TV-Film „König von Deutschland“: NO-RM 0815
Olli Dittrich mimt einen Spießer. Seine Durchschnittswelt ist zusammengebrochen und er wird plötzlich von der Marktforschung ausspioniert.
![](https://taz.de/picture/63553/14/Ko__nigvonDeutschland_Frisbeefilms_FelixNovodeOliveira.jpg)
Man kann ja gar nicht anders als an Rio Reiser denken. Wäre der König von Deutschland geworden, hätte er sich ein feines Leben gemacht: „Bei der Bundeswehr gäb es nur noch Hitparaden. Ich würde jeden Tag Geburtstag haben.“ Nachwuchsregisseur David Dietl, Sohn von Helmut Dietl („Kir Royal“), hingegen stellt sich den Königs-Job offenbar ziemlich grau vor.
Sein König von Deutschland heißt Thomas Müller (Olli Dittrich) und ist der Traum eines jeden Infratest-dimap-Mitarbeiters: der Durchschnittsdeutsche. 1,76 Meter groß, 82,4 Kilo schwer, spart auf das Reihenhäuschen am Stadtrand, liebt Schnitzel mit Kartoffelsalat. Er ist verheiratet mit seiner Sabine (Veronica Ferres), Vater eines Sohnes und fühlt sich am wohlsten auf dem Sofa vor dem Fernseher.
Das einzig Aufregende in seinem Leben sind die schmutzigen Träume von seiner Kollegin (Katrin Bauerfeind). Eigentlich sollte Müller in Haßloch leben, jener Gemeinde in Rheinland-Pfalz, die die durchschnittlichste der Bundesrepublik ist. Tut er aber nicht, er lebt in Normsen. Autokennzeichen: NO-RM 0815.
Als er überraschend seinen Job verliert, stürzt seine Durchschnittswelt zusammen. Ein mysteriöser Fremder hält ihn vom Selbstmord ab und bietet ihm einen neuen Posten als Industrieberater an. Was Müller da genau machen soll, erfährt er nicht. Stattdessen geht sein neuer Kollege Stephan Schmidt mit ihm einkaufen, fährt mit ihm durch die Stadt, redet über Privates und Politisches.
„König von Deutschland“, Freitag, 27.02.2015, 20.15 Uhr, Arte.
Wahlslogans und Produkte
Was Müller nicht weiß: Schmidt spioniert ihn aus. Er lässt Kameras in Müllers Wohnung und in seiner Brille installieren, zeichnet Gespräche auf und stattet seine Armbanduhr mit einem Erregungsmesser aus. Alles was Müller sagt, verarbeitet Schmidt zu neuen Produkten und politischen Wahlkampfslogans – Marktforschung in Zeiten der NSA.
Es wäre leicht, Thomas Müller zu verachten. Dafür, dass er so naiv ist. Dafür, dass er so ist wie die eigenen spießigen Nachbarn und so, wie man selbst nie sein will. Das tut Olli Dietrich aber nicht. Er nimmt den kleinen Mann ernst und malt ihn bis ins kleinste Detail aus: wie er apathisch und mit festgefrorener Mimik vor dem Fernseher sitzt, wie er seiner Kollegin gegenüber flirtend die Augenbraue hochzieht.
Olli Dittrich hat viele großartige Sachen gemacht. Er hat die „Doofen“ miterfunden, spielt seit 22 Staffeln den verlodderten Hartz-IV-Empfänger „Dittsche“ und hat das „Frühstücksfernsehen“ neu interpretiert. Zuletzt saß er kurz nach Weihnachten als vierfacher Talkgast in „Das TalkGespräch“, moderiert von Cordula Stratmann. Das war so witzig, dass die Süddeutsche Zeitung Dittrich dafür eine ganze Seite drei widmete und in den sozialen Netwerken noch Tage später davon die Rede war. Oliver Dittrich ist Comedian, ein Improvisationskünstler. Er glänzt immer dann, wenn er spontan sein kann. Er ist ein meisterhafter Nachahmer, gerade deshalb waren sein Frühstücksfernsehen und „Das TalkGespräch“ so herausragend.
Weder Pegida noch AfD
Was Olli Dittrich definitiv nicht ist, ist ein durchschnittlicher Schauspieler. Keine Frage, er spielt den Thomas Müller fabelhaft. Ab und zu scheint der Dittsche in ihm durch. Dann sagt er „ne, ne“ oder geht hilflos in die Knie und hebt dabei die Arme. Trotzdem geht in dem engen Korsett aus Drehbuch und Regieanweisung Dittrichs Witz leider verloren.
Immerhin hat sein Thomas Müller wenigstens eine ziemlich klare Vorstellung von Gut und Böse. Pegida und AfD wären trotz aller Spießigkeit wahrscheinlich nicht sein Fall. Als er merkt, dass er überwacht wird, beginnt er, seine Beobachter zu manipulieren, und wünscht sich nur noch Gutes: Vier-Tage-Woche, viel Urlaub, keine Studiengebühren und bedingungsloses Grundeinkommen. Ein bisschen Rio Reiser steckt eben doch in ihm.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben