Migrationsgeschichte: Die vergessenen Heldinnen
Als selbstbewusst auf der Suche nach unabhängiger Lebensgestaltung porträtiert eine Ausstellung im Berliner August-Bebel-Institut türkeistämmige Migrantinnen der ersten Generation.
So verschieden die Frauen auch sind, die die Fotografin Ute Langkafel auf ihren Porträts festgehalten hat - eines verbindet sie: Alle tragen den Kopf selbstbewusst erhoben, man sieht ihnen an, dass sie stolz auf das Erreichte sind. Das Erreichte heißt in ihrem Fall: ein langes Leben in der Fremde gemeistert zu haben, dabei stets zu arbeiten und Kinder zu erziehen und sich die Wünsche, die mit der Einwanderung in ein anderes Land verbunden waren, trotzdem wenigstens teilweise erfüllen zu können.
15 Migrantinnen der ersten Generation von EinwanderInnen aus der Türkei porträtiert die Ausstellung "Und es kamen Frauen", die seit dem Wochenende im August-Bebel-Institut in Wedding zu sehen ist. Biografische Texte des Hürriyet-Journalisten Murat Tosun ergänzen die Fotos von Ute Langkafel. Die Beschränkung auf Einwanderinnen hat Gabriele Gün Tank, Integrationsbeauftragte des Bezirks Tempelhof-Schöneberg und Initiatorin der Ausstellung, bewusst gewählt: "Wir riefen Arbeiter, und es kamen Frauen", schreibt sie im Vorwort des Katalogs. Ende der 70er Jahre seien ein Drittel der nichtdeutschen Beschäftigten in der Bundesrepublik Frauen gewesen - ganz bewusst angeworben, so Tank. Denn ihre Arbeitskraft war noch billiger als die der männlichen Migranten: "Frauen verdienten damals bis zu 30 Prozent weniger als Männer."
Auch Gün Tanks Mutter Azize ist unter den Porträtierten. Sie gehört zu den Frauen, die mit der Migration die Suche nach Freiheit verbanden. Aus Abenteuer- und Reiselust kommt die damals 20-Jährige 1972 gegen den Willen ihrer Eltern nach Deutschland. In dem oberpfälzischen Dorf, wo sie in einer Textilfabrik arbeitet, fällt die emanzipierte junge Frau, die aus einer modernen Istanbuler Familie stammt, mit Miniröcken und bunten Kleidern auf. Mit den Lebensbedingungen der Gastarbeiterinnen mag sie sich nicht abfinden. Sobald ihr erster Arbeitsvertrag abgelaufen ist, zieht die selbstbewusste junge Frau nach Berlin. Hier arbeitet sie fast zwei Jahrzehnte lang selbst als Integrationsbeauftragte im Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf.
Meist war es der Wunsch nach ökonomischer Unabhängigkeit oder schlicht nach einem besseren Leben, der die Frauen in die Migration trieb. Oft bedeutete das gerade für sie eine Mehrfachbelastung: das Kümmern um die Kinder, den Haushalt, die Arbeit, den Mann. So stolz sie auch darauf sind, das gemeistert zu haben - nicht alle der porträtierten Frauen lächeln in die Kamera.
Stolze Alleinversorgerin
Aynur Gökdemir wollte ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen und ging deshalb nach Deutschland. Mit Beklemmung erinnert sie sich heute an die ersten Jahre in der grauen sonnenlosen Stadt Berlin und an die Scham, die Sprache nicht zu können. Als ihr Mann schwer erkrankt, wird die dreifache Mutter Alleinversorgerin der Familie. Heute ist sie stolz auf ihre Kinder, die alle studiert haben - und hat nun auch die Zeit, endlich selbst Deutsch zu lernen.
"Die Lebenserfahrungen, die Biografien dieser Menschen sind ein Teil unserer Geschichte", sagt der Stadtsoziologe Ingo Siebert, der das SPD-nahe August-Bebel-Institut leitet. Um das sichtbarer zu machen, hat das Institut begleitend zu der Ausstellung ein Programm entwickelt, das diesen Teil der Stadtgeschichte deutlicher machen soll: etwa mit einem Stadtspaziergang, bei dem neben der Geschichte der Gastarbeiterinnen auch die der böhmischen Einwanderinnen als frühere Zuwanderergruppe anschaulich wird, oder einem Gesprächsabend mit einigen der porträtierten Frauen.
Bis zum 24. Juni ist die Ausstellung im August-Bebel-Institut an der Müllerstraße 163 zu sehen, dann kann sie - mitsamt pädagogischem Rahmenprogramm wie Rollenspielen oder Begegnungen mit Zeitzeuginnen - von Schulen und anderen Einrichtungen gebucht werden.
Alle Informationen unter: www.august-bebel-institut.de
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