Bildungslobbyist über Schultrojaner: "Lehrer sind wütend und enttäuscht"
Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Vereins Bildung und Erziehung, über Plagiatssoftware für Schulen und Lehrer, die unter Generalverdacht stehen sollen.
taz: Herr Beckmann, man wollte Ihnen die Bedenken gegen die Plagiatssoftware wegmassieren. Kann das gelingen?
Udo Beckmann: Nein, denn ich finde der ganze Ansatz des Misstrauens und Kontrollierens ist falsch. Ich erwarte weiter eine klare Ansage von den Kultusministern, dass sie einen anderen Weg einschlagen. Unsere Dienstherren dürfen keine so genannte Plagiatssoftware zulassen, um LehrerInnen als vermutliche Raubkopierer zu enttarnen.
Das heißt: Darf die Software kommen?
Auf keinen Fall. Wir brauchen eine Alternative. Zum Glück ist der Konflikt um den 'Schultrojaner' heute entschärft worden. Ich begrüße es, dass in den kommenden Monaten zwischen den Verhandlungspartnern mögliche Alternativen zu einer Plagiatssoftware diskutiert werden. Vor allem werden wir Lehrerverbände frühzeitig eingebunden.
Wie kann die aussehen?
Wir sollten das Pferd nicht von hinten aufzäumen und nachträglich kontrollieren, ob jemand Lehrwerke kopiert hat. Die Kultusminister und die Schulträger müssen vorher die finanziellen Bedingungen schaffen, damit die Schulen die notwendigen Lizenzen erwerben können. Dass in Deutschland die Bildungsfinanzierung internationalen Vergleichen nicht standhält, ist doch in den Schulen mit Händen zu greifen.
Die Bildungsminister der Länder, die Schulbuchverlage sowie die Verwertungsgesellschaft VG Wort wollen noch einmal nach Alternativen zur umstrittenen Spähsoftware suchen. Auch die Lehrerverbände, die den Schultrojaner stark kritisieren, sollen eingebunden werden. Das berichtet Stefan Avenarius, Vertreter des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen, nach einem Gespräch zwischen Kultusministern und Verlagen am Dienstagnachmittag.
"Wir werten das als Erfolg, damit kehrt eine gewisse Beruhigung ein." Die Kultusminister hatten mit der VG Wort und VG Musikedition im Dezember 2010 einen Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen unterzeichnet. Darin ist unter anderem geregelt, dass die Verlage den Kommunen und Schulträgern "auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung stellen, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können." Dieser Vertrag soll aber nicht außer Kraft gesetzt werden.
Auch die Lehrerverbände würden anerkennen, dass die Verlage eine Kontrollinstanz bräuchten, meint Avenarius. Selbst wenn es bei der Software bliebe - vor 2013 würde sie auf keinen Fall kommen, hieß es am Dienstag. Sie müsste ja zunächst programmiert und danach den Datenschützern der Länder vorgelegt werden. (ALE)
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Udo Beckmann leitet die zweitgrößte deutsche Lehrergewerkschaft "Verband Bildung und Erziehung". Er ist von Hause aus Physik-Lehrer.
Was heißt das konkret?
Wenn Lehrer einen reichhaltigen Unterricht anbieten wollen, dann darf man sie eben nicht durch knappe Kassen dazu bringen, sich Sachen selbst zu organisieren. Sehen sie, allein wegen der veralteten Bücher oder unzureichender Klassensätze müssen Lehrer aus Aktualitätsgründen doch Kopien herstellen. Die Schulträger müssen das also bezahlen und dürfen es nicht bestrafen, so heißt unsere Maxime.
Und wie geht es weiter, wenn Verlage und KMK doch an der Lehrer-Überwachungssoftware festhalten?
Wir werden nicht locker lassen, dagegen zu kämpfen. Wir werden die Datenschutzbeauftragten anrufen, damit sie prüfen, was da eigentlich programmiert wird. Wenn Lehrer damit kriminalisiert werden oder wenn man auf ihre persönlichen Daten zugreifen kann, dann werden wir das verhindern.
Wie geht es den Lehrern mit der Kontrollsoftware?
Sie sind erbost. Sie sind wütend und enttäuscht, dass in den Schulen Methoden eingesetzt werden sollen, die sie durchleuchten und ihnen die Arbeit erschweren. Von Lehrern wird - seit Pisa umso mehr – erwartet, ihren Schülern einen spannenden und fördernden Unterricht mit vielen verschiedenen Methoden und Aufgaben zu bieten. Sie sind bestrebt, die Urheberrechte zu respektieren – und merken, dass sie dennoch unter Generalverdacht gestellt werden. Dagegen verwahren sich die Lehrer, und wir tun das auch.
IT-Experten sagen, ein Schultrojaner, der nur nach Lehrwerken sucht, ist gar nicht programmierbar. Eine solche Software muss notwendigerweise alle Textdateien in einem Rechner scannen, um elektronische Kopien von Schulbüchern zu identifizieren.
Genau da liegt das Problem. Man hätte die Datenschutzbeauftragten viel früher einbeziehen müssen. Der ganze Aufwand lohnt sich doch gar nicht, wenn eine Plagiatssoftware nicht unbedenklich programmierbar ist. Die Kultusminister müssen umkehren. Ich verstehe die Schulbuchverlage, dass sie Erlöse für ihre Produkte erzielen wollen. Dafür gibt es aber eine ganze schlichte Lösung: Gebt den Schulen das notwendige Geld, so dass sie Lehr- und Lernmittel und die Lizenzen für die Lernsoftware zur Individualisierung des Unterrichts kaufen können.
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