Linke-Fraktion in Hessen: Die Chaoten sind da
Ypsilanti hält sie für unzuverlässig, Koch für Kommunisten. Reden will mit der Linken im hessischen Landtag keiner. Dabei wirken die sechs Abgeordneten bodenständig und diszipliniert.
Hermann Schaus trägt Anzug und Krawatte. Er ist Anfang 50, hat graue Haare, eine randlose Brille und sieht aus wie ein Geschäftsführer - wäre da nicht die knallrote Schultertasche mit dem Aufdruck "Die Linke". Schaus steht etwas ratlos in den verschachtelten Gängen des hessischen Landtags. Er muss zur ersten Pressekonferenz der Linksfraktion, weiß aber nicht genau, wo es langgeht. Die Abgeordnete Jeanine Wissler wundert sich, dass der Pförtner sie grüßt, obwohl er sie noch nie gesehen hat. Es ist alles noch neu.
Als die sechs Abgeordneten den Raum gefunden haben, sitzen sie inmitten von 60 Fotografen und Journalisten. Fotoapparate klacken, eine Batterie von Mikrofonen türmt sich vor den neuen Volksvertretern. "Einfach ganz entspannen", ruft ein Fotograf. Wenn das so einfach wäre. Willi van Ooyen, der wohl Fraktionsvorsitzender werden wird, setzt sich. Er hat jahrzehntelang in Frankfurt den Ostermarsch organisiert, in den Achtzigerjahren, als Chef der von der DDR finanzierten Deutschen Friedensunion. In den Neunzigerjahren, als nicht mehr 20.000, sondern 200 zum Ostermarsch kamen, hat er unverdrossen weitergemacht. Alle, die in Frankfurt mal etwas mit linker Politik zu tun hatten, kennen ihn. Jetzt schaut er auf die Wand von Kameraleuten und Journalisten und murmelt leise: "Vom Ostermarsch zum Abgeordneten " So ganz kann er diese Karriere noch nicht fassen. Dann verhaspelt er sich bei einem Witz über sein Alter. Irgendwie fehlt noch die Übung.
Vier seiner Fraktionskollegen sind wie van Ooyen älter als 50, allein Janine Wissler ist 26 Jahre alt. Sie haben vorzeigbare Berufe: Unternehmensberater, Insolvenzverwalterin, Ver.di-Gewerkschaftssekretär, Abteilungsleiter einer großen Behindertenwerkstatt und Kinderpsychologin mit eigener Praxis. Das ist wohl der größte Unterschied zu den frühen Grünen. Die Bürgerschreck-Attitüde, das hochfahrende Studentische, die Liebe zur Theorie, die kulturrevolutionäre Geste - all das fehlt. Die Abgeordneten sind gestandene bürgerliche Existenzen. Sie versichern, dass sie ohne Vorbedingungen Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen werden. Einer von ihnen, der Landesvorsitzende des Linkspartei in Hessen, Ulrich Wilken, betont die "vielen Überschneidungen mit der SPD".
Dennoch ist das Chaotenimage nicht unverschuldet - vor allem, wenn man das Debakel um Dieter Hooge bedenkt. Der ehemalige hessische Landesvorsitzende des DGB wäre ein idealer Spitzenkandidat gewesen. Die Führung wollte ihn, doch die Basis wählte stattdessen den ehemaligen DKP-Mann Pit Metz, der nach ein paar Tagen und großem öffentlichen Druck wieder verzichtete. Auch aus der Berliner Parteizentrale hört man Seufzer über die Amateure in Hessen. Deshalb hat man ihnen nach der Wahl vorsorglich Fachkräfte aus Thüringen und Sachsen-Anhalt zur Seite gestellt. Damit sich ein Flop wie in Bremen, wo die Linksfraktion sich selbst zerlegte, nicht wiederholt. Also doch eine unzuverlässige Truppe?
Ulrich Wilken ist müde. Die Sitzung des geschäftsführenden Vorstands der Partei dauert schon den halben Tag; gerade hat er sich für eine Zigarette hinaus geschlichen. Abends muss er noch in den Kreisverband Butzbach und tags darauf zum Treffen des erweiterten Landesvorstands. Was hat er seit der Wahl gelernt? "Etwas, dass ich vorher schon wusste: Fasse dich kurz".
Wilkens hat für die Weltbank gearbeitet. Zwei Jahre war er als Berater des türkischen Arbeitsministeriums in Ankara. Er ist freier Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Arbeitsorganisation. "Davon kann man sehr gut leben", sagt er. Mit Bodo Ramelow, dem Macher hinter Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, ist er seit langem befreundet. Die brüderliche Hilfe aus dem Osten empfindet Wilken nicht als paternalistisch. "Ich will die Fettnäpfchen gezeigt bekommen, in die ich reintappen kann" sagt er und lacht glucksend. "Ich wäre doch dumm, wenn ich beratungsresistent wäre." Außerdem haben die Berater aus dem Osten den Vorteil, wieder zu gehen und nicht auf Jobs in Hessen zu spekulieren.
Aber ist das Misstrauen der SPD, es bei einer Tolerierung mit einer unberechenbaren Fundi-Basis zu tun zu bekommen, unberechtigt? Ist ausgeschlossen, dass sich ein Fall Hooge wiederholt? "Nein, das kann nicht ausschließen", sagt Wilken offenherzig. "Aber so einen großen Schaden wird es nicht mehr geben." Außerdem stimme die allgemeine Lesart - Fundibasis schießt Realo-Kandidaten ab - nicht. Denn damals, nach der Vereinigung von WASG und PDS, hätte die Führung der neuen Partei geschwächelt. Außerdem sei dies eine Protestwahl der Provinz gegen Frankfurt gewesen, so etwas gebe es in Hessen manchmal. Und man habe in den Kreisverbänden zu wenig Werbung für Hooge gemacht. Handwerkliche Fehler eben, die vorkämen.
Auf Wilkens Homepage ist zu erfahren, dass Wilken die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali bewundert, auf die sich viele Rechten in Europa als Kronzeugin gegen den Islam berufen. Manchmal ist es nötig unbequem zu sein, so wie Hirsi Ali, sagt Wilken. Und dass alle, auch die Linken, "die Integration von Migranten sträflich vernachlässig" haben. Dogmatiker reden anders.
Janine Wissler sitzt in einem Restaurant in Frankfurt und stochert in ihrem Nudelgericht. Es ist Samstagabend, die Vorstandssitzung ist nach sieben Stunden zu Ende gegangen. Wissler ist die jüngste der sechs Abgeordneten und wird wohl stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Eine steile Karriere.
Seit sie 16 ist gehört sie zu "Linksruck", einer trotzkistisch inspirierten Organisation, die sich vor vier Monaten offiziell aufgelöst hat. Die Gruppe ist in der Linkspartei aufgegangen und bildet dort das "Netzwerk Marx 21". Manche frotzeln, dass Linksruck jetzt halt "Netzwerk Marx 21" heiße.
Warum ist sie in die Politik eingestiegen? Warum bei "Linksruck"? Jeanine Wissler antwortet konzentriert und bringt auch Schachtelsätze unfallfrei zu Ende. Sie erzählt von ihrem linken Elternhaus, dass sie mit zehn Jahren das KZ Dachau anschaute, dass es gut ist, eine antifaschistische Gesinnung für das Leben mitzubekommen. Und dass sie zu "Linksruck" ging, weil die Jusos nur Kickern und Biertrinken wollten. Dass Kickern und Biertrinken für Jeanine Wissler nicht das Richtige ist, bezweifelt man nicht.
"Ich kriege", sagt sie entschuldigend, "die Sätze gar nicht mehr fertig, nach dieser Marathonsitzung." Aber so ist es nicht. Sie hat immer passende Antworten. Zum Beispiel darauf, warum sie von einem bedingungslosen Grundeinkommen nichts hält, aber viel von der 35-Stunden Woche. Sie klingt wie eine linke Sozialdemokratin; bei der Pressekonferenz hat sie oft die Worte "Verantwortung" und "Wählerauftrag" benutzt. Aber sie weicht nie auch nur einen Millimeter von dem linken Minimalkonsens ab, in dem das Volk und die Basis irgendwie gut und Kapital und Polizei böse sind.
Wilken redet wenig und sagt viel - Wissler redet viel und sagt wenig. Zumindest über sich. Hat sie manchmal Angst davor, jetzt im Parlament zu sein? Ja, sagt sie ernst, sie müsse aufpassen, nicht abgehoben zu werden. Und dass die Partei Vorrang haben müsse vor der Fraktion, natürlich ohne imperatives Mandat. Und sonst hat sie vor nichts Angst? Nein. Vielleicht ist es einfach so, dass man mit 26 Jahren in diesen blutarmen, gestanzt wirkenden Politiksound flieht, wenn Journalisten an einem Samstagabend wissen wollen, wovor man Angst hat.
Herrmann Schaus legt seine Krawatte ab. Die Pressekonferenz ist vorbei. Die Presse wollte irgendetwas Aufregendes hören, aber der Verdi-Gewerkschaftssekretär hat über Stammkapitalbildung bei Sparkassen geredet, die von Übel sei, weil die Gefahr Übernahmen der Sparkassen wachse. Dass Wasserwerke, Universitätsklinken und die Müllabfuhr privatisiert wurden, hält er für falsch. Wo es geht, müsse man das rückgängig machen. Und er sagt auch: "Verstaatlichung ist nicht mein Sprachgebrauch."
Bei Hermann Schaus wird es, wie bei allen in dieser Fraktion, schnell praktisch. Er hat Erfahrung im Parlament - als linker Abgeordneter im Kreistag im Hochtaunus. Am Anfang hätten die dortigen Abgeordneten ihn geschnitten, aber das habe sich mit der Zeit gegeben.
Die harte Konfrontation und das Radikale liegen Schaus nicht. Das Bodenständige wird durch den Frankfurter Akzent verstärkt, der so ähnlich klingt wie bei Andrea Ypsilanti. In südhessischer Mundart ist es sowieso schwierig, richtig umstürzlerisch zu klingen, bei all den "isch" und den gedehnten Vokalen.
Neulich hat er im Kreistag den Antrag gestellt, ein paar Tausend Euro für Fahrten zu KZ-Gedenkstätten in Hessen zu bewilligen. Die CDU konterte, dass dieses Geld auch für Fahrten in den Stasi-Knast Hohenschönhausen zu verwenden sei. "Naja" sagt Schaus, "da haben wir einfach zugestimmt. Ich war schon in Hohenschönhausen. Das muss man sich anschauen." Dass in Wiesbaden niemand mit der Linksfraktion reden will, sorgt ihn nicht sonderlich. "Das schleift sich ab", sagt er. Es ist wirklich schwer, jemand wie Hermann Schaus grundsätzlich abzulehnen.
Schaus war 20 Jahre lang in der SPD. 1993 trat er aus - wegen des Asylkompromisses und weil in der Partei die Arbeiter nicht mehr genug vorkamen. Es war ein langer Abschied. "Als Heidi Wieczorek-Zeul Juso-Vorsitzende in Hessen Süd war, in den Siebzigerjahren, habe ich geprüft, ob mit der Kasse alles in Ordnung war." Irgendwie versteht er, warum die SPD nun auf stur schaltet. "Sozialdemokraten vergessen nicht, wenn man austritt. Und erst recht nicht, wenn man dann auch noch bei der Konkurrenz eintritt". Die scharfen ideologischen Kontroversen stellen sich in seinem Blickwinkel eher als menschliche Unzulänglichkeiten dar.
Ein empfindlicher Punkt ist das Verhältnis der Linkspartei zum Realsozialismus - und zur DKP. Abgrenzungen gibt es nicht. In Niedersachsen ist ein DKP-Mitglied über die Liste der Linkspartei ins Parlament eingezogen. Man will ein Sammelbecken sein. Schaus sieht die Kommunistenfrage aus der Sicht des Gewerkschaftssekretärs, der immer schon mit DKP-Leuten ebenso zusammengearbeitet hat wie mit CDU-Leuten. Ulrich Wilken meint, dass es keine Kraft "links von uns" geben darf und sieht Debatten über die DDR mit DKPler gelassen entgegen. Jeanine Wissler findet schmallippig, dass die DKP-Frage "die niedersächsischen Genossen" so entschieden haben.
Entschlossene Abgrenzungen vom autoritären Kommunismus klingen jedenfalls anders. In der bedenkenlosen Offenheit für die DKP und die DDR-Nostalgie drückt sich eine Lässigkeit gegenüber den Verheerungen des Parteikommunismus aus, der einen Mangel an republikanischem Bewusstsein zeigt. Vielleicht kommt diese Auseinandersetzung noch, nötig wäre sie.
Sicher aber ist, wie diese Fraktion wirkt: bodenständig und diszipliniert. Von den üblichen linken Gebrechen, dem Hang zu ideologischen Spiegelfechterei und notorischer Unfähigkeit zum Kompromiss, scheint sie einigermaßen gefeit zu sein. Sie scheint zu wissen, was sie kann und was nicht. Für die hessische SPD wird es jedenfalls schwierig, klar zu machen, warum sie mit diesen sechs Abgeordneten nie zusammenarbeiten wird. Die Forderungen der Linken sind ihren eigenen zum Verwechseln ähnlich.
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