TAZ-SERIE SCHILLERKIEZ: Gentrifizierung: Das G-Spenst geht um
Jetzt, wo es einen riesigen Park im Viertel gibt, haben alle Angst: vor steigenden Mieten, Verdrängung, der üblichen Gentrifizierungsspirale. Die Bewohner streiten darüber, was man dagegen tun soll
Ein Gespenst geht um im Schillerkiez. Fassen lässt es sich nicht, noch hinterlässt es nur einzelne Spuren: hier ein paar renovierte Altbauten, dort ein Modeatelier oder eine Studentenkneipe in einer Ladenwohnung. Und ein Zaun, hinter dem Bagger das ehemalige Gelände des Flughafens Tempelhof in einen Park verwandeln.
Das Gespenst, vor dem hier alle Angst haben, heißt Gentrification. Mit dem neuen "Central Park" im Nacken haben die Bewohner Angst vor steigenden Mieten. Zu Recht, wie der Stadtsoziologe Sigmar Gude meint, der mit seinem Planungsbüro Topos bereits viele Wohngegenden untersucht hat: "In Neukölln haben wir die niedrigsten Mieten von allen Innenstadtquartieren vorgefunden - auch im Schillerkiez dürften sie deutlich unter dem Berliner Durchschnitt liegen." Gude geht davon aus, dass dem Viertel "zumindest eine leichte Mietanpassung nach oben" bevorsteht. Schließlich stelle der Park eine deutliche Wohnumfeldverbesserung für die bislang ärmliche Gegend dar.
Ein Sozialarbeiter, der mit seinem Projekt bereits aus dem "gentrifizierten" Teil Nord-Neuköllns in den Schillerkiez gezogen ist, sieht schon die Vorboten einer schleichenden Aufwertung und stöhnt: "Reihenweise renovierte Häuser, Entmietungen - jetzt geht es auch hier los."
Zwischen Flughafen Tempelhof und Hermannstraße liegt der Schillerkiez. Bislang galt das Viertel am Rande des Flugfelds als Armeleutegegend. Menschen aus vielen Nationen leben hier, mehr als 40 Prozent sind arbeitslos, der Kiez hat die höchste Bevölkerungsdichte von Neukölln.
Doch spätestens seit der Stilllegung des Flughafens 2008 ist aus dem innerstädtischen Viertel ein Quartier mit Potenzial für Investoren geworden. Seit Anfang Mai ist die 386 Hektar große Freifläche ein Park; es sollen Gewerbebetriebe entstehen und neue Wohnquartiere für die obere Mittelschicht.
Droht dem Schillerkiez nun also eine Welle von Aufwertung und Mietsteigerungen, wie sie weite Teile von Prenzlauer Berg und Kreuzberg bereits erlebt haben? Sind die Studierenden und Künstler, die seit einiger Zeit ins Viertel strömen, Vorboten einer Entwicklung, die in Friedrichshain und Mitte schon an ihrem Ende angekommen ist? Wird das einstige Arbeiterviertel gentrifiziert - oder wird es bei ein paar Townhouses am Parkrand bleiben?
Sicher ist nur eins: Der Schillerkiez wird sich verändern. Wer davon wie stark profitiert, wird man sehen. Die taz wird diese Veränderungen in den nächsten Jahren beobachten. Das Projekt läuft seit Mai 2010.
Bislang sind es nur schüchterne Vorboten, die auf eine Aufwertung hindeuten. Noch ist Ansichtssache, ob bereits ein paar Ateliers und Studentenkneipen das Gesicht des Viertels verändern. Oder erst die Townhouses, die der Senat entlang der Oderstraße plant. Für Gerhart, einen Aktivisten aus dem linken Stadtteilladen "Lunte", ist bereits die Arbeit des Quartiersmanagements (QM) ein Ärgernis. Mit Konzepten wie "Wohnumfeldverbesserung" oder "Aufwertung" verbindet der Hartz-IV-Empfänger vor allem eins: eine Strategie zur Verdrängung armer Einwohner. "Der Park soll gezielt besser gestellte Leute anziehen."
Dem QM wirft Gerhart vor, nur als verlängerter Arm der Stadtentwicklungsverwaltung zu agieren. Beiden sei nicht ernsthaft an den Menschen im Kiez gelegen. "Das Gerede von sozialer Mischung ist doch Quatsch." In Wirklichkeit ginge es darum, den Kiez für die wohlhabende weiße Mittelschicht zu erschließen. Gerhart trifft sich jeden Montag mit Gleichgesinnten zur "Stadtteilversammlung". Etwa 40 bis 50 Leute kommen zu der Frage-Antwort-Stunde mit einem Mietfachmann, diskutieren über die Rolle des Quartiersmanagements oder erstellen Fragebögen zu Wohn- und Eigentumsverhältnissen im Kiez. Zusammen will man Strategien entwickeln, um die billigen Mieten zu erhalten. Einfach sei das nicht, räumt Gerhart ein und klagt über mangelnde Information über die Eigentümerstrukturen im Kiez. Das QM, mutmaßt er, habe dazu Informationen, rücke damit aber nicht heraus.
Dass die Eigentumsverhältnisse im Kiez unübersichtlich sind, erschwert den Überblick. "Fast jedes Haus gehört jemand anderem", schätzt Sigmar Gude. Von den überwiegend privaten Eigentümern und wenigen Gesellschaften besitze niemand auch nur fünf Prozent aller Wohnungen. Immobilieneigentümer zu bekämpfen sei ohnehin der falsche Ansatz, findet Gude. "Es sind nicht die Vielverdiener, die rasante Mietentwicklungen verursachen." Der Verdrängungsprozess finde ganz unten statt, wo die ganz Armen durch etwas weniger Arme verdrängt würden: "Wenn drei Studenten zusammenlegen, verfügen sie zusammen über mehr Mittel als eine dreiköpfige Familie mit einem Verdiener."
Sind am Ende die Studierenden für die Gentrifizierung verantwortlich? Oder doch eher geldgierige Vermieter, die ihre Chance wittern? Oder der Senat, der keine Mietobergrenzen setzt? "Das Viertel ist tief gespalten in der Gentrifizierungsfrage", beobachtet Reinhard Lange, der in der Selchower Straße eine Kommunikationsagentur für Kulturprojekte betreibt. Vor einer drohenden "Prenzlbergisierung" hätten alle Angst. "Aber es gibt verhärtete Fronten zwischen denen, die etwas verändern wollen, und denen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist."
Den Linken wirft Lange vor, einen sinnlosen Kleinkrieg gegen das QM zu führen, das immerhin Sozialprojekte wie die Stadtteilmütter auf den Weg gebracht habe. "Nix gestalten ist auch keine Lösung", sagt der Hamburger, der sich seit Jahren in der Kulturinitiative "Kulturtatort Schillerkiez" engagiert. Und fügt trotzig hinzu: "Wenn ich mit meiner kleinen Klitsche schon als Gentrifizierer gelte, dann ist das absurd."
Während die einen sich nur ein bisschen Aufwertung wünschen, wollen die anderen jegliche Aufwertung verhindern. Beiden Ansätzen ist die Ohnmacht angesichtes eines unsichtbares Gegners gemein: Wo und wie die Gentrifizierung zuschlage, sei relativ unberechenbar, sagt Stadtsoziologe Gude. Ein Mittel gebe es aber doch gegen die Aufwertungsspirale: eine Vorgabe des Senats, bei Neuvermietungen nicht mehr als 20 Prozent über dem Mietspiegel zu verlangen.
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