.

     

    Umweltschutz - is ja voll 80er. "Umweltschützer sind zuallererst für die Umwelt da" - Hmm, klar doch - wenn Yoga keinen Sinn mehr spendet, muss wohl solch ein Satz her.

  • K
    Kommentator

    Zu diesem Artikel fällt mir nur ein Zitat von Oscar Wilde ein:

    Selig sind die, die keine Ahnung haben und die Klappe halten.

  • S
    spital8katz

    Die einzigen steigenden Gase sind die im Kopf von Frau Gersmann