piwik no script img

Zu wenig Kontrolle bei MindestlöhnenBeschäftigte um 59 Millionen geprellt

Viele Arbeitgeber zahlen ihren Beschäftigten nicht den Mindestlohn, auf den sie Anspruch hätten. Der Schaden ist hoch. Kontrollen sollen das verhindern. Eigentlich.

Sparversuche der Arbeitgeber: Vor allem im Baugewerbe werden nicht immer Mindestlöhne gezahlt. Bild: dapd

BERLIN taz | Knapp 59 Millionen Euro. Das ist der finanzielle Schaden, den Arbeitnehmer der insgesamt zehn Mindestlohnbranchen in den letzten beiden Jahren hinnehmen mussten. Vor allem im Baugewerbe prellen Arbeitgeber ihre Beschäftigten um den tariflichen Mindestlohn: Auf beinahe 39 Millionen Euro in 2009 und über 20 Millionen Euro in 2010 summieren sich die Verluste.

Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, die der taz vorliegt. Zuständig für die Überprüfung von Mindestlohnverstößen ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Sie untersteht der Zollabteilung des Bundesfinanzministeriums und beschäftigt bundesweit an 113 Standorten 6.300 Mitarbeiter.

Nach Ansicht der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) sind das viel zu wenig: "Wenn die FKS nicht nur ein bloßes Feigenblatt sein soll, dann braucht man mehr Personal", sagt ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Christian Weisch. Nicht zuletzt mit der Einführung von Mindestlöhnen im Bereich der Leiharbeit sei eine Aufstockung des Personals um 4.800 Mitarbeiter nötig.

Im März hatte der Bundestag beschlossen, auch für rund 900.000 Leiharbeiter eine Lohnuntergrenze festzuschreiben. Damit sind nunmehr für über 4 Millionen Arbeitnehmer Branchen-Mindestlöhne vereinbart. Die Belegschaft der FKS hat sich trotz dieser enormen Ausweitung an Zuständigkeitsbereichen in den letzten Jahren nicht nennenswert vergrößert.

Die Aufgaben wachsen - die Personaldecke nicht

150 neue Stellen wurden der Behörde im Jahr 2010 bewilligt. Im Zuge der Einführung einer Lohnuntergrenze in der Leiharbeitsbranche sollen weitere 156 Stellen besetzt werden. Die Bundesregierung hält die finanziellen und personellen Mittel für "angemessen".

Doch nach Aussagen der BDZ waren bereits vor einigen Jahren 7.000 Mitarbeiter für die FKS vorgesehen. Zu einem Zeitpunkt, als die Behörde im Bereich der Mindestlöhne nur die Baubranche mit 700.000 Beschäftigten kontrollieren musste. Die Finanzkontrolle wurde ursprünglich für die Verfolgung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung gegründet, ab 2003 kamen die Lohnhöhen hinzu.

Mit jeder neuen Branche, die einen Mindestlohn bekommt, wachsen nun die Aufgaben. Im Jahr 2009 wurden nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AentG), in dem die Mindestlöhne festgeschrieben werden, insgesamt 16.233 Arbeitgeber überprüft. Ein Jahr später waren es bereits über 24.000. Schon jetzt verhängt die FKS 50 Prozent der Bußgelder wegen Verstößen gegen das AEntG.

In den letzten zwei Jahren verdonnerte sie Personen und Unternehmen zu insgesamt knapp 50 Millionen Euro an Bußgeldzahlungen. Bis zu 500.000 Euro Strafe droht Arbeitgebern, die Mindestlöhne vorenthalten.

Die Grünen fordern: Jedes Jahr 500 neue Stellen

Beate Müller-Gemmeke, Arbeitsrechtsexpertin der Grünen, glaubt, dass es bei den Verstößen eine hohe Dunkelziffer gibt. "Mit der jetzigen Personaldecke kann die FKS bestimmte Branchen gar nicht oder nur unzureichend überprüfen." Dass beispielsweise Beschäftigten in der Pflege kein Schaden entstanden sein soll, wie es die Bundesregierung für das Jahr 2010 angibt, führt sie eher auf die hohe Arbeitsbelastung der Ermittler zurück denn auf durchgängig korrekte Arbeitgeber.

Um effektiver kontrollieren zu können, brauche es jedes Jahr 500 neue Stellen - bis die Forderung des BDZ erreicht sei. "Es ist wichtig, dass man in neuen Mindestlohnbranchen wie der Leiharbeit gleich Präsenz zeigt, damit die Arbeitgeber gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen", sagt Müller-Gemmeke.

Die Abgeordnete fordert zudem eine bessere Kontrolle der 400-Euro-Minijobs. Auch hier können Mindestlöhne unterschlagen werden. Beschäftigte müssen dann eben mehr Stunden arbeiten, als durch die Mindestlohnhöhe und die 400-Euro-Grenze eigentlich vorgegeben wäre. Die Höhe der Arbeiststunden könne der Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung jedoch nicht ausreichend kontrollieren, sagt Müller-Gemmeke.

Und die FKS haben für diesen speziellen Bereich keinen Prüfauftrag. "Minijober sind gewissermaßen Vogelfreie", sagt die Grüne. "Für die Schwächsten im deutschen Arbeitsmarkt fühlt sich niemand verantwortlich - auch nicht der Staat." In Deutschland gibt es etwa sieben Millionen Arbeitnehmer, die ihren Lebensunterhalt ganz oder zum Teil über einen Minijob verdienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • B
    BuFiPo

    In Deutschland gibt es (fast) keine Berufssparte in denen keine Niedriglöhne gezahlt werden. Ca. 11 Mio Menschen (Arbeitslose, Aufstocker, ALG II, ALG I usw.) sind auf staatliche Zahlungen angewiesen um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

     

    wie viele Millionen von Armutsmigranten wird es geben - die in keiner Meldebehörde erfasst sind - auch die müssen ernährt und versorgt werden. Vielleicht reden wir von mehr als 20 MIo Menschen, die sich durch illegale Formen von Beschäftigung und anderer Kriminalität ihren Lebensunterhalt verdienen.

     

    Wenn sie wirksam gegen den Missbrauch vorgehen wollen und auch die Auftraggeber/Arbeitgeber ins Boot holen wollen, dann müssen sie vorhandene Strukturen (des Zolls) so verändern, dass sie als Bundesfinanzpolizei tätig werden können.

     

    Irgendwann wird der "Zoll" nur noch Mindestlöhne kontrollieren, dann wird es keine Ermittlungsverfahren mehr geben, sprich es gibt dann auch keine Schwarzarbeit mehr - das wollte die Politik doch dann erreichen oder?

  • BM
    Beate Müller-Gemmeke

    Hallo kleinalex,

    laut der Antwort auf die Kleine Anfrage müssen momentan die Mindestlöhne von 3.136.000 Beschäftigte von der FKS kontrolliert werden. Das Verhältnis sieht also schon ganz anders aus. Zusätzlich kommen ab jetzt noch ca. 900.000 Leiharbeitskräfte hinzu. Und Bürokratie wird schon auch geben. :-)

  • S
    Sprotte

    natürlich sind die geringfügig Beschäftigten die Dummen, der Niedriglohnsektor ist doch gewollt, die Wirtschaft profitiert, soziale Errungenschaften gehen dabei kaputt. In Privathaushalten wird ständig das Arbeitsrecht missachtet, keine Lohnfortzalung für den gesetzlichen Mindesturlaub, Feiertagen und bei Krankheit. Arbeitgeber bestimmen gutsherrenartig wie im 19. Jahrhundert, beonders an Tankstellen, Gaststätten, Einzelhandel etc, in Privathaushalten, Lehrerhaushalte sind da besonders dreist. Arbeitsgesetze sind Makulatur, niemand braucht sich danach richten. Jemanden los zu werden, wer Mindestlöhne einfordert oder sich mit der Gewerkschaft wehrt, ist einfach und gang und gäbe tagtäglich.

    Mit einem zunehmenden Heer von Niedriglöhnern, die sich nicht wehren, baut Deutschland sein Wirtschaftswachstum auf - tolle gesellschaftliche Leistung unserer Eliten, oder was sich dafür hält.

    Da kommt doch die Aufforderung der Familienministerin, sich in einem freiwilligen Jahr für ein Taschengeld, was der Arbeitgeber bestimmt, in sozialen Einrichtungen zu engagieren, sehr gelegen. siehe bundesfreiwilligendienst.de

  • WW
    W. Wacker

    Gewerkschafts-Pisa fällt mir dazu ein.

     

    4.800 neue Stellen, da 59 Millionen "Schaden". Falls die neuen also 100% Erfolgsquote haben, bringt das pro neuem Mitarbeiter 12.000 Euro. Die Kosten inklusive Büro, Betrieb, Sozial- und Altersversorgung sind wohl bei 60.000 anzusiedeln. Hier fordert die Gewerkschaft Pfründe für die eigene Klientel auf Kosten der Steuerzahler unter dem Vorwand des Gutmenschentums.

     

    Besser wäre es, erstens für bessere Organisation und Effizienz bei Zoll zu kämpfen und zweitens die geprellten Arbeiter durch zielführende Gewerkschaftsarbeit vor Ort (nicht im Büro!) zu unterstützen bei der Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche gegen die Arbeitgeber. Tun, nicht fordern!

  • F
    FreiDenker

    Wenn ich immer nur höre Kontrolle.

     

    Einfach harte Geldstrafen bis Gefängnisstrafen ohne Bewährung für die Täter verhängen. Gilt auch für die Haupt-Auftraggeber an Sub-Unternehmen. Anschließend gleich auf schwarze und öffentliche Liste setzen. Das hat schon immer geholfen.

     

    Die Betroffenen werden doch Lohnauszüge erhalten. Wenn nicht dann bitte diese Gesetzeslücke schließen.

    Ein wenig Selbstverantwortung sollten die Betroffenen nämlich auch tragen. Notfalls die Arbeit kündigen.

     

    Wenn die Jobzuweisung durch die ARGE erfolgt, gleich schriftlich durch die ARGE bestätigen lassen. Dann bekommen wir endlich andere Missbrauchs-Gesetze (gegen Dumping-Löhne) in diesem Land.

     

    Und generell sollte für Sub-Unternehmen aus dem Ausland hier gelten. Sozialbeiträge und Steuern werden hier erhoben. Die Sozialbeiträge können dann von mir aus ins Ausland transferiert werden. Aber die Sozialabgabenhöhe stimmt dann wenigstens und führt nicht zu einer weiteren Lohnverzerrung.

  • K
    kleinalex

    Ich würde mir Zahlen wünschen, für wieviele Beschäftigte die Mitarbeiter der FKS denn nun gerade zuständig sind.

     

    Sicher will ich nicht bezweifeln, dass es zuwenige FKS-Mitarbeiter hat, aber andererseits sind die Zahlen, die da sind, nicht uninteressant:

     

    > Doch nach Aussagen der BDZ waren bereits vor

    > einigen Jahren 7.000 Mitarbeiter für die FKS

    > vorgesehen. Zu einem Zeitpunkt, als die Behörde

    > im Bereich der Mindestlöhne nur die Baubranche mit

    > 700.000 Beschäftigten kontrollieren musste.

     

    Das sind 100 Beschäftigte pro Mitarbeiter. Wenn jeder Beschäftigte einmal pro Jahr überprüft wird und die Überprüfung pro Mitarbeiter statt pro Betrieb den Aufwand verursacht, dann bleiben immer noch zweieinhalb Tage pro Kontrolle. Entweder sind die Leute da, sagen wir mal, wenig motiviert, oder aber die Kontrollen sind durch völlig absurde Bürokratie so aufgebläht, dass auf je 10 Minuten Kontrolle 10 Stunden Papierkram entfallen.

     

    Beide Möglichkeiten sprechen dafür, dass jenseits des Personalbedarfs noch weiterer dringender Verbesserungsbedarf besteht.

  • J
    Joewe

    Gerade die Minijobber sind doch die Gearschten.

     

    Ich hab in den letzten Jahren Behinderte und Grundschulkinder gefahren - ein überaus verantwortungsvoller Job. Steht man eh immer mit einem Bein im Gefängnis. Der Lohn? 5,25€. Damit war ich noch top, Sonnenschein zahlt gerade mal 3€, und weder An- noch Abfahrt.

     

    Krankenversicherung? Nada! Arge zahlt nicht, weil meine LAP Rente bezog, die Knappschaft (an die die Sozialversicherung des AG geht, nimmt nur Geld, versichert aber nicht) erklärt sich für nicht zuständig.

     

    Deutschland schafft sich selbst chinesische Arbeitsverhältnisse. Das kann es aber nicht sein. Ich will keine Vollkasko-Gesellschaft, aber den Umgang mit den wirklich Schwächsten, die dennoch arbeiten, finde ich verwerflich.

     

    Der "Sozialstaat" ist nicht mehr sozial, sondern trennt nach dem Motto "Spreu vom Weizen". Dumm nur, dass die Spreu nicht auf die Straße geht. Könnte ja derweil GNTP oder ähnliches verpassen...

  • KR
    Kerstin Rabe

    Die Jobcenter vermitteln wissentlich an solche Arbeitgeber. Hauptsache die Quote stimmt, Es werden auch Unternehmen mit Lohnkostenübernahmen gefördert die offensichtlich dieses Instrument nur mißbrauchen zur Kosten minimierung. Da es die Förderungen nur für einen kurzen Zeitraum gibt besteht auch kein Interesse an unbefristeten Verträgen.Unternehmen mit hoher Personalfluktuation sollten keine geförderten Mitarbeiter bekommen. Wenn der Arbeiter nach drei Monaten wieder beim Jobcenter vorstellig wird, ist das natürlich ganz allein sein eigenes Versagen. Never blame the system.

  • S
    Sokrates

    Wenn ich von Ihnen nicht höre, das ich zu alt und oder überqualifiziert bin bewerbe ich mich sofort.

     

    Sokrates

  • HM
    Hans Martin

    "Die Belegschaft der FKS hat sich trotz dieser enormen Ausweitung an Zuständigkeitsbereichen in den letzten Jahren nicht nennenswert vergrößert."

     

    ... wenn wundert es noch? Der Betrug ist ja quasi das Programm und Ziel in einem. Alles andere wäre ja Sozialismus und Etatismus.

  • D
    docvonstock

    Nicht nur auf dem Bau werden Mindestlöhne vorenthalten. Die ehamls der Freien und Hansestadt Bremen gehörende BLG beschäftigt in Emmerich, wo mit kommunaler Unterstützung ein sehr großes Logistikzentrum gebaut wurde nur 20 % der notwendigen Belegschaft als eigene Angestellte zu den Konditionen des Speditionsgewerbes. Für die weiteren 80%, und wir reden hier über gut 360 Mitarbeiter, gilt der Lohn aus Leiharbeit. Es wurde extra eine Niederlassung eines Zeitarbeitsunterehmens dort gegründet um den alleinigen Kunden, die BLG, mit Arbeitsmaterial zu versorgen.

     

    Hier sind nicht nur Steuergelder zweckentfremdet worden, sondern es werden Mitarbeiter ausgebeutet, die zu einem geringeren Lohn die Arbeiten von Fachkräften ausüben. Überstunden werden erst nach 23 Uhr bezahlt, an Wochenenden wird auf Abruf gearbeitet und diese Überstunden dann einem Zeitkonto gutgeschrieben.

     

    Das treibt doch wohl jedem FDPler die Freudentränen in die Augen. Die Zeitarbeiter freuen sich dann ganz besonders, wenn sie bei Betriebsversammlungen den neuen Ferrari des Geschäftsführers der Zeitarbeitsfirma auf dem Gelände bewundern dürfen.