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Bouteflika vor dem AusSanfter Putsch in Algerien

Der Zusammenhalt der Machtelite um Präsident Bouteflika bröckelt. Eine zentrale Rolle könnte nun Senatspräsident Bensalah zukommen.

Übernimmt er das Amt des Präsidenten? Senatspräsident Abdelkader Bensalah Foto: reuters

Oran taz | Algeriens Protestbewegung gibt sich unnachgiebig und fordert auch nach der Einmischung des Militärs weiter einen tiefgreifenden Systemwandel. Ihre Forderung nach der Absetzung von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, die offenbar kurz bevorsteht, könnte sich allerdings als Bumerang erweisen: Die mit Bouteflikas Clan rivalisierenden Fraktionen im Machtapparat drängen zurück an die Schaltstellen der Macht. Sie stellen die Weichen für einen regimeinternen, sanften Putsch.

Am Dienstag hatte Armeechef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah seine bisherige Zurückhaltung aufgegeben und sich für die vorzeitige Absetzung des gesundheitlich angeschlagenen Bouteflikas ausgesprochen. In einer viel beachteten Ansprache forderte der General die Anwendung von Artikel 102 der algerischen Verfassung, nach dem das Staatsoberhaupt für regierungsunfähig erklärt werden kann. Damit wird ein von mächtigen Kreisen innerhalb des Sicherheitsapparates gelenkter Übergangsprozess immer wahrscheinlicher.

Zwar würde durch die Anwendung des Artikels der Weg frei gemacht für ein vorzeitiges Ende der Präsidentschaft Bouteflikas, der seit 1999 an der Macht ist. Doch die Erklärung des Armeechefs riecht nach direkter politischer Einmischung des Militärs. Salahs Initiative sei ein „machiavellistisches Manöver“, schreibt der Aktivist und Präsident des Jugendverbandes RAJ, Abdelwahab Fersaoui, auf seiner Facebook-Seite. Die Rückkehr zur aktuellen Verfassung ziele darauf ab, die Protestbewegung zu ersticken und das System zu reproduzieren.

In der Tat mutet der Vorstoß des Armeechefs, der betonte, die Verfassung zu beachten, grotesk an. Schließlich hatte die hinter Bouteflika stehende Staatsführung Mitte März angekündigt, von eben jenem verfassungsrechtlichen Pfad abweichen zu wollen. In einem Brief in Bouteflikas Namen hatte sie verkündet, dass ein Übergangsprozess eingeleitet und die für April geplante Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit verschoben würde. Bouteflika selbst würde in Zukunft nicht erneut antreten. Der damalige Regierungschef Ahmed Ouyahia trat zurück.

Ex-Regierungschef fordert Rücktritt

Nun obliegt es dem Verfassungsrat, nicht der Armee, die Bestimmungen von Artikel 102 einzuleiten. Stellt dieser fest, dass der Staatschef „aufgrund schwerwiegender oder andauernder Krankheit völlig unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen,“ kann das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit den Vorsitzenden des Senats – des Oberhauses des Parlaments – für eine Dauer von 45 Tagen als „geschäftsführenden“ Präsidenten einsetzen. Hält die Verhinderung des Präsidenten an, könnte das Amt für vakant erklärt werden. Eine Neuwahl müsste folgen.

Ein anderer Weg wäre ein Rücktritt Bouteflikas. Einen solchen forderte am Mittwoch der entlassene Ex-Regierungschef Ouyahia in einer aufsehenerregenden Stellungnahme. Die von ihm geführte Regierungspartei RND, die zusammen mit der Partei FLN regiert, wird zwar von Flügelkämpfen erschüttert. Doch die von Ouyahia geführte Fraktion, der enge Verbindungen zum Geheimdienstapparat nachgesagt werden, könnte von Bouteflikas Absetzung profitieren. Möglicherweise stellt sie sich wie bereits Ende der 1990er Jahre wieder als führende zivile politische Kraft innerhalb des Regimes auf.

Ob Absetzung oder Rücktritt: Eine zentrale Rolle könnte Senatspräsident Abdelkader Bensalah zukommen, der aller Voraussicht nach als geschäftsführender Präsident eingesetzt wird. Bensalah entstammt Ouyahias RND und würde bei der Organisation von Neuwahlen eine wichtige Rolle spielen. Unklar bleibt derweil, ob nach den jüngsten Entwicklungen weiter Hunderttausende auf die Straße gehen werden. Für Freitag wurde erneut zu landesweiten Protesten aufgerufen.

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1 Kommentar

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  • Tippfehler: Boutef ist seit 1999 Präsident, nicht seit 1990.