Montagsinterview mit Remzi Kaplan: "Jetzt habe ich tonnenweise Fleisch"
Remzi Kaplan ist Berlins bekanntester Dönerproduzent. Die Schule hat ihn nicht interessiert, gearbeitet hat er fast immer. Mit 17 wurde er verheiratet. Heute ist er 50 und sagt, er habe alles hinter sich.
taz: Herr Kaplan, wer hat eigentlich wirklich den Döner nach Berlin gebracht? Da gibt es ja unterschiedliche Erzählungen.
Remzi Kaplan: Also der Berliner Dönererfinder ist Herr Kadir Nurman. Er hat in den 70er Jahren ganz klein mit einem Imbiss im Bahnhof Zoo angefangen, hat sich seinen Dönerspieß damals selbst gemacht. In den 80ern ging es dann richtig los mit dem Döner, da gab es auch die ersten größeren Produktionen. Mittlerweile werden europaweit etwa 500 Tonnen Döner täglich hergestellt. Aber Dönerhauptstadt ist immer noch Berlin, viele Dönerproduzenten sitzen auch hier.
Den Dönerspieß gibt es ja auch in der Türkei - was unterscheidet den deutschen vom türkischen Döner?
Der Dönerproduzent: Remzi Kaplan führt eine der größten Dönerproduktionen in Deutschland und Berlin. Bundesweit hat seine Firma 150 Angestellte, 37 sind es an der Produktionsstätte im Soldiner Kiez in Berlin-Wedding. Von seinem Büro in der Firmenzentrale hat er über zahlreiche Videokameras sämtliche Produktionsschritte stets im Blick.
Der Migrant: Kaplan wurde 1960 in Yozgat (Türkei) geboren. Er hat zwei jüngere Geschwister.Als Elfjähriger kam er 1970 nach Deutschland, seine Eltern waren bereits zwei Jahre zuvor als Gastarbeiter gekommen. Deutschkenntnisse hatte er damals keine. In der Schule hatte er nur in Sport und Kunst gute Noten.
Der Tiger: Mittlerweile hat Kaplan - auf Deutsch bedeutet sein Familienname "Tiger" - die Geschäfte an seine jüngste Tochter übergeben. Auch aus Ämtern wie dem Vorsitz der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin (TDU), dem Europäische Dönerhersteller-Verband und dem Vorstand des Berliner Fußballvereins Türkiyemspor hat sich der 50-Jährige zurückgezogen.
Er wird nur hier im Brot gegessen, mit Gemüse und Salat. In der Türkei isst man Döner als Tellergericht. Außerdem produzieren wir hier den klassischen Döner aus Kalbfleisch, in der Türkei wird mehr Rind- und Lammfleisch verwendet. Vielen Europäern schmeckt der Döner in der Türkei nicht. Und vielen, die aus der Türkei herkommen, schmeckt es hier auch besser.
Mal weg vom Döner - wie ist eigentlich Remzi Kaplan nach Deutschland gekommen?
Ich bin 1970 hergekommen, zu meinen Eltern, die bereits seit zwei Jahren hier waren. Ich war elf Jahre alt, kam vom Dorf und hatte von Döner keine Ahnung.
Und wann und wo haben Sie dann Ihren ersten Döner gegessen?
Hier in Deutschland. In der Türkei waren wir sehr arm. Fleischgerichte konnten wir uns kaum leisten. Meine Eltern arbeiteten als Hauswarte, Kapici heißt das auf Türkisch. Wir lebten in einer sehr engen Wohnung als vierköpfige Familie, in Ankara. Man hält dann das Apartmenthaus sauber, geht für die Mieter einkaufen - jeder Mieter hat eine Gegensprechanlage in der Wohnung, mit der er direkt in die Wohnung des Kapici hineinrufen kann. Wie ein Dienstbote eben.
Wo sind Sie denn geblieben, als Ihre Eltern schon in Deutschland waren?
In einem Dorf in Yozgat bei meinen Großeltern. Da hatten wir alles, es ging uns gut. Damals habe ich auch schon angefangen, Geschäfte zu machen: Mein Vater hatte drei Fahrräder mit uns Kindern zu meinem Opa gebracht. Damit habe ich dann Transporte und Botenfahrten erledigt. Das Geld, das ich verdient habe, habe ich meinem Opa gegeben. Wir Kinder konnten auf dem Dorf mit Geld ja gar nichts anfangen. Es gab nichts zu kaufen. Wir brauchten kein Geld. Trotzdem: Damals bin ich schon Händler geworden.
Sind Sie denn nicht zur Schule gegangen?
Doch, aber in der Schule war ich nicht so besonders. Ich habe immer nur unter Zwang die Schule besucht. Auch in Deutschland. Als ich die Pflichtschuljahre abgesessen hatte, habe ich gesagt: Schluss. Jetzt mache ich mich selbstständig.
Haben Sie als Kind nicht gespielt?
Ich erinnere mich nicht daran. Ich habe immer geackert. Auch in Berlin. Als ich mit elf Jahren herkam, habe ich für zwei Mark am Tag auf dem Markt gearbeitet, nach der Schule, habe Kisten saubergemacht oder mit ab- und aufgebaut …
… und sich so ein Taschengeld verdient?
Nein. Ich habe damit meine Eltern finanziell unterstützt. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mir Geld gegeben haben. Oder dass ich sie um Geld gebeten hätte.
Ihre Eltern haben Sie früh nach Deutschland nachgeholt - viele Familien haben länger gewartet, bis sie die Kinder geholt haben.
Wir Kaplans sind eine sehr enge Familie. Mein Vater, meine Eltern - vor einem Jahr habe ich meinen Vater verloren -, wir haben immer zusammengehalten. So ist das auch mit meinen Geschwistern und meinen Kindern. Meine drei Kinder arbeiten hier auch mit.
Was haben Ihre Eltern in Deutschland gemacht?
Zuerst haben sie in einer Konservenfabrik in Westdeutschland gearbeitet. Dann sind sie nach Berlin gekommen - wegen der Berlinzulage und den damals 2.000 Mark, die man bekam, wenn man nach Berlin übersiedelte. Seither leben wir in Berlin. Und immer im Wedding. Und da lebe ich immer noch.
Wie war Deutschland für Sie, anfangs?
Ich bin in die Schule gekommen und konnte kein Wort Deutsch. Und ich bin wie gesagt nur unter Zwang in die Schule gegangen. Ich wollte lieber arbeiten. Meine Lehrer, wenn die heute meinen Namen hören, erinnern sie sich daran. Wenn meine Kinder heute mein letztes Zeugnis sehen, streiten sie mit mir. Ich habe nämlich keinen Schulabschluss, nur ein Abgangszeugnis. Meine Kinder sagen: Papa, was ist das? Was für schlechte Noten sind das denn? Und von uns hast du verlangt, in der Schule gut zu sein!
Wie alt sind Ihre Kinder jetzt?
Mein Sohn ist 33, meine Töchter 32 und 27. Ich habe von meinen Kindern immer andere Zeugnisse erwartet. Meine Tochter hatte die Durchschnittsnote 2,3. Und ich war nicht zufrieden. Jetzt sagen sie: Und was war mit dir? Aber sie hatten alles, ganz andere Möglichkeiten. Damals war es anders.
Haben Ihre Eltern nicht mit Ihnen wegen Ihrer schlechten Noten geschimpft?
Die haben immer nur geackert. Und ich habe ihnen von Anfang an gesagt, dass ich die Schule nicht mag. Meine Schwester und mein Bruder waren gut in der Schule, aber ich nicht. Ich habe gesagt, Papa, ich möchte nicht zur Schule gehen, ich mag das nicht. Und er hat gesagt, okay, aber du musst hingehen, schwänzen darfst du nicht. Und so habe ich das gemacht.
Was machen Ihre Geschwister heute?
Mein Bruder produziert Döner wie ich, in Holland. Meine Schwester war früher auch selbstständig, dann hat sie sich um ihre Kinder gekümmert. Mein Neffe, ihr Sohn, ist jetzt beim Auswärtigen Amt. Und meine Nichte schreibt ihre Doktorarbeit in Sozialpädagogik.
Und Ihre jüngste Tochter übernimmt mal Ihren Betrieb?
Sie hat ihn schon übernommen. Sie ist eigentlich die Chefin.
Noch mal zurück zu Ihnen: Als Sie mit 18 Jahren dieses Schulabschlusszeugnis bekommen habe, waren Sie schon verheiratet, nicht wahr?
Ja, ich war verheiratet. Ich habe mit 17 geheiratet.
Warum so früh?
Tja. Hat sich so ergeben. Ich war im Urlaub auf unserem Dorf, habe meine jetzige Frau dort gesehen und aus Spaß zu meinem Opa gesagt, wer ist das Mädchen, ich möchte sie kennenlernen. Damals gab es das aber nicht, Kontakt zu Mädchen. Wenn man mit ihnen sprechen wollte, musste man sie heiraten. Ja, und dann hat mein Opa das meinem Vater erzählt, und einen Monat später habe ich von meinem Vater gehört, ich sei verlobt.
Wie hat man Sie verlobt, ohne dass Sie davon wussten?
Ja, ohne mich zu fragen, wurde das gemacht! Jemand hat mir erzählt: "Dein Vater hat im Dorf eine große Verlobungsfeier gemacht!" Als ich das hörte, habe ich gesagt: "Das glaube ich nicht, ich nicht!" Dann hat mein Vater mich angerufen und mir davon erzählt, und ich habe gesagt: "Okay, Papa."
Wussten Sie damals, wie Ihre Frau heißt?
Ja, ich hatte sie ja gesehen und nachgefragt. Umgekehrt: Sie kannte mich nicht, hatte mich nicht gesehen, wusste nicht, wer oder was ich bin.
Warum hat sie denn dann ja gesagt?
Damals gab es keine Chance, nein zu sagen. Sie war 14, ich 17. Wir haben gedacht, was unsere Eltern für uns aussuchen, ist gut. Und es war ja auch so.
Sie sind also zwangsverheiratet worden!
Ja. Gott sei Dank hat mein Vater das gemacht. Ich bin seitdem sehr glücklich mit meiner Frau verheiratet.
Ist Ihre Frau dann auch nach Deutschland gekommen?
Ja, 1977. Wir haben dann drei, vier Jahre mit meinen Eltern zusammengewohnt. Als das zweite Kind da war, haben wir eine eigene Wohnung genommen. Ich habe damals in einer Fleischwarenfabrik gearbeitet, dann als Gabelstaplerfahrer bei AEG, und 1979 habe ich mich mit etwas Geld, dass ich gespart habe, selbstständig gemacht. Da hatten wir zuerst einen kleinen Obst- und Gemüsestand in der Badstraße in Wedding. Später haben wir auf Wochenmärkten türkische Spezialitäten verkauft - 18 Jahre lang haben wir das gemacht. Und nach der Wende habe ich dann eine Lücke gesehen und habe den ersten Döner in Ostberlin in der Koppenstraße aufgemacht.
Und wann haben Sie mit der Dönerproduktion angefangen?
Gleich damals. Ich war stinksauer auf meinen Dönerlieferanten, weil der einfach nicht die Qualität hatte, die ich haben wollte. Ich habe meine Geschäfte immer auf lange Zeit angelegt. Wenn ich was gemacht habe, wollte ich es gut und richtig machen. Für den langen Weg, nicht nur, um heute Geld zu verdienen. Dann haben wir uns also mit dem Hersteller gestritten, als ich gesehen habe, wie dort der Döner hergestellt wurden. Dann habe ich gesagt, jetzt mache ich meinen Döner alleine und habe mit einer ganz kleinen Produktion angefangen. Dann haben wir im Wedding eröffnet, dann 1994 in Holland, 1996 in Hamburg, 1999 Schöneweide, 2000 hier an der Soldiner Straße.
Das klingt nach viel Arbeit. Dennoch machen Sie immer so einen zufriedenen Eindruck, wirken nie gestresst, wie kann das sein?
Wozu soll ich mich stressen? Ich habe alles hinter mir, auch viele stressige Zeiten.
Sie sind gerade mal 50!
Ja. Bald 51. Ich habe alles hinter mir. Ich habe mit sechs Jahren angefangen zu arbeiten, ich habe Zeiten mit viel und mit wenig Geld erlebt. Früher konnten wir uns nicht ein Kilo Fleisch leisten - jetzt habe ich tonnenweise Fleisch! Ich habe alles, was ich haben möchte, was ich mir gewünscht habe.
Haben Sie keinen unerfüllten Wunsch?
Nein. Nein, wirklich nicht.
Sie haben erreicht, was sich viele gewünscht haben, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind.
Ja.
Macht es Sie glücklich, reich zu sein?
Nein. So reich bin ich auch gar nicht. Mein Herz ist reich.
Sie sind jetzt 41 Jahre in Deutschland. Sehen Sie sich als Deutscher?
Als Europäer. In der Türkei bin ich auch ein Fremder geworden. Wenn wir einmal im Jahr fünf, sechs Wochen Urlaub da machen, was kann man erwarten? Früher, als wir mit den Kindern zusammen hingeflogen sind, haben die nach einer Woche gefragt, Papa, wann fahren wir wieder nach Hause? Ihre Heimat war immer Deutschland.
Hat Ihnen das wehgetan?
Nein. Als ich ihnen in der Türkei unsere alte Kapici-Wohnung gezeigt habe, haben sie gefragt: Papa, wo sind die Kinderzimmer, wo ist das Schlafzimmer? Sie haben nicht erlebt, was wir erlebt haben. Aber es ist gut, wenn sie wissen, wo wir herkommen.
Haben Sie eigentlich noch keine Enkelkinder?
Nein. Meine Kinder sind faul, die heiraten nicht.
Warum haben Sie sie nicht verheiratet, wie Ihr Vater es mit Ihnen gemacht hat?
Mit Zwang geht das nicht!
Aber bei Ihnen ging es doch!
Tja, ja, bei mir gings.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland