Pro und Contra: Gehört das Urheberrecht abgeschafft?
International wird an Gesetzen gearbeitet, die das illegale Herunterladen von Musik und Filmen bekämpfen. Wie gehen wir künftig mit geistigem Eigentum um?
PRO VON MEIKE LAAFF
Ja. Zumindest so, wie wir es heute kennen. Dieses Gesetzesfossil, dem mit immer härteren Maßnahmen, immer internationaleren Abkommen, immer drakonischeren Strafen Durchsetzung verschafft werden soll, ist einst entwickelt worden, um Rechte zwischen Künstlern, Verlegern und kommerziellen Nutzern zu organisieren.
Das Internet aber hat das Urheberrecht in unsere Wohn- und Kinderzimmer hineingetragen. Und der technische Fortschritt hat die digitale Kopie möglich gemacht: blitzschnell, ohne Qualitätsverluste und vor allem materialkostenfrei. Diese Entwicklungen machen es bitter nötig, das analoge Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen.
Was dabei gar nicht hilft, ist die Rumheulerei von Platten- und Filmindustrie. Ihr Jammern darüber, dass immer weniger CDs verkauft werden, lässt mich unweigerlich an ein Flugblatt aus den späten Zwanzigern denken, in dem der Deutsche Musiker-Verband den Tonfilm als "wirtschaftlichen und geistigen Mord" und Weltuntergang für Bühnenkünstler geißelte.
Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ein vor sich hin rottendes Geschäftsmodell, das vom technischen Fortschritt links überholt worden ist, qua Gesetz gerettet werden muss. Auch nicht, wenn die Unterhaltungsindustrie ein paar Millionen ins Lobbying steckt.
Natürlich verkaufen sie weniger CDs. Wer will schon noch im Laden ein paar Stücke Plastik und Metall kaufen, nur um sie zu Hause am Rechner zu rippen? Und es stimmt auch, dass der Verkauf von Songs online die CD-Verluste bislang noch nicht kompensieren konnte.
Das Bild von der dahinsiechenden Musikbranche ist falsch
Trotzdem, das belegen Studien vom renommierten US-amerikanischen Nielson-Institut bis zur London School of Economics, ist das Bild von der dahinsiechenden Musikbranche falsch: Sie wächst. Besonders Konzerte und Musikrechteverwertung im Fernsehen spülen seit Jahren immer mehr Geld in die Kassen. Was das Internet also verändert hat, ist, dass allein die Veröffentlichung von Platten Musiker und Labels heute nicht mehr reich machen.
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Plattenfirmen und Filmstudios noch so häufig ihre Anwälte losschicken, um die Anbieter von Download-Software oder Filesharing-Börsen zu Schadenersatzzahlungen in Fantasiehöhe zu verklagen. Dass jeder Song, der heruntergeladen oder kopiert wurde, ein finanzieller Schaden für die Musikbranche ist, ist eine Milchmädchenrechnung: Glauben die Labels wirklich, dass sich ein Jugendlicher mit 5.000 Songs auf dem iPod das Geld hätte, die tatsächlich zu kaufen?
Noch schlimmer: Das Rechtsempfinden der Bürger hat in der Regel oft nur noch wenig mit dem geltenden Urheberrecht gemein. Was legal ist und was nicht, und wo juristisch der Unterschied liegt, ob man einen Song bei iTunes oder Saturn in Plastik gekauft hat, all das juckt die Leute nicht.
Für den Musikkonsumenten macht es keinen Unterschied, ob er einen Song bei Youtube anhört, bei LastFM oder ihn bei Megaupload heruntersaugt. Jugendliche, die ein Beyoncé-Video nachtanzen und es bei Youtube posten, verletzen das Urheberrecht ebenso wie jemand, der ein Handyvideo veröffentlicht, bei dem im Hintergrund im Fernseher ein Disney-Film läuft. Wer blickt da noch durch?
So naiv das klingt: Ist Recht nicht für die Menschen da – und nicht, um sie zum Ziel von Abmahnanwälten zu machen?
Die Freiheit des Internets ist in Gefahr
Vor allem aber geht es beim aktuellen Kampf ums Urheberrecht darum, was man als wichtiger erachtet: die Sicherstellung der Einnahmen der Musikindustrie - dazu zählen auch kleine Labels und Musiker - oder die Freiheit des Internets. Die Anti-Piraterie-Lösungen, an denen weltweit gebastelt wird, zielen darauf ab, Urheberrechte zu schützen, indem man an den Grundprinzipien des Netzes rüttelt.
Katastrophal ist die Überlegung, Nutzern die Internetverbindung zu kappen, wenn sie zwei- oder dreimal Filesharing betrieben haben sollen. Eine Maßnahme, mit der man Netzarbeitern ihre Arbeitsgrundlage entziehen würde.
Der deutsche Musiker und Indie-Label-Betreiber Bruno Kramm setzt sich gegen das ACTA-Abkommen ein. Auch der US-Musiker Jonathan Coulton wagte sich kürzlich so weit ins musikalische Netzbeschmutzertum, dass er in seinem Blog schrieb: "Mit Kunst Geld zu verdienen ist kein Menschenrecht."
CONTRA VON JULIAN WEBER
Lieber würde ich über den Chicagoer Soulmusiker Syl Johnson schreiben, der nach jahrzehntelanger Obskurität gerade von einer neuen Popgeneration wiederentdeckt wird. Wer will, kann sich seine Songs runterladen oder das Boxset mit seinen raren Singles erwerben.
Auch die Rapstars Kanye West und Jay-Z schätzen Johnsons Streunenden-Hund-Sound. Nur hatten sie seinen Song "Different Strokes" auf ihrem gemeinsamen Album gesampelt, ohne den Komponisten um Erlaubnis zu fragen. Worauf der 75-Jährige die beiden Millionäre verklagt hat.
Womit ich beim eigentlichen Thema bin: Urheberrechte und ihre angebliche Verschärfung durch das ACTA-Abkommen. Ich halte Urheberrechte für ein notwendiges Übel, zumindest so lange, bis es andere Vergütungsmodelle für Musiker gibt.
Die moralische Panikmache gegen ACTA nervt gewaltig. In unzähligen Texten wurde das Abkommen als Bedrohung der Meinungsfreiheit und Instrument der Zensur dargestellt. Da haben es Experten wie der Freisinger Rechtsanwalt Thomas Stadler schwer, sich Gehör zu verschaffen. Auf seinem Blog schreibt Stadler, wie unsachlich ACTA hierzulande dargestellt wird. Er sei betrübt über die "Faktenarmut" und den Grad von "Falschinformationen" in der Debatte. Stück für Stück widerlegt Stadler Behauptungen, es würden mit ACTA etwa Netzsperren implementiert.
Dabei hat auch Stadler sehr wohl etwas am ACTA-Abkommen auszusetzen. Es stärke seiner Meinung nach die Rechteinhaber zu einseitig und vernachlässige andererseits das Gemeinwohl. Stadler sieht das Urheberrecht deshalb sogar in einer Legitimationskrise. Weil die Menschheit bereits seit Jahrhunderten für den Eigennutz Waren tausche. Weil die Wissensgesellschaft ungehinderten Zugriff auf Informationen brauche. Wer möchte das bestreiten?
Keine Verdienstmöglichkeiten für Künstler im Netz
Einer der Vordenker des Internets, der amerikanische Informatiker Jaron Lanier, hat vor 20 Jahren einmal prognostiziert, dass das Internet Werbung irrelevant mache und viele neue Verdienstmöglichkeiten entstehen ließe. Seine Aussagen hat er inzwischen zum Teil revidiert: Für Künstler gebe es im Netz keine neuen Verdienstmöglichkeiten.
Auch darum macht einen die ewige Propaganda sprachlos, wer für Urheberrechte eintritt, lässt sich automatisch vor den Karren einer korrupten Musikindustrie spannen. Mir ist die Musikindustrie so was von schnuppe. Aber ich glaube, dass das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen von Urhebern nicht umsonst in der Erklärung der Menschenrechte (Artikel 2, Absatz 2) verankert ist und auch im Internetzeitalter berücksichtigt werden muss.
Apropos Internet, wäre es nicht mal an der Zeit, das Gebaren von Internetmultis wie Facebook und Google näher zu untersuchen? Ihre Bereicherungsmodelle sind so abstrakt, dass sie meist gar nicht erfasst werden. Und wo bleibt die kritische Auseinandersetzung mit Telefon- und Hardwarekonzernen, die längst einflussreicher sind als jedes Plattenlabel und jede Verwertungsgesellschaft und definitiv weniger Kunst produzieren?
Spätes Ergebnis von Wirtschaftswunder-Pfennigfuchserei
Angebracht scheint auch ein Exkurs in die Mentalitätsgeschichte. Jedes Land hat schließlich andere Probleme im Umgang mit Urheberrechten und Internet. Der Siegeszug von Elektronik-Discountern in Deutschland und ihre "Geiz ist geil"-Werbestrategie verdankt sich einem seit Generationen weitergereichten Sparzwang. Dass man keine Lust verspürt, Geld für Musik auszugeben, ist vielleicht ein spätes Ergebnis von Wirtschaftswunder-Pfennigfuchserei.
Das Schaffen von Musikern wird im Internetzeitalter abgewertet. Dies interpretiert etwa der Berliner Künstler und Labelbetreiber Stefan Goldmann als Rückfall in eine Zeit, als Kreativität nicht als Arbeit galt. Durch das Internet habe sich die Konkurrenz unter Musikern verschärft, sagt er. Das sei schlimmer als jede Form von Piraterie.
Sprachlos macht einen an der Debatte noch etwas: Sie treibt einen Keil zwischen Musiker und Fans. "Die Gesellschaft sucht sich aus, wen sie bezahlt", sagt der Musiker Kristof Schreuf. "Anscheinend sind es Musiker einfach nicht wert."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch