Frenetische Gedenktassen

Vor einem Jahr raste Lady Di in den Tod, vor hundert Jahren wurde Österreichs Sissi erstochen. Zwei Todesfälle, die aus Berufsaristokratinnen unsterbliche Mythenfiguren gemacht haben. Doch was die Geschichte auch zeigt: Nicht jede Prinzessin taugt zur veritablen Herzenskönigin  ■ Von Reinhard Krause

Ausgerechnet ein Franz Joseph gab mir den Anstoß zu einem neuen Verständnis königlicher Ausstrahlung. Der nämlich fragte eines Abends in eine heitere Runde hinein: „Habt ihr gestern auch die Sendung über Königin Silvia gesehen?“ Verblüfft starrten ihn alle an, doch während die eine Hälfte in reglosem Unverständnis verharrte, kam in die andere plötzlich hektische Bewegung. Begeisterungs- und Igitt-Rufe schwirrten durch den Raum. Franz Joseph aber schoß den Vogel ab: „Königin Silvia“, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen, „ist ja so unnatürlich!“ Jubel brandete auf. Ausgerechnet die mütterliche und stets auf Beiläufigkeit bedachte Schwedenkönigin als unnatürlich zu bezeichnen, dazu gehörte Chuzpe.

Und doch: Hatte er nicht recht? Handelte es sich bei Silvias würdevoller Ausgeglichenheit nicht tatsächlich um eine höchst langweilige Mischung aus Phlegma und einfallsloser Erfüllung protokollarischer Pflichten? Eine richtige Herzenskönigin, waren sich an jenem Abend alle einig, sieht anders aus. Aber wie? Lebendiger? Gequälter? Was hat Königin Beatrix, was Königin Silvia nicht besitzt und wovon die Infantinnen des spanischen Hofes nicht einmal zu träumen wagen?

Eine der ersten Königinnen, deren Leben mit frenetischer Volkesliebe verfolgt und mit Gedenktassen gewürdigt wurde, war die Preußenkönigin Luise (1776 bis 1810). Der junge Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm III., ein schüchterner und durch militärische Erziehung gehemmter junger Mann, entflammte für die siebzehnjährige Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. 1793 erlebte Berlin den seltenen Fall einer königlich-preußischen Liebesheirat. Berlin stand kopf, als die Prinzessin eintraf – kein Wunder, denn sowohl Friedrich der Große als auch Friedrich Wilhelm II. hatten ihre Gemahlinnen von sich und der Öffentlichkeit stets ferngehalten. Schon bei der Begrüßung verstieß Luise allerdings gegen die Etikette und küßte ein Blumenmädchen, was ihr einen Verweis durch die Oberhofmeisterin und die Zuneigung der Berliner einbrachte. Luise war auch die erste, die – shocking! – am preußischen Hof Walzer tanzte. Ein frischer Wind durchwehte das militärische Preußen.

Der Luisenkult setzte jedoch erst unter dem Eindruck der Bedrohung ein. Auf der Flucht vor der napoleonischen Armee kam es 1807 in Tilsit zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen Luise und Napoleon Bonaparte. Der König, nicht in der Lage zu diplomatischen Friedensgesprächen, schickte seine politisch unerfahrene Frau in die Verhandlungen.

Ein um so quälenderes Ansinnen, als Bonaparte zuvor in Berlin Luises geheime und von erotischen Untertönen durchzogene Korrespondenz mit Zar Alexander vorgefunden und voll Häme publik gemacht hatte. Die Tilsiter Verhandlungen waren für Luise also eine dreifache Zumutung: Als Gesandte eines Königs, der sich hinter ihr versteckte, verhandelte sie mit einem indiskreten Besieger und mußte darüber hinaus noch die Anwesenheit des untreuen Kriegsgewinnlers Alexander ertragen. Der nämlich hatte Preußen in den Krieg gegen Frankreich gedrängt und erhielt von Napoleon preußische Provinzen zugesprochen.

Doch obgleich auch Luise bei dem „höllischen Wesen“ keinerlei Konzessionen für Preußen erreichen konnte und sich drei demütigende Jahre im Königsberger Exil für sie anschlossen, wurde sie zu einer Heroine preußischer Standhaftigkeit erhoben. Für das traumatisierte Land wurde sie über ihren frühen Tod hinaus zur Verkörperung von Haltung und Anmut.

Gegen Elisabeth von Österreich (1837 bis 1898) war Luise freilich eine zutiefst vormoderne Erscheinung. Elisabeth war die erste Blaublütige, die auf der Klaviatur der Medien zu spielen verstand und völlige Kontrolle über ihr öffentliches Bild anstrebte. Ähnlich wie Luise gelangte auch Elisabeth bereits als Sechzehnjährige durch Liebesheirat mit dem konservativen Kaiser Franz Joseph I. von Österreich an einen von Etikette beherrschten Hof. Ihre gelegentliche Auflehnung gegen das Zeremoniell wurde allerdings früh durch einen tragischen Vorfall gebrochen. Gegen den Widerstand der Schwiegermutter nahm sie 1857 ihre Töchter auf eine Ungarnreise mit. Die ältere Tochter, Sophie, starb während dieser Reise an den Folgen einer Durchfallerkrankung. Mit Schuldgefühlen belastet, überließ Elisabeth fortan die Erziehung ihrer Kinder dem höfischen Regime.

Auch bedurfte es diverser Ehekrisen, bis die junge Kaiserin begann, ihre körperliche Ausstrahlung in den Mittelpunkt ihres eigenen Interesses zu rücken. Dann jedoch stilisierte sie sich zum attraktiven Haarwunder und zur zeitlosen Schönheit. Die endlosen Stunden bei der kaiserlichen Friseurin nutzte Elisabeth zum Erlernen des Ungarischen sowie des Neu- und Altgriechischen. Um noch beeindruckender zu erscheinen, hungerte sie und schnürte sich auf einen Taillenumfang von 48 Zentimeter herunter – Elisabeth gilt als das erste königliche Opfer der Magersucht.

Die Attraktivität Elisabeths trug aber durchaus auch herbe Züge. Die Fotografien, die sie von sich anfertigen ließ, zeigen meist einen verhetzten Zug um die Mundwinkel. Stets lächelte sie mit geschlossenem Mund, auch ihre Sprache war häufig bis zur Unverständlichkeit leise – nicht aus Befangenheit, sondern wegen des unschönen Zustands ihrer Zähne.

Im Alter von dreißig Jahren beschloß Elisabeth, sich nicht mehr fotografieren zu lassen. Die letzte Porträtreihe entstand 1867 aus Anlaß ihrer Krönung zur Königin von Ungarn. Das öffentliche Bild Elisabeths wurde über die folgenden dreißig Jahre mit dem schmalen Bestand von einem guten Dutzend Fotositzungen aus den sechziger Jahren bestritten – mit dem Resultat, daß die stets aufs neue retuschierte und zu immer neuen Bildmontagen kombinierte Elisabeth für die Öffentlichkeit schließlich jünger aussah als ihre Schwiegertochter.

Wegen ihres Eintretens für die Interessen Ungarns wurde Elisabeth dort zu Lebzeiten glühender verehrt als im alpinen Kaiserreich – ihre österreichischen Untertanen fanden allerdings auch wenig Gelegenheit, der Monarchin ihre Ergebenheit zu beweisen, denn die Reisetätigkeit Elisabeths war legendär. Ausgedehnte Ausflüge nach Madeira, England oder Ägypten gestatteten ihr die nötige räumliche Distanz, um mit dem kaiserlichen Gemahl in freundschaftlichem Plauderton zu korrespondieren. In der Abwesenheit vom Hof, dessen aufreibende Zeremonien sie früh zu meiden begann, hatte Elisabeth ihre Form des Widerstands gefunden.

Eine tragische Aura erwarb sie sich durch den Selbstmord ihres Sohnes und ihre Seelennähe zum unglücklichen König Ludwig II. von Bayern, einem Vetter zweiten Grades. Vollends zum Mythos freilich wurde die ewig junge Kaiserin, als sie mit sechzig Jahren von einem Anarchisten niedergestochen wurde und im Genfer Hotel Beau Rivage ihrer Verletzung erlag. Erst nach Jahrzehnten sickerte durch, daß bei der Obduktion der Kaiserin Hungerödeme und – wie entsetzlich! – eine Tätowierung festgestellt worden waren.

Zwei Generationen nach ihrem Tod bemächtigte sich der deutsche Kostümfilm der österreichischen Kaiserin und gab dem Sissi-Kult seine endgültige Gestalt. Seufzen und schmachten ist seither die adäquate Ausdrucksform royalistischer Bedürfnisse – dies um so mehr, als die Gunillas und Iras dieser Republik an öffentlicher Leidensfähigkeit und masochistischer Zerrissenheit zu wünschen übrig ließen. Romy Schneider hingegen war Sissi. Ob sie in späteren internationalen Filmen masturbierte oder in deutschen Talkshows Burkhard Driest anbaggerte – das deutschsprachige Publikum nahm es als Hochverrat am Bild der allzeit guten, in Schönheit und Stille leidenden Sissi.

Auch der Lebensweg von Lady Di, des bislang letzten königlichen Superstars, folgt gängigen Mustern wie aus der Feder ihrer Stiefgroßmutter Barbara Cartland: Junge Frau aus altem, aber nicht allererstem Adel heiratet einen staubtrockenen Thronfolger, bewirkt für kurze Zeit ein Auftauen des verkrusteten Hofes, sorgt für königlichen Nachwuchs und erstickt schließlich doch an der Enge der Prinzessinnenrolle.

Gewiß, die Prinzessin von Wales gab eine perfekte Identifikationsfigur für Millionen lebenslustiger Frauen in langweiligen Ehen mit öden Männern und ätzenden Schwiegereltern. Auch sie tanzte gern in teuren Kleidern zu billiger Musik. Mit dem Unterschied, daß Diana nicht von heute auf morgen die Scheidung einreichen konnte, dafür aber noch im tiefsten Leid und auf dem verwackeltsten Paparazzifoto perfekt frisiert und irgendwie beneidens- und bemitleidenswert aussah. In Zeiten des medialen Authentizitätswahns war Diana stets „die Gute“, ob sie nun gerade austeilte oder einsteckte. Diana erweckte den Anschein, sich vom „Glanz der Krone“ nicht blenden zu lassen und trotzdem auf romantischen Idealen zu beharren. So wie sie hätte es die kleine Frau von der Straße auch gehalten. Nie wirkte Diana trampelig wie ihre Exschwippschwägerin, die larmoyante Herzogin von York, die überall herumposaunte, vom Schuhetauschen mit Diana habe sie Warzen bekommen.

Eine eheliche Verbindung mit „Dodi“, darüber mußte sich Diana im klaren sein, hätte ihr strahlendes Image ramponiert. Und dieser Preis wäre ihr, die sich in ihren letzten Jahren durchaus im Glanz politischer Einflußnahme sonnte – Stichwort Landminenverbot –, vermutlich zu hoch gewesen. Den Falschen heiraten? Kommt in den besten Familien vor. Aber einen „Ausländer“, einen „Farbigen“ gar? Nicht unbedingt der Stoff, von dem die Massen mitfühlend träumen. Durch den gemeinsamen Unfalltod mit dem Geliebten kam alles wieder ins Lot. Irgendwie war's ja auch ein zutiefst romantisches Ende. Die böse Schwiegermutter mußte Halbmast flaggen, und Elton John sang „Good-bye, England's rose“. Nur die islamische Welt raunte, nicht weniger romantisch, Verschwörungstheorien.

Dabei gibt es noch ganz andere Fragen zu klären: Wieso reifen männliche Thronfolger zu erloschenen Trantüten heran, für die sich mit Recht kein Mensch interessiert, und wieso fallen Prinzgemahle, sofern sie auch nur einen Funken Leben und Anstand im Leibe haben, in tiefe Depressionen? Und schließlich: Sind diese Leute eigentlich krankenversichert?