Angefahrenes Kind in China: Zweimal überfahren und liegengelassen
Das Kleinkind Yue Yue wurde bei einem Unfall schwer verletzt - helfen wollte zunächst niemand. Der Fall hat eine Debatte über den Zustand der Gesellschaft in China ausgelöst.
PEKING taz | Yue Yue hat es nicht geschafft. Das zweijährige Mädchen, dessen Schicksal in dieser Woche ganz China erschüttert und eine Debatte über die Kälte der Gesellschaft ausgelöst hat, ist in der Nacht zu Freitag gestorben.
Ein Film aus einer Überwachungskamera, der im Internet kursiert, hatte das schreckliche Ereignis festgehalten: Die Bilder zeigten, wie das Mädchen in einer engen Straße der südchinesischen Stadt Foshan auf der Fahrbahn läuft.
Ein weißer Lieferwagen fährt direkt auf sie zu, stößt sie um und rollt mit den Vorderreifen über sie hinweg. Der Fahrer hält an - aber nicht, um auszusteigen und dem Kind zu helfen. Stattdessen startet er wieder, überfährt sie erneut mit dem Hinterreifen und rast davon.
Sie liegt minutenlang auf dem Pflaster, ein weiteres Auto überrollt sie, ohne anzuhalten, 17 Passanten gehen vorbei, ohne sich um das Kind zu kümmern, bis schließlich eine Frau kommt und es zur Seite zieht. Als das Kind endlich ins Hospital kommt, versagen nacheinander Organe und Hirn.
Als sich die Nachricht von Yue Yues Tod am Freitag verbreitet, nehmen Millionen Chinesen Anteil - und verbinden das mit Kritik an ihrer Gesellschaft. "Was ist nur los mit uns, dass wir so etwas zulassen?", ist die dominierende Frage.
Müllsammlerin, die zur Heldin wurde
"Wird der Tod des Mädchens das Gewissen der Menschen wachrütteln?", schreibt ein Kommentator auf dem chinesischen Portal Netease und antwortet: "Nein, das wäre sinnlos, es müsste das Gewissen der Mächtigen wachrütteln."
In Webforen wurde in den vergangenen Tagen über die Gründe debattiert, warum sich niemand um das Kind kümmerte - bis auf die Frau, die es schließlich aufhob. Es ist eine Müllsammlerin, die zur Heldin wurde, obwohl sie sagt, sie habe nur getan, was recht sei.
Beide Fahrer wurden inzwischen festgenommen. Einer soll gesagt haben: "Wenn sie tot ist, muss ich wahrscheinlich nur 20.000 Yuan (2.200 Euro) Entschädigung zahlen, aber wenn sie verletzt ist, könnte mich das Hunderttausende kosten." Für viele Chinesen ist dies ein Beleg, dass die Gesellschaft in ihrem Streben nach materiellem Fortschritt ihre Seele verloren habe.
Andere erklären sich die Reaktion mit dem Fehlen von Religion und Moral. Auf eine Umfrage, ob sie geholfen hätten, erklärt eine Mehrheit, sie hätte auch nicht eingegriffen aus Furcht, für ihre Hilfe Ärger zu bekommen.
Die stets genannte Begründung ist ein Fall von 2006: Damals half ein Mann einer alten Frau in Nanjing, die gestürzt war, und brachte sie ins Krankenhaus. Die Frau erklärte später, er sei schuld an ihrem Sturz.
Das Gericht verurteilte den Mann zu 5.000 Euro Strafe, obwohl es keine Beweise gab. Begründung: Der Mann könne nur aus schlechtem Gewissen geholfen haben, ein anderes Motiv sei undenkbar. Juristen fordern nun ein Gesetz, dass Helfer vor solchen Vorwürfen schützt.
WARNUNG: Die Aufzeichnung der Überwachungskamera ist auf Youtube zu sehen. Das Video enthält schockiernde Bilder, die nicht für jedermann geeigent sind. Wir haben aus diesem Grund auch auf eine Einbindung des Beitrags verzichtet.
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