Amnesty-Expertin zum Völkerstrafrecht: „Keine Strafanzeigen zur Unzeit“
Das Völkerstrafgesetzbuch sei eine große Errungenschaft, auch wenn es kaum Anwendung finde, meint Amnesty-Expertin Von Braun. Denn die Gesetze würden ernstgenommen.
![](https://taz.de/picture/198062/14/reuters_0983.jpg)
taz: Frau von Braun, seit zehn Jahren gibt es in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch. Ist das für Sie eine Erfolgsgeschichte oder eine Enttäuschung?
Leonie von Braun: Für mich ist es eine klare Erfolgsgeschichte. Schon die Existenz des Gesetzes ist eine Errungenschaft. Es ermöglicht die Bestrafung von Völkermord, Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen durch deutsche Gerichte, auch wenn keine Deutschen als Opfer und Täter beteiligt waren.
Es gibt bisher aber nur einen Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei Milizenführer aus dem Kongo ...
Dass es diesen Prozess überhaupt gibt, ist schon ein großer Erfolg. Er zeigt, dass die deutsche Justiz das Gesetz ernst nimmt und anwendet. Der Kongo ist einer der größten Krisenherde weltweit, deshalb ist dieser Prozess von immenser Bedeutung und wird von Menschenrechtsorganisationen weltweit beobachtet.
Ist es wirklich schon ein Erfolg, wenn ein Gesetz nicht nur im Gesetzbuch steht, sondern tatsächlich einmal angewandt wird?
Ja, leider ist das so. Es hat einige Lobbyarbeit bedurft, bis es arbeitsfähige Strukturen bei der Bundesanwaltschaft und beim Bundeskriminalamt gab. Und dann haben Menschenrechtsorganisationen in diesem Fall viele Beweise zunächst selbst gesammelt, um die Bundesanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu überzeugen. Jetzt aber kann die Justiz in diesem Verfahren Erfahrungen sammeln, die auch in Zukunft von großem Wert sein werden.
Braucht die Bundesanwaltschaft mehr Personal für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Völkermord?
Nicht generell. Aber wenn es konkrete Fälle gibt, die aufwändige Ermittlungen erfordern, dann muss das entsprechende Referat schnell mit Personal aus anderen Bereichen aufgestockt werden - so wie man es bei anderen Kriminalitätsformen auch handhabt.
Fälle gibt es doch genug. Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Strafanzeigen gestellt, die aber nicht zu Ermittlungen führten, etwa gegen Ex-US-Verteidigungsminister Rumsfeld wegen seiner Verantwortung für Guantanamo und den irakischen Folterknast Abu Ghraib...
Ich verstehe die Enttäuschung über die Nichtbearbeitung dieser Anzeigen. Aber man darf auch keine übertriebenen Erwartungen haben. Manche Strafanzeigen können, wenn sie zur Unzeit kommen, mehr Schaden anrichten als sie nutzen.
Sie fanden diese Strafanzeigen also falsch.
Nein, in der Sache haben sie durchaus ihre Berechtigung. Zudem sind die Begründungen der Bundesanwaltschaft, warum sie nicht ermittelt hat, oft an den Haaren herbeigezogen. Aber man sollte ein wichtiges neues Gesetz zunächst nicht mit Fällen belasten, die absehbar große politische Verwicklungen mit sich bringen. Sonst ist das Gesetz im Nu wieder entschärft, wie die Erfahrung in Belgien und Spanien gezeigt hat.
Sie sind also froh, dass das deutsche Völkerstrafgesetzbuch überhaupt noch existiert?
Ja, ich glaube, man muss es ganz realistisch sagen: Es ist ein Erfolg, dass das Völkerstrafgesetzbuch nach zehn Jahren unverändert besteht und nun endlich angewandt wird - hoffentlich auch in weiteren Verfahren.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen