„Charlie Hebdos“ Vermächtnis: Die falsche Toleranz
Warum die Blasphemie des Magazins nichts mit Rassismus zu tun hat: Postum erscheint das Manifest des „Charlie“-Herausgebers Stéphane Charbonnier.
Zwei Tage vor dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo hatte Stéphane Charbonnier, genannt Charb, ein kleines Büchlein zu Ende geschrieben, das jetzt wie ein politisches Vermächtnis des Karikaturisten in den Buchhandel gelangt. Charb war zusammen mit elf anderen Personen beim Anschlag von den beiden islamistischen Terroristen Saïd und Chérif Kouachi erschossen worden.
„Wir haben Charlie Hebdo getötet“, riefen am 7. Januar die Attentäter, die angeblich mit ihrer Bluttat die Beleidigung des Propheten durch Mohammed-Zeichnungen rächen wollten. Sie sind jedoch auf der Flucht selbst getötet worden, und das freche und gelegentlich blasphemische Charlie Hebdo haben sie erst recht nicht zum Schweigen gebracht. Charbs kritische Stimme ertönt nun mit diesem postum veröffentlichten Manifest weiter.
Es trägt den Titel „Lettre aux escrocs de l’islamophobie qui font le jeu des racistes“, was man mit „Offener Brief an die Hochstapler der Islamophobie, die den Rassisten den Weg ebnen“ übersetzen kann. Er attackiert darin als notorische Feinde von Charlie nicht nur Islamisten und andere reaktionäre Fundamentalisten, sondern auch die Medien, die aus falsch verstandener Toleranz oder aus Angst vor Reaktionen jede Blasphemie verwerfen und die Kritik am Islam als Form von Rassismus ablehnen.
„Wenn man argumentiert, dass man über alles lachen kann außer über bestimmte Aspekte des Islam, weil die Muslime da viel empfindlicher sind als der Rest der Bevölkerung, was ist das anderes als Diskriminierung?“
Politisch unkorrekt oder „islamophob“
Wie in einem Brief üblich beginnt das Buch mit eine Anrede, in der Charb vorausschickt, für wen er im Speziellen schreibt: „Wenn du glaubst, die Kritik an Religionen sei Rassismus; wenn du meinst, ’Islam‘ sei der Name eines Volks; wenn du meinst, man dürfe über alles lachen, nur nicht darüber, was dir heilig ist; wenn du glaubst, Blasphemisten zu verurteilen, werde dir das Tor zum Paradies öffnen; wenn du meinst, Humor sei unvereinbar mit dem Islam …“
Die Liste ist viel länger und stellt eine Zusammenfassung des Buchs dar, das sich mit all den Vorteilen und Vorwänden befasst, die nicht nur radikale Islamisten, sondern oft auch wohlmeinende Gutmenschen von links dazu dienten, die Karikaturen in Charlie Hebdo als politisch unkorrekt oder „islamophob“ zu verurteilen.
Diese Kritik des bewusst missbräuchlich verwendeten Begriffs der „Islamophobie“ ist der eigentliche Anlass dieses Buchs: „Diejenigen, die den Zeichnern von Charlie Hebdo jedes Mal, wenn eine Figur einen Bart trägt, Islamophobie vorwerfen, sind nicht nur unaufrichtig oder böswillig, sie liefern damit dem sogenannten radikalen Islam Unterstützung“, schreibt Charb, der in dieser Polemik auf einer klare Trennung zwischen der Religion und den Gläubigen besteht. Mit dem Kampfbegriff „Islamophobie“ versuchen laut Charb islamistische Extremisten andere Muslime auf ihre Seite zu ziehen.
Zu Unrecht sah er sich von Gläubigen angegriffen, die ihre Religion als bloßen Vorwand für politische Ziele benutzen : „Das Problem ist weder der Koran noch die Bibel, diese einschläfernden, inkohärenten und schlecht geschriebenen Romane, sondern der Gläubige, der den Koran oder die Bibel liest wie die Montageanleitung eines Ikea-Möbels.“
Die entscheidende Differenz
So legitim oder notwendig es für ihn ist, im Land der Aufklärung den Islam oder jede andere Religion oder Ideologie zu kritisieren, so eine grundverschiedene Sache ist es, Gläubige wegen ihrer Religion oder Herkunft zu diskriminieren oder zu attackieren.
Das ist die entscheidende Differenz zwischen Blasphemie und Rassismus, die übrigens auch die französische Justiz in ihrer Rechtsprechung stets macht, indem sie selbst zwischen einer (vom französischen Recht tolerierten) Beschimpfung von Ideen oder historischen Figuren einerseits und der (gerichtlich geahndeten) Beleidigung von lebenden Mitbürgern oder der Anstachelung zu Rassenhass unterscheidet. Wer von diesem Rassismus gegen Mitbürger ablenke und zur ideologischen Frage der Religion führe, arbeite den Apologeten der „Islamophobie“ und letztlich den Rassisten in die Hände, lautet Charbs Postulat.
Am Rande polemisiert Charb auch postum mit dem konservativen Expräsidenten Nicolas Sarkozy, dem er vorwirft, mit der von ihm initiierten Debatte über die „nationale Identität“ vielen Rassisten und „Idioten“ die letzte Hemmung genommen zu haben.
Vieles in diesen engagierten Ausführungen mag auf den ersten Blick wie eine pedantische Wortklauberei tönen. Doch bei genauerem Hinsehen geht es um ein Kernproblem der französischen Gesellschaft, die parallel den Kampf gegen den islamistischen Terror, gegen den grassierenden Rassismus und für die Integration der weiterhin marginalisierten Muslime in der weltlichen Gemeinschaft der Republik organisieren soll.
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