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Archiv-Artikel

„Eine Frage der Würde“

KAMPF Flüchtlinge wollen politisch mitreden

Osaren Igbinobu

■ kam 1994 als Asylbewerber aus Nigeria nach Deutschland. Direkt nach seiner Ankunft gründete er mit anderen Asylsuchenden The Voice Refugee Forum in einem Heim in Thüringen. Die in Jena ansässige Organisation ist die älteste Vereinigung von Flüchtlingen in Deutschland

taz: Herr Igbinobu, was wollen die Flüchtlinge?

Osaren Igbinobu: Wir wollen uns ermächtigen. Wir haben es mit einer Ideologie der Selektion zu tun. Einigen haben Rechte, andere nicht. Schwarze meistens nicht. Dagegen kämpfen wir.

Sie organisieren seit 20 Jahren Flüchtlingsproteste. Was ist heute anders?

Die Flüchtlingsbewegung war immer eher nur eine Folge von Kampagnen: Wir haben uns gegen die Lager gewehrt oder gegen Residenzpflicht oder gegen Abschiebungen. Wir waren eine Bewegung zivilen Ungehorsams. Viele haben sich den rassistischen Gesetzen verweigert und werden dafür bestraft, kamen ins Gefängnis. Aber wir sehen heute, dass die Kämpfe zusammenkommen. Unser Ziel ist es, mehr zu werden. Wir fordern nicht mehr nur Rechte, wollen nicht länger den Staat bitten, sondern unsere autonomen politischen Räume entwickeln. Das ist eine Frage der Würde.

Wozu sollen diese autonome Räume denn dienen? Um die Auseinandersetzung mit dem Staat kommen sie nicht herum: Er ist für alles verantwortlich, was sie kritisieren.

Natürlich geht es darum. Natürlich steht die Macht des Staates im Fokus unseres Kampfes. Wir wollen diese Räume nicht als Selbstzweck. Wir wollen sie nutzen, um gegen den Staat zu kämpfen, gegen die Residenzpflicht. Und das wiederum, um letztlich besser gegen Abschiebungen kämpfen zu können. Abschiebungen sind der stärkste Ausdruck staatlichen Rassismus. Sie sind untrennbar verbunden mit Unterdrückung, Gefängnis, der Zerstörung von Leben.

Ist dieser Kampf heute leichter als früher?

Die Flüchtlinge gehen in viel größerer Zahl als zuvor in die öffentlichen Räume. Das ist eine neue Dimension des Protests. Als wir uns damals organisierten, hatten wir keine Partner, die Medien haben sich nicht für uns interessiert. Aber bis heute ist es so, dass es viel Wut gibt in den Heimen.

Wie wollen Sie die kanalisieren?

Viele Flüchtlinge kennen die Kämpfe noch immer nicht, ihnen fehlen die Informationen, die sie brauchen, um sich den Kämpfen anzuschließen. Das ist unsere Aufgabe.

In Erklärungen der Bewegung wird gern der Begriff „revolutionär“ verwendet. Weshalb?

Der Kampf gegen die Abschiebungen ist revolutionär, weil er die Macht des Staates zur Selektion an einer zentralen Stelle angreift und infrage stellt.