Debatte "Die Zeit" und Guttenberg: Wenn das Marketing feiert
Was vereint di Giovanni und zu Guttenberg? Der Hang zum Zusatzgeschäft und die Abscheu vor mühsamen Aushandlungsprozessen.
D ie Zeit löst Reflexe aus. Zunächst den Reflex des Ausschüttelns. Es gibt Ausgaben, da dauert es, bis der Käufer den unter Kursen, Konferenzen, CD-, Wein-, Buch-, Akademie-, Wellness-, Video-, Kunst- und Reise-Zusatzangeboten begrabenen Journalismus freigelegt hat; Handarbeit gegen das mediale "Manufactum".
Der zweite Reflex: Helmut Schmidt ist Die Zeit. Das ist natürlich Unsinn. Denn Bernd Ulrich, Jan Ross, Iris Radisch, Thomas Assheuer und viele weitere blendende Schreiber sind Die Zeit. Aber irgendwie verstellt ständig - zu allen Themen! - dieser knurrende Medizinmann der deutschen Politik den Blick auf das Blatt: mit seinen Leitartikeln, Büchern, Jahresrückblicken, Schachspielen, Zigaretten-Interviews, Auftritten auf hauseigenen Konferenzen. Aus Sicht des Zeit-Marketing: ganz großes Kino.
Der dritte Reflex: Bauen die etwa auch noch die Rekrutierung von Regierungspersonal zu einem Zusatzgeschäft aus? Helmut Schmidt schult und segnet künftige Kanzlerkandidaten. In der Verlagswerbung heißt es dazu: "Der Altkanzler schickt seinen Erben ins Rennen um die Macht."
Peer Steinbrück hat seine Kolumne, und mit KTG - noch in Aufnahmeprüfung fürs Zeit-Politikercamp - wird ein Buch gemacht. Ein Chefredakteur, der das alles repräsentieren und verkaufen muss, hat zu tun. Da tritt der Journalismus - verständlich - in den Hintergrund.
Deshalb: Wenn der Chefredakteur dieser politisch bedeutenden und prägenden liberalen Wochenzeitung zwar regelmäßig als Talk- und Konferenzen-Moderator, aber nur gelegentlich als Leitartikler und Interviewer in Sachen Politik präsent ist, dann schaut jeder genauer hin, was dieser Mann als würdig wählt, von ihm persönlich journalistisch behandelt zu werden. Das muss ihm besonders wichtig sein.
war von 2002 bis 2006 zuerst stellv. Chefredakteur und dann Chefredakteur der Frankfurter Rundschau. Er veröffentlichte zuletzt mit Hans-Jürgen Arlt die Untersuchung "Drucksache Bild - eine Marke und ihre Mägde".
GdL macht ein Buch mit KTG. Der Chefredakteur der Zeit macht mit dem CSU-Politiker ein Buch.
Puristen sagen: Es ist mit dem Ethos eines unabhängigen Journalismus unvereinbar, sich mit einem Objekt der Berichterstattung so in Szene zu setzen. Das macht befangen. Wenn es der Chefredakteur macht, nicht nur ihn, sondern die Redaktion.
Flucht in die Sackgasse
Aber da es heute keine Puristen mehr gibt, sagt das keiner. Und der Verlag lässt verlauten: Aber das ist doch "ein Streitgespräch"! KTG wurden also ordentlich die Leviten gelesen.
Aber auch dieser Fluchtweg ist eine Sackgasse. Denn es werden in dem Buch nur Fragen gestellt, und die lassen sich meist auch noch nach dem GdLschen-Dreiklang ordnen: Wie geht es Ihnen? Was werden Sie machen? Wollen Sie noch etwas sagen? Übrigens: Es waren diese Gefälligkeiten, die den Größenwahn von KTG zum Blühen brachten; aber auch das ist kein Verdienst von GdL, bestenfalls Aufklärung wider Willen.
Das gemeinsame Werk ist also auch kein Streitgespräch, sondern tragender Pfeiler einer Marketingkampagne: Auftritt Halifax, Einstellung der Ermittlungen, Buch. GdL legt seine Fragen für KTG als Holzplanken über dessen morastigen Weg zurück in die deutsche Politik; damit er nicht nur auf Bild angewiesen ist.
Gehandelt wird immer sofort
Warum entschied GdL, das zu tun? Zwei nicht haltlose Spekulationen. Die erste: GdL sucht seine Themen nicht unter dem Aspekt der Relevanz, sondern dem der Verkaufbarkeit aus; siehe Anmerkungen oben.
Die zweite nicht haltlose Spekulation: GdL positioniert sein Produkt in der Mitte des Bürgertums und will diesem Bürgertum seine Zeit auch bei all seinen autoritären Wirrungen treu zur Seite stellen; vermutlich decken sich da Aspekte der Betriebswirtschaft (Auflage, Gewinn) mit eigenen Überzeugungen. Wenn ihm schon der Vorabdruck von Thilo Sarrazin durch die Lappen gegangen ist …
Wer mit KTG ein Buch macht, weiß um dessen Politikverständnis: Zu Guttenberg entlässt sofort Spitzenbeamte, er verteidigt sofort den Kundus-Einsatz, er verurteilt sofort den Kundus-Einsatz, er entlässt sofort die Wehrpflicht-Armee, er stellt sofort eine Berufsarmee ein. Jeweils ohne viele Worte. KTG handelt wie ein Manager.
Er stellt die Unbeschwertheit des Manager-Adels gegen Regeln und Sitten der Verhandlungsdemokratie. Er dient gern Dritten als Anlass, die Demokratie mit ihrem schwerfälligen Alltag des Abwägens und Austarierens herabzuwürdigen und nicht als wertvoll zu begreifen.
Feinstes Analysebesteck
GdL hat sich diesen Politikertyp bewusst herausgesucht. Anfang 2011 plädierte er, KTG könne im Ministeramt bleiben, denn es gehe nicht um das Plagiat. Sondern: "Es geht um den Mann, der eine Hoffnung für die politische Klasse ist."
KTG geht es auch nicht um das Plagiat, sondern um diese bösen, bösen 80 Datenträger, auf denen er seine Exzerpte verteilt habe und dann durcheinanderkam. Und GdL entdeckt mit feinstem Analysebesteck ausgerechnet dann "in einigen Medien etwas Jakobinisches", wenn die zu Guttenbergsche "Fehlleistung mit seinem Adelstitel in Verbindung gebracht wird".
Für GdL zählt dieser KTG, der den Einzug von Feudalismus - Variante AC/DC - in die demokratische Politik verkörpert, unverändert "zu den größten politischen Talenten". Wenn GdL sich in Leitartikeln äußert, dann drehen sich seine Gedanken um: die "furchterregende Entfremdung der Bürger von der Politik", die in ihrer Existenz bedrohten Volksparteien, das Aufkommen von Klientelparteien.
Koch, Merz, Clement ...
Nur Politiker wie KTG seien in der Lage, diese Klüfte zwischen dem Volk und den Parteien zu schließen. Und so wirbt er Mitte 2010 in seinen Texten für die Rückkehr von Roland Koch, Friedrich Merz und Wolfgang Clement in die Politik, wie er heute Peer Steinbrück und KTG befördert.
Was eint diese Politiker? Sie alle hätten immer wieder "Wahrheiten ausgesprochen, wo andere Wählertäuschung im Sinne hatten". Und: Die "ausgezehrten Volksparteien" hätten nichts Besseres zu tun, ausgerechnet diese "ihre herausragenden Vertreter kleinzumachen".
Da haben diese Ausgezehrten jedoch ihre Rechnung ohne diesen Chefredakteur und seine Zusatzgeschäfte gemacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei