Debatte Automobilindustrie: Opel ist geliefert
Die deutsche GM-Tochter wird auch mit Kurzarbeit nicht zu retten sein. Am Absatz mangelt es ebenso wie an einem positiven Image des Unternehmens.
A uf Youtube gibt es einen Videoclip aus der US-Satiresendung „Saturday Night Live“ von 2008. Der Sketch macht sich über Rick Wagoner, den damaligen Chef von General Motors (GM), lustig. Nachgespielt wird eine Anhörung im Kongress, die sich mit den Milliardenkrediten befasste, die GM bei der US-Regierung beantragt hatte.
Walter Jones, Abgeordneter aus North Carolina: „Sie sagten vorhin, dass Sie 2.500 Dollar pro verkauftem Auto verlieren. Wie wollen Sie da Ihre Firma profitabel machen?“ Wagoner antwortete prompt: „Wir werden mehr Autos verkaufen. Äh, nein … Das geht ja gar nicht, vergessen Sie’s. Ich weiß es nicht.“
Man lacht gerne über den Sketch, aber das Lächeln gefriert, sobald der Name der GM-Tochterfirma Opel fällt. Das Unternehmen hat zwar erst am vergangenen Donnerstag seinen 150. Geburtstag gefeiert, die Situation ist jedoch erschreckend ähnlich. Der Verlust von rund 600 Millionen Euro im letzten Jahr bedeutet umgerechnet, dass Opel pro verkauftem Fahrzeug ein Minus von etwa 500 Euro gemacht hat.
Opel konnte seit 1999 keinen Jahresgewinn mehr ausweisen. Insgesamt hat GM in den letzten zwölf Jahren 14 Milliarden Dollar, rund 11 Milliarden Euro, durch Opel verloren. Nur zum Vergleich: 14 Milliarden Dollar sind fast die Hälfte des deutschen Verteidigungshaushalts. Ende Juni 2012 sagte GM-Chef Dan Akerson daher kategorisch: „Die Verluste bei Opel müssen aufhören.“
Verluste außer Kontrolle
ist Wirtschaftredakteur bei der Tageszeitung Svenska Dagbladet in Stockholm. 2010 erschien sein Buch „Der Kampf um Saab". 2012 erhielt er den schwedischen Preis „Guldspaden“ für investigativen Journalismus.
Danach sieht es jedoch nicht aus. Stattdessen scheinen die Verluste erneut außer Kontrolle zu geraten. Im ersten Halbjahr 2012 betrugen sie 500 Millionen Euro, womit der diesjährige Jahresverlust noch höher ausfallen dürfte als 2011.
Selbst Wagoners Scheinlösung, einfach mehr Autos zu verkaufen, funktioniert nicht. Denn Europas Automarkt schrumpft und ist vergleichbar mit einer Kuhweide, auf der es immer enger und das Futter immer knapper wird. Im ersten Halbjahr 2012 wurden europaweit eine halbe Million weniger Autos abgesetzt, obwohl die Verkaufszahlen schon seit fünf Jahren sinken. Die Überkapazitäten betragen rund 20 bis 30 Prozent – auch weil es politisch unmöglich ist, Autofabriken in Europa zu schließen.
Opel wird nicht der einzige Autokonzern in Europa sein, der schließen muss, aber der nächste. Denn GM gestattet ihrer Tochterfirma nicht, ihre Autos außerhalb von Europa in den rasch wachsenden Märkten Asien und Südamerika zu verkaufen. Für eine Kehrtwende ist es schon zu spät: GM kann kein Interesse daran haben, dass Opel den anderen GM-Marken Konkurrenz macht. Zudem ist Opel in Asien weitgehend unbekannt, so dass enorme Marketingkosten anfallen würden – für ein Auto, das auch dort Marktanteile verliert, wo es jeder kennt.
Keine besseres Image
In Europa sanken Opels Marktanteile im ersten Halbjahr 2012 von 7,6 auf 6,9 Prozent, und zwar obwohl Opel sein bestes Modellprogramm seit langem hat. Aber offenbar ist das Unternehmen dennoch nicht in der Lage, sein Negativimage in der Öffentlichkeit zu verbessern und den Kunden zu vermitteln, dass es auch höherwertige Autos bauen kann.
Ein letzter Ausweg wäre, überschüssige Kapazitäten zu reduzieren, um den Kern der Firma zu retten. Doch dieser ökonomisch sinnvolle Weg ist wegen des Widerstands an den jeweiligen Standorten verbaut.
Die betroffenen Ministerpräsidenten in Thüringen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen kämpfen um jedes Werk, und ein Vertrag mit den Gewerkschaften untersagt Opel, Fabriken vor 2014 zu schließen. In der vergangenen Woche haben die Arbeitnehmer zwar einer bis zum Jahresende 2012 befristeten Kurzarbeit zugestimmt. Aber auch diese Maßnahme wird nichts daran ändern, dass Opel weiterhin horrende Verluste einfährt.
Die Deutschen scheinen dennoch zu glauben, dass die Konzernmutter GM nicht die Geduld verliert. Dabei übersehen sie jedoch ein Problem: Seitdem US-Präsident Barack Obama den Konzern 2009 vor dem Konkurs gerettet hat, besitzen die amerikanischen Steuerzahler 32 Prozent von GM. Nun steht der Mutterkonzern unter starkem Druck, den Wert seiner Aktien von derzeit etwa 20 auf 53 Dollar zu verdoppeln. Denn sonst kann die US-Regierung ihre Anteile nicht verkaufen, ohne Steuergeld zu verlieren. Aus Sicht der US-Amerikaner ist die Deutung einfach: Opels Verluste fressen die Gewinne von GM auf.
Schweden ohne Saab
Dieses Szenario ist den Schweden bestens bekannt. Im Dezember letzten Jahres ging Opels Schwesterfirma Saab in Konkurs. Auf den ersten Blick fallen aber vor allem die Unterschiede auf. So signalisierte die schwedische Regierung sehr früh, dass sie die heimische Automobilindustrie nicht stützen würde.
Die Konservativen wollten nicht den Fehler der Werftenkrise der 1970er Jahre wiederholen, als viele Steuermilliarden in einen Industriezweig gepumpt wurden, der am Ende gleichwohl verschwand. Zudem war Saab in einer noch schlechteren finanziellen Verfassung als Opel.
Dennoch sollte man nicht glauben, dass es für die Schweden leicht war, sich von ihrer Traditionsmarke zu verabschieden. Am Ende hatte Saab immer noch 3.500 Beschäftigte in Schweden – was bei einem Neun-Millionen-Volk deutlich stärker ins Gewicht fällt als die 20.000 Opel-Mitarbeiter in Deutschland.
Zudem hatte Schweden überhaupt nur zwei Automarken, die beide zutiefst in der Volksseele verankert sind. Volvo oder Saab – das war wie Beatles oder Rolling Stones. Jeder hing an seiner Marke. Als Saab für immer verschwand, herrschte bei vielen tiefe Trauer.
Wenn sich aber selbst die Schweden von ihren geliebten Saabs trennen können, dann ist Opel geliefert. Denn eine besondere emotionale Bindung haben die Bundesbürger zur Marke Opel schon lange nicht mehr. Die Zuneigung der Deutschen gilt eher Mercedes, BMW oder Volkswagen. Damit aber ist die Sache klar: Opel wird seine Krise nicht überleben.
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