piwik no script img

DIE WAHRHEITWer wir wieder sind

Fußball-EM 2012: Deutschland, dieses schwarzrotgoldige Land.

Die Fußballeuropameisterschaft hat begonnen. Das anlassbezogene schwarzrotgoldene Tralala bezeichnet die Soziologin Dagmar Schediwy in der taz als „nationales Coming-out“ der Deutschen. Die meisten hätte ihres bereits zur WM 2006 erlebt, seitdem sei es für alle Betroffenen deutlich leichter geworden, ihren Nationalstolz öffentlich zu zeigen.

Das beweist auch der Alltag. Da wird unbefangen auf freier Straße die Fahne geküsst oder für jedermann sichtbar mit rechten Händchen gehalten. Noch vor wenigen Jahren hätte ein solches Verhalten der deutschen Vergangenheit wegen für Empörung gesorgt. Doch die Welt ist seither eine andere geworden. Selbst ein offen nationalistischer Bürgermeister ist mittlerweile denkbar: „Ich bin deutsch, und das ist auch gut so!“

Deutschsein ist auf einmal sexy, hip, modern. Und es kann sogar Punk sein. So treffen wir auf der großen Berliner Fan-Meile entlang der Straße des 31. Januar „Doitschi“ inmitten seiner Freunde. Der junge Punk hat sich mehrere schwarzrotgoldene Anstecknadeln durch die Wange sowie einen Bundesadler durchs Ohrläppchen gebohrt. „Ich will einfach nicht weiter mit diesem fucking Holocaust genervt werden. Die antideutschen Spießer sollen sich verpissen. Das ist doch alles Schnee von gestern!“

Wir verstehen ihn nur zu gut: Die meisten Nichtnationalen haben ja keine Vorstellung davon, wie es ist, sich ständig für das eigene Nationalgefühl rechtfertigen zu müssen, obwohl das doch erstens Privatsache und zweitens selbstverständlich sein sollte.

Wer sich outet, lernt schnell: Das Nationale ist irgendwie immer auch politisch – ob man will oder nicht. Auch Arlene P. ist der Anfeindungen linker Spinner überdrüssig. Die Wangen der 23-jährigen Tierarzthelferin sind in den Bundesfarben geschminkt, auf dem Kopf trägt sie eine schwarzrotgoldene Narrenkappe. Abwechselnd kreischt sie „Schlaaand!“ und „Schweini, schieß!“ Trotzdem gelingt es uns, ihr noch weitere Statements zu entlocken: „Ich mein, ich find das mit den Juden schon irgendwie doof, auch wenn ich in Geschichte nie so richtig kapiert hab, wieso die das überhaupt gemacht haben. Aber ich mein, jetzt gibt es doch nun mal kaum noch welche – wieso müssen wir denn da immer noch voll die Rücksicht drauf nehmen?“

Einmal in Fahrt gekommen, wettert sie weiter: Selbst das deutsche Volkslied hätten die ewiggestrigen Patriotenhasser aus dem Alltag verdrängt. Doch seit ihrem Coming-out versuche sie, ihren Brüdern und Schwestern auch dieses Feld zurückzuerobern. Ob sie denn irgendein Volkslied kenne, haken wir nach. Sie überlegt kurz: „Hm. Also: ,Jeder Torschuss ein Russ, jeder Eckstoß ein Franzos, jeder Foultritt ein Brit …‘“

Stolz blickt sie in die Runde. Diese starke Person macht Hoffnung, ebenso wie die vielen nationalbewussten jungen Leute um sie herum. Doch natürlich ist damit erst ein Anfang gemacht. Besonders in den Metropolen müssen sich einige Unverbesserliche an den Anblick ihre Neigung offen zeigender Nationalisten und deren Symbole nach wie vor gewöhnen. Noch immer kann es passieren, dass Menschen allein dafür, was sie sind und wie sie fühlen, von linken Jugendlichen angefeindet werden. Auf dem flachen Land ist man da längst weiter. Gelebte Toleranz gegenüber Patriotismus, Chauvinismus und Deutschtum ist hier, wo man weder das Fremde noch das Wort sonderlich schätzt, traditionell kein Fremdwort mehr.

Aber natürlich ist vieles in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern jedoch noch gold, genau deswegen ist unser wunderbares Land ja auch so liebens-, lobens- und feiernswert. In Aserbaidschan zum Beispiel müssen Nationalisten sich klammheimlich auf Straßen, Marktplätzen und in Mehrzweckhallen treffen, wo sie sich aus Sicherheitsgründen nur in großen Massen versammeln. Auch die gute alte Faschistensauna ist weiterhin ein beliebter Rückzugsort. Doch „Rückzug“ sollte eigentlich ein Unwort sein, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

9 Kommentare

 / 
  • C
    Chesterfield

    Die Zeit der proletarischen Dumpfbacken ist wieder da.Nun schwingen sie ihre Fähnchen ohne die Bedeutung der Farben schwarz-weiss-rot überhaupt zu kennen.Zurückauf die Schulbank ihr Deppen.Wo bitte bleibt euer Nationalbewusstsein,wenn eure Mannschaft verliert?Dann fliegen die Fähnchen in die Mülltonne und die Fernseher aus den Fenstern,hatten wir doch schon mal.Schluß mit dieser Deutschtümelei.Und der blöden Trine rate ich ganz bbesonders ,nochmal die Schulbank zu drücken.Allein der Gedanke,dass solche Leute wahlberechtigt sind und über das Schicksal Deutschlands mit entscheiden dürfen,läßt mir die Haare zu berge stehen.

  • RA
    ralf ansorge

    hallo vornamensvetter,du möchtest also ,dass man sich für den abbau der demokratie einsetzt statt fahnaen zu schwenken????

  • K
    kaispi

    Starker Text. Schwarzer Humor @ it's best!

  • RA
    ralf ansorge

    die "wahrheit"soll ja satire sein,ist oft auch richtig gut.dieser artikel aber ist einfach nur billig.unter jeder grösseren gruppe findest du idioten und deppen,die ziemlich unbedarft irgendwelches dummes zeug gegenüber der presse von sich geben.es waren schon castorgegner zu hören,die erzählten sie wären wegen des events dabei ünd worumes geht wäre eher egal. und wieviele typen ohne jedes geschichtswissen sich bei ehrenwerten demos gegen ausländerfeindlichkeit einklinken und über megaphone krudestes zeug von sich geben,da kann man nur verzweifeln.deshalb ist die sache aber trotzdem wichtig.und die zweijährlich wiederkehrende patriotismuswelle,ist einfach (kann man sich aussuchen)schön,harmlos,lustig,egal.übrigens lachen sich holländer,briten,franzosen u. a.wahrscheinlich kaputt über solche sehr deutsche debatten.zumal die gegner des fähnchenschwenken deutscher sind als sie denken,dieses verkrampfte,humorlose,immer pessimistische das man in diesem milieu oft antrifft,furchtbar...

  • K
    KlausK

    Und das Fahnenmeer an all den OPEL Corsa und den alten VW Polo!

    Da reichen die Fenster und Außenspiegel nicht, um Nationalstolz zu zeigen. Bin gespannt, wann die ersten die Windschutzscheiben beflaggen. Kann nicht mehr lange dauern!

  • R
    Ralf

    Wenn die ganzen Narren mit Ihren Fähnchen(Sorry, bin kein Linker pöbler und schaue trotzdem gern Fußball),sich einmal so zahlreich für Ihre

    Rechte und für den Abbau der Demokratie eisetzen würden und so zahlreich auf die Sraße gehen würden.....dann wäre einiges in Deutschland besser!Aber nö... hauptsache Saufen,Gröhlen und Party..eh wie goil.....wieder scheiße gespielt.. aber

    hauptsache gewonnen!Was juckt mich der abbau der Grundrechte...hauptsache Party!

     

    Schwingt Euer Fähnchen..... Mutti und die Hochfinanz sind sehr erfreut ..ja Sie lieben Euch geradezu! "Denn Du bist Deutschland"!

  • A
    anke

    Jo mei! Da könne' die Bayern ja richtig froh sei', dos se no niemanden um'bracht hom, gel? I moin jo blos: Die san halt nie no' net Deutsche g'wesen, die Bayern. Schon glei' gor net zwischen 1933 und 1945. Und g'nau deswegen düfets die jetz' auch stinkend reich wer'n mi'm Verkauf ihrer Fanartikel, ohne dass sich irgendwer künstlich darüber aufregt. Genau wie die Dortmunder übrigens. Und natürlich alle anderen Vereine.

  • A
    artemidor

    Auch wenn mir nicht klar ist, warum Ihnen zum Thema Nationalismus in Deutschland gleich die Ermordung der Juden einfällt (nicht jeder Nationalismus führt zum Genozid, und nicht jeder Genozid ist auf Nationalismus zurüpckzuführen), nur ein Hinweis: Der Spruch mit "Schuss - Russ / Tritt - Brit" etc. stammte aus dem ersten Weltkrieg - und da waren alle kriegführenden europäischen Nationen nicht zimperlich in ihren Nationalismen. Beispielsweise hat der doch so gern geschätzte Rudyard Kipling ("Dschungelbuch") die Deutschen als Ungeziefer bezeichnet, das ausgerottet werden muss.

  • D
    diablo

    das schönste an einer europameisterschaft beziehungsweise einer

    weltmeisterschaft ist jedesmal die tatsache, dass einige intolerante linke subjekte ihr hassverzerrtes gesicht zeigen und sich so richtig schön aufregen. herrlich! differenziert wird natürlich nicht. als beispiel und somit als symbol für alle deutschlandbegeisterten fußballfans wird natürlich eine unwissende, etwas dümmlich wirkende frau dargestellt. die botschaft lautet: ihr seid alle dumm, ungebildet und uns sowieso moralisch unterlegen. patriotismus wird wie üblich mit chauvisnismus, nationalismus, am besten gleich noch mit antisemitismus gleichgesetzt. das übliche geistlose programm eben. man stelle sich vor, deutschland erreicht tatsächlich das finale. wie groß muss der linke hass bis dahin wohl gewachsen sein? :-D