Menschenrechte in China: Angst vor verstärkten Repressionen
Die Unterzeichner der "Charta 08" befürchten ein hartes Vorgehen der chinesischen Behörden gegen Menschenrechtler während der Weihnachtsfeiertage.
In China fürchten die Unterzeichner der "Charta 08", dass die Behörden während der Weihnachtsfeiertage massiv gegen die Initiatoren des Menschenrechte und politische Reformen einfordernden Aufrufs vorgehen könnten. "Wenn die meisten ausländischen Botschaften, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen im Urlaub sind, könnte die Regierung die Gelegenheit nutzen, um die mutmaßlichen Organisatoren [der Charta] zu verhaften", heißt es in einer Erklärung des Netzwerks Chinese Human Rights Defenders (CHRD). So sei die Regierung früher verfahren, etwa im Fall des kürzlich mit dem Sacharow-Menschenrechtspreis des Europaparlaments ausgezeichnete Bürgerrechtler Hu Jia. Er war vor einem Jahr am 27. Dezember festgenommen worden. "Die nächsten zehn Tage dürften sehr gefährlich werden", sagte Wang Songlian, CHRD-Vertreterin in Hongkong, am Sonntag der taz.
Das CHRD-Netzwerk hatte die von zunächst 303 Personen unterzeichnete Charta zum internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember auf seiner Webseite crd-net.org veröffentlicht. Die Erstunterzeichner sind hochrangige Bürgerrechtler, Juristen und Autoren. "Inzwischen haben 5.621 Personen unterzeichnet", sagt Wang. "In 12 Provinzen sind die Behörden bereits gegen 61 Erstunterzeichner vorgegangen." Meist seien diese verhört worden mit dem Ziel, die Initiatoren des Aufrufs herauszufinden und seine weitere Verbreitung zu verhindern.
Laut Wang ist die Familie des Autors und Exprofessors Liu Xiaobo trotz mehrfacher Anfragen von den Behörden nicht über dessen Verhaftung und Aufenthaltsort informiert worden. Liu, der Chinas unabhängigem PEN-Zentrum vorsteht, war am 8. Dezember wegen "Subversion" festgenommen worden. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Privat wurde seiner Familie gesagt, Liu sei auf Anordnung "von sehr weit oben" festgenommen worden. Offenbar sehen die Behörden in Liu, der schon nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 mehr als zwei Jahre in Haft saß, einen der Initiatoren der Charta. Lius Frau wurde in mindestens einem Fall bereits daran gehindert, Besuch zu empfangen.
Die "Charta 08" listet 19 Forderungen auf - darunter Gewaltenteilung, unabhängige Justiz, freie Wahlen, Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, Schutz des Privateigentums und der Umwelt, Umwandlung der Volksrepublik in eine föderale Republik sowie Einrichtung einer Wahrheitskommission zur Aufarbeitung vergangenen Unrechts. Die Forderung nach einem föderalen System ist bei nationalistischen Bürgerrechtlern selbst umstritten. Sie fürchten eine Schwächung Chinas.
Die Erklärung orientiert sich explizit an der tschechoslowakischen "Charta 77", die den Kern einer Bürgerrechts- und Oppositionsbewegung bildete, die 1989 zur "samtenen Revolution" führte. Einer der damaligen Initiatoren, der Schriftsteller und spätere tschechische Präsident Václav Havel, rief am Freitag im Wall Street Journal zur Solidarität mit den Unterzeichnern der Charta 08 auf. "China 2008 ist nicht die Tschechoslowakei 1977", so Havel. "Auf viele Arten ist China heute freier als mein eigenes Land vor 30 Jahren." Doch die Antwort der chinesischen Behörden gleiche denen der tschechoslowakischen Behörden von damals. "Die chinesische Regierung sollte die Lektion der Charta-77-Bewegung lernen: dass Einschüchterung, Propagandakampagnen und Repression kein Ersatz sind für einen vernünftigen Dialog."
Parallel zum Vorgehen gegen die Unterzeichner der Charta hat Peking offenbar auch wieder die Internetzensur verschärft. So häufen sich in letzter Zeit Berichte über in China wieder blockierte Webseiten westlicher Medien. Die CHRD-Webseite ist ohnehin ständigen Angriffen von mutmaßlichen Hackern der Regierung ausgesetzt. Webseiten und Beiträge von Bloggern, in denen auf die Charta verwiesen wird, werden laut CHRD umgehend blockiert oder gelöscht.
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