Kommentar Facebook: Lebenslang und ohne Bewährung
Mit dem Umbau seines Netzwerks will Facebook seinen Nutzern ganz nahe kommen: So nah, dass sich jeder fragen muss, ob er das möchte.
M it einem kleinen Video zeigt uns Facebook, wie toll die schöne neue Welt ist, die man dort nun erschaffen möchte: Das Leben eines Facebook-Angestellten, von der eigenen Geburt bis heute, in Video, Foto und Text. Und genau so sollen wir es nach dem Willen der Zuckerberg-Firma nun alle machen.
Bin ich heute schon joggen gewesen? Welche Musik habe ich vor vier Jahren, zwei Monaten und sechs Tagen gehört? Wo war ich am 11. September 2010? Sind es nicht diese kleinen Details, die unser wahres Leben erzählen? Für all diese Dinge gibt es seit Jahren Webseiten und Anwendungen für Computer und mobile Endgeräte. Wir können unser komplettes Leben digital aufzeichnen.
Das ehemalige Soziale Netzwerk Facebook krempelt nun seine Grundidee um. Statt wie bisher eben eine Netzwerk zu sein, in dem man seinen Freunden etwas zeigte, dreht der Anbieter nun das Rad weiter: man zeigt nicht mehr, man lässt zeigen. Automatisiert erstellt man einen Mitschnitt des eigenen Lebens und kann andere daran teilhaben lassen.
Facebook öffnet seine Technik weiter für Anwendungen von außen, um von einer unter vielen Seiten im Internet zur faktischen Zentralplattform zu reifen. Dem Ort, wo wir unser Leben und unsere Identität verwalten.
Falk Lüke ist freier Autor.
Im Grundsatz ist das keine besonders neue Idee. Zuletzt hatte der Microsoft-Mitarbeiter Gordon Bell in einem Forschungsprojekt zwischen 2001 und 2007 den Versuch unternommen, sein Leben digital zu protokollieren. Möchten wir das? Wollen wir alles jederzeit und überall verfügbar haben, abrufbar und rückverfolgbar? Nicht mehr vergessen können?
Wer heute Facebook-Profile betrachtet, wird feststellen, dass die dort veröffentlichten Informationen bei vielen Menschen nur einen Teil ihres Lebens, ihrer Identität und ihres Facettenreichtums abbilden: das, was sie bereit sind, einem werbefinanzierten Konzern und ihren neugierigen Freunden und Bekannten vor die Nase zu setzen. Wer lustig ist, wird mit Likes belohnt, wer erfolgreich ist, mit Glückwunschkommentaren. Es ist ein digitaler Schminkspiegel.
Doch auch wenn es ein Zerrbild ist: wieviel unseres Lebens möchten wir dem blauweißen Riesen am Ende wirklich in den Rachen werfen? Die Informationen bleiben digital potenziell lebenslang erhalten. Und eine Bewährungszeit, ob wir dort das auch morgen noch für uns Richtige veröffentlichen, gibt es ebensowenig.
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