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Manheimers Mantel

Einst war der Hausvogteiplatz mit seinen jüdischen Modehäusern ein Zentrum für Mode von der Stange. Eine Ausstellung erzählt seine Geschichte

Von Brigitte Werneburg

Mit Eisenstangen demolierten am 9. und 10. November 1938 die Laufburschen des NS-Regimes Auslagen und Schaufenster des Warenhauses Nathan Israel am Hausvogteiplatz. Sie zertrümmerten Vitrinen, rissen Stoffballen von Tischen und warfen sie mit Möbelstücken und Schreibmaschinen aus den Fenstern. Am Ende zündeten sie die angehäuften Gegenstände ihrer Zerstörungswut an. „Brennender Stoff“ heißt deswegen die sehenswerte Ausstellung zur Geschichte des Hausvogteiplatzes als Sitz der jüdischen Kleiderhändler und Konfektionäre, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert Berlin zum weltweit führenden Zentrum der, wie man damals auch sagte, „Mode von der Stange“ gemacht hatten. Bis vor nunmehr 80 Jahren ihre Häuser „arisiert“ und sie selbst in die Emigration gezwungen wurden.

Die Ausstellung im Lichthof der Humboldt-Universität ist das Ergebnis eines zweisemestrigen Studien- und Forschungsprojekts am Institut für Europäische Ethnologie unter Leitung von Kristin Hahn und Sigrid Jacobeit. In Kooperation mit dem Fachbereich Visuelle Kommunikation der Kunsthochschule Weißensee unter Leitung von Wim Westerveld wurden Ausstellungskonzeption und -design entwickelt, während das Jewel­ry and Fashion Department der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem unter der Leitung von Zivia Kay und dem Berliner Modedesigner Michael Sontag eine Modekollektion mit dem Fokus auf die 1920er Jahre entwickelte.

Vorgestellt werden in der übersichtlich gestalteten Ausstellung die Modehäuser Hermann Gerson und Valentin Manheimer sowie das Warenhaus Nathan Israel. Auf Infotafeln, die an Kleiderständern hängen, die für die Ausstellung modifiziert wurden, kommt am Beispiel der Heimnäherinnen aber auch die Lage der Beschäftigen in der Modeindustrie zur Sprache. Es wird das Zusammenspiel der Modehäuser und der Medien beleuchtet oder der Zusammenhang von Mode und Frauenemanzipation. Einem Kapitel zur Förderung der Modeindustrie folgt schließlich die traurige Geschichte des Niedergangs des Hausvogteiplatzes durch die Enteignung und Vertreibung, schließlich auch Ermordung der Protagonisten. Beispielhaft ist dafür die Geschichte des Pelzhauses Wolff.

Den Informationen an diesem Kleiderständer entsprechend führt der Zwangsverkauf ihres 1908/09 erbauten, sechs Stockwerke hohen, einen gesamten Häuserblock umfassenden Hauses in der Krausenstraße 17/18 an die Deutsche Reichsbahn auf die Spur der Viktoria Lebensversicherung: Sie kündigte 1936 einen Millionenkredit unrechtmäßig auf und zwang damit Fritz Wolff dazu, das Haus unter Wert zu verkaufen. Die Viktoria Versicherung, die unter Kurt Hamann, ihrem Generaldirektor zwischen 1935 bis 1968, eine tatkräftige Rolle bei der „Arisierung“ jüdischen Eigentums spielte, versicherte darüber hinaus die Gebäude in Buchenwald und Auschwitz, wohin Fritz Wolff deportiert und wo er ermordet wurde.

Juden waren in der Berliner Schneidergilde nicht zugelassen. Es blieb ihnen nur der Altkleiderhandel, ein Markt für die Armen

Den Beginn der Berliner Konfektion bildete der jüdische Kleiderhandel, dessen Ursprünge sich bis ins Jahr 1288 zurück verfolgen lassen. Damals wurde die erste Berliner Schneidergilde gegründet. Da Juden nicht zugelassen waren, blieb ihnen letztlich nur der Altkleiderhandel, der allerdings für eine überwiegend arme Bevölkerung ein wichtiger Markt war, sich einzukleiden. Als die jüdische Bevölkerung 1812 Gewerbefreiheit erhielt, kam es zu einer großen Migration unfreier Juden nach Berlin, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Die Schneider und Kleiderhändler unter ihnen gruppierten sich sternförmig um den Hausvogteiplatz, der schnell zum Zentrum der Konfektionsmode wurde, von der es 1904 in der Presse hieß, sie habe sich zu einer Großmacht entwickelt und sei „in gewissen Zweigen der Bekleidung ausschlaggebend für den Weltmarkt geworden“.

Diese Kleider, die in exquisiten, ausgesuchten Original-Exemplaren in der Ausstellung zu jedem Themenbereich das konkrete sinnliche Anschauungsmaterial liefern, sind die großzügige Leihgabe von Josefine Edle von Krepl, einer Sammlerin, die in der Prignitz auf Schloss Meyenburg ein Modemuseum eingerichtet hat. Ein gezeigter Mantel kann sogar Valentin Manheimer zugeordnet werden. Für diesen Mantel lieferte Manheimer Schnitt, Stoff und Nähzutaten an „Zwischenmeister“ genannte, unabhängige Schneider. Sie schnitten den Stoff zu und gaben die Einzelteile an Heimnäherinnen weiter.

Die Zwischenmeister und die Näherinnen wurden nach Stückzahl honoriert, womit ihrer Ausbeutung Tür und Tor geöffnet war. Auch das wird in der Ausstellung angesprochen, die sich als ein ganz erstaunliches internationales studentisches Projekt erweist, das neben der Wanderausstellung noch mit einem substanziellen Katalog aufwartet.

Bis 30. November,Lichthof im Hauptgebäude der Humboldt-Universität. Mi.–Fr.: 16–20 Uhr, Sa. 11–17 Uhr, Katalog 19,90 €

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