Ex-Kommissar über rassistische Mordserie: "Zu viele sind zuständig"
Josef Wilfling, Ex-Leiter der Münchner Mordkommission, wehrt sich gegen den Vorwurf, die Polizei habe versagt. Die Ermittlungsstrukturen seien zu wirr.
taz: Herr Wilfling, was sagen Sie angesichts der überraschenden Wendung des Falls?
Josef Wilfling: Ich bin sehr überrascht, aber auch froh, denn die Aufklärung bedeutet das Ende der Serie. Es gab schon zuvor zeitliche Lücken, und niemand konnte sicher sein, ob die Täter noch mal zuschlagen. Ich bin also erleichtert.
Schildern Sie bitte die beiden Fälle, für die Sie in München zuständig waren.
Beim ersten Mordfall im August 2001 ging es um einen Gemüseladen im Münchner Osten. Der türkische Inhaber wurde vom Postboten tot hinter seinem Tresen aufgefunden. Uns war sofort klar, dass es sich hier um eine neue Qualität von Fall handelte. Der Mann wurde gezielt durch einen Kopfschuss hingerichtet. Das passiert nicht oft. Wir wussten: Das muss ein professioneller Täter gewesen sein. Und dann gab es auch die anderen Fälle. Wir dachten: Hoppla, da haben wir es mit einer außergewöhnlichen Mordserie zu tun.
Und beim zweiten Fall?
2005 bot sich ein absolut identisches Bild. Ein Grieche, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes im Münchner Westend, war auf dieselbe Weise hingerichtet worden. Bald stellten wir fest, dass der Mord mit derselben Waffe verübt worden war.
64, war 42 Jahre lang im Polizeidienst tätig, 22 davon bei der Münchner Mordkommission. Der Vernehmungsspezialist klärte spektakuläre Fälle wie den Sedlmayr- und den Moshammer-Mord auf, schnappte Serientäter wie den Frauenmörder Horst David und verhörte Hunderte Kriminelle. Josef Wilfling ist verheiratet und lebt in München. Im März 2001 veröffentlichte der Rentner das Buch "Abgründe: Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf" im Heyne Verlag.
Es war von Anfang an klar, dass die Morde in Zusammenhang stehen?
Ja, sofort, weil immer dieselbe Waffe verwendet wurde.
An welches Motiv haben Sie als Erstes gedacht?
An ein organisiertes Verbrechen. Es gab in verschiedenen Fällen konkrete Hinweise auf einen Kontakt ins Drogenmilieu und es gab zahlreiche Hinweise auf Inkassokriminalität, Glücksspiel und Geldwäsche. Klar, dass ich da einen Schwerpunkt gebildet habe. Wir haben auch mit türkischen Organisationen und Verbänden eng zusammengearbeitet und türkische Polizeibeamte eingesetzt. Wir haben türkische Mitbürger angesprochen. Es gab Plakataktionen. Es wurden Phantombilder veröffentlicht. Das gesamte Umfeld wurde befragt. Jeder noch so kleinen Spur wurde nachgegangen. Es gab keine Ermittlungen in der Nachkriegszeit, die mit einem solch gigantischen Aufwand betrieben wurden wie diese. Aber alles, was wir hatten, waren Hinweise auf Radfahrer, die Fahrräder in ein Wohnmobil eingeladen haben. Dass die Täter Wahnsinnige sind, die mit einem Wohnmobil durch die Gegend fahren und Leute umbringen, darauf kamen wir nicht.
Welche konkreten Hinweise deuteten darauf hin, dass die Opfer Teil einer Mafia waren?
Das kann ich im Einzelnen natürlich nicht sagen. Auch nicht bei welchen konkreten Fällen. Aber diese Hinweise gab es. Auch ich war davon überzeugt, dass die Mordserie einen mafiösen Hintergrund hat.
Das heißt, dass es sich um eine rechtsradikal motivierte Tat gehandelt hat, wurde gar nicht in Betracht gezogen?
Das hat selbstverständlich auch eine Rolle gespielt. Wir haben in alle Richtungen gedacht. Aber man hält sich eben an die Fakten, und die Ermittlungen haben zunächst deutliche Hinweise auf ein organisiertes Verbrechen gegeben. Erst nach ein paar Jahren, nachdem man keine Anhaltspunkte gefunden hatte, gab es ein Gutachten der Münchner Profiler. Die kamen zu dem Ergebnis, dass ein fremdenfeindlicher Hintergrund wahrscheinlich ist.
Da kann man den Eindruck bekommen, es wirke ein Mechanismus. Werden Menschen mit Migrationshintergrund ermordet, dann beschuldigt man in erster Linie die Opfer selbst. Man geht automatisch davon aus, dass sie Teil einer Mafia sind oder mit Glücksspiel oder Drogenkriminalität zu tun haben.
Diesen Vorwurf finde ich ungerecht. Das ist einfach nicht berechtigt. Für uns macht es nicht den geringsten Unterschied, ob das Opfer Türke oder Schwarzafrikaner oder Deutscher ist. Das kann ich Ihnen versichern. Aber diese Äußerungen sind natürlich auch den Emotionen geschuldet und in gewisser Weise habe ich dafür Verständnis.
Trotzdem wurden die Täter nicht gefunden. Haben Sie versagt?
Das tut weh, wenn man sich so engagiert hat. Tausende von Stunden, Hunderte von Polizisten und Ermittlern haben sich da reingekniet, und dann kriegt man so einen Vorwurf. Das ist unfair und ungerecht.
Trotzdem hätte doch das Bundeskriminalamt eingeschaltet werden müssen, oder nicht?
Das BKA war eingeschaltet, und zwar ganz intensiv. Es geht eher um die Frage, wer die Leitung des Falles übernimmt. Meine Meinung dazu ist, dass wir in der Bundesrepublik zu viele Zuständigkeiten haben: Sechzehn Bundesländer und sechzehn Justizministerien, sechzehn Verfassungsschutzämter, sechzehn unterschiedliche Polizeien. Wenn es eine klarere Struktur gäbe, würden die Informationen besser laufen.
Was hätte anders laufen müssen?
Das Bundeskriminalamt hätte die Ermittlungen gleich an sich ziehen müssen, ebenso die Bundesanwaltschaft. Nicht erst jetzt, da alles vorbei ist.
Glauben Sie, der Fall hätte früher aufgeklärt werden können?
Nein, denn die Soko Bosporus in Mittelfranken, die den Fall federführend übernommen hat, hat effektiv gearbeitet. Meiner Meinung nach geht es hier um ein grundsätzliches Problem. Mit diesem zerrissenen Fleckerlteppich an Zuständigkeiten, den wir in Deutschland haben, wird man der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und auch des Radikalismus, egal ob von links oder rechts, auf Dauer nicht gerecht.
Muss man den rechtsradikalen Terror in Zukunft ernster nehmen, als man das bisher getan hat?
Man muss jeden Terror ernst nehmen, den rechten genauso wie den linken. Da gibt es keine Steigerung. Ich kann nicht sagen, dass wir das nicht ernstgenommen haben. Was im politischen Bereich gedacht und gemacht wird, das kann ich nicht beurteilen. Es gibt eine Trennung von Polizei und Verfassungsschutz. Das ist politisch gewollt, vor allen Dingen von den Politikern, die jetzt am meisten das Maul aufreißen, sich wichtigmachen und von Versäumnissen reden. Die sollten drüber nachdenken, dass sie es sind, die den Informationsfluss unterbinden.
Mit anderen Worten, sie halten die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz nicht für sinnvoll?
Ich halte diese Trennung schon für sinnvoll, aber der Informationsaustausch ist viel zu zögerlich. Wenn ich als Ermittler Informationen brauche und rufe jede einzelne Verfassungsschutzbehörde an? Das kann ich mir sparen. Da kriege ich nichts.
Warum?
Ich kann nicht anrufen und sagen: Sie, wir haben hier einen Mordfall. Das könnte auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund sein. Geben Sie mir mal ein paar Informationen. Das fruchtet nicht. Das ist viel zu vage. Da bräuchte ich konkrete Hinweise auf Personen oder Gruppierungen. Wir hatten es ja hier mit einem Fall zu tun, der sich auf ganz Deutschland erstreckt hat. Wo fängt man da an bei sechzehn unterschiedlichen Ämtern?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Klimaschützer zu Wahlprogrammen
CDU/CSU und SPD fallen durch, Grüne punkten nur wenig
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge