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Kommentar Attentat auf Henriette RekerEiner hat zugestochen

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Das Messer geführt haben viele. Der Mordversuch auf die parteilose Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker sollte ein Fanal sein.

Rosen hängen am Tatort auf dem Wochenmarkt in Köln. Foto: dpa

D as Attentat auf Henriette Reker ist ein Angriff auf die Demokratie in Deutschland. Der Täter mag ein Einzeltäter sein. Aber seine Tat kommt nicht aus heiterem Himmel. Sie ist die Folge einer immer lauter und widerwärtiger werdenden fremdenfeindlichen Hetze. Der Galgen auf der letzten Pegida-Demonstration wirkt heute wie ein Menetekel. Die Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsterrorismus ist allzu offen.

An die nahezu täglichen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte scheint sich die Republik in erschreckender Weise gewöhnt zu haben. Der Mordversuch auf die parteilose Kölner OB-Kandidatin und Sozialdezernentin sollte ein Fanal sein, jetzt endlich mit aller Macht und Entschlossenheit den Feinden eines friedlichen Zusammenlebens entschlossen entgegenzutreten.

Zugestochen hat ein Mann, der nach den bisherigen Erkenntnissen in den neunziger Jahren – wie auch schon die Killer des NSU – in der faschistischen Parallelgesellschaft Deutschlands politisch sozialisiert worden ist. Doch seine Tat einen Tag, nachdem der Bundesrat mit großer Mehrheit der Verschärfung des deutschen Asylrechts zugestimmt hat, ist nicht nur ein Produkt der militanten Neonaziszene.

Das Messer geführt haben auch jene „besorgten Bürger“, die Menschen, die aus größter Not und Elend nach Europa fliehen, als „Invasoren“, „illegale Siedler“ und „Asylbetrüger“ beschimpfen. Das Messer geführt haben jene, die die Aufnahme von Geflüchteten als „Asylwahnsinn“ diffamieren. Das Messer geführt haben jene, die lautstark über eine angebliche „Überfremdung“, „Umvolkung“ oder „Islamisierung des Abendlands“ klagen. Das Messer geführt haben jene, die Menschen, die sich für eine Willkommenskultur einsetzen, als „Multikultiideologen“ und „Deutschlandabschaffer“ verhöhnen.

Klare Mitverantwortung

Die Brandstifter lassen sich benennen. Mitverantwortung für die Kölner Tat tragen Politiker wie der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, die mit ihren Hetzreden systematisch das Klima in diesem Land vergiften. Mitverantwortung tragen Publizisten wie Thilo Sarrazin, Udo Ulfkotte oder Jürgen Elsässer, die mit ihren Schriften und öffentlichen Auftritten den geistigen Nährboden bereitet haben. Mitverantwortung tragen Blogs wie „Politically Incorrect“, die ihren Rassismus immer aggressiver propagieren. Mitverantwortung tragen schließlich jene fremdenfeindlichen „Patrioten“, die zu Tausenden allwöchentlich in Dresden und anderswo in Ostdeutschland aufmarschieren.

Der Anschlag auf Henriette Reker hat Köln tief erschüttert. Denn die Messerattacke hat dramatisch vor Augen geführt, dass diese lebensfrohe, liberale und weltoffene Stadt auch eine dunkle Seite hat. Es ist gut, dass die Oberbürgermeisterwahl trotz des Mordversuchs am heutigen Sonntag stattfindet. Alles andere wäre ein Triumph für den Gewalttäter und seine ideologischen Helfershelfer.

Die furchtbare Tat weist jedoch weit über die Grenzen Kölns hinaus. Wenn aus ihr eine Lehre zu ziehen ist, dann die: Der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft sind gefordert, endlich entschlossener den Kampf gegen die rechten Menschen- und Demokratiehasser aufzunehmen. Auf allen Ebenen und mit allen in einer Demokratie zur Verfügung stehenden Mitteln.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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13 Kommentare

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  • So weit alles nicht verkehrt, aber doch zu wenig. Wie schon in verschiedenen Kommentaren angemerkt wurde, sitzt das Problem auch und immer noch in der "Mitte der Gesellschaft" - und in der politischen Elite.

     

    Stichworte:

     

    "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering 2006: http://www.zeit.de/online/2006/20/Schreiner/komplettansicht

     

    Erfundene falsche Syrer: Bundesminister des Inneren Thomas de Maizière, 2015: http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/Falsche-Syrer-Wie-der-Innenminister-Geruechte-schuert,demaziere108.html

     

    Auch die taz tut sich nicht wirklich hervor mit einer klaren Position für ein bedingungsloses Existenzrechtes eines jeden Menschen, siehe etwa http://bgerheinmain.blogsport.de/2015/04/27/eine-antwort-auf-internationale-migrationen/

  • Sehr gut, dieser Kommentar.

    An den benannten Zusammenhängen lässt sich wohl kaum etwas schönreden.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    de Maiziere, Seehofer und auch Gabriel sowie viele andere PolitikerInnen sind ebenso für die Bodenbereitung für solche Attentate mitverantwortlich. Es ist an der Zeit, endlich mit dem Unsinn des "Verständnisses für besorgte Bürger" aufzuhören. Schwarz/Weißmalerei ist nicht angebracht, doch hier ist es deutlich und notwendig, klare Kontur zu zeigen. Diese "Ehren"männer und -frauen haben nur eines im Sinn, nämlich ihre Wahlaussichten. Denen ist die Sache völlig wurscht, es geht denen nur und ausschließlich um ihre eigenen Interessen. Es ekelt einen an...

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Genau! Ein Bürger ist ja jemand, der sich nicht nur um sich und seine persönlichen Interessen, sondern um das Gemeinwesen als großes Ganzes kümmert. Die sogenannten "besorgten Bürger" tun genau dies eben gerade nicht und sie handeln im übrigen auch noch massiv gegen ihre eigenen Interessen. Das hat schon was von kollektivem Wahnsinn.

  • Ja und wie soll das gehen mit einem Innenminister, den die taz unlängst zurecht als widerlich bezeichnet hat. Was ausser Sonntagsreden und salbungsvollen Worten haben wir den zu erwarten. Glauben wir wirklich immer noch, dass die Zivilgesellschaft den Kontrapunkt setzen kann, während die Politikelite aus Machtinteresse allabendlich via TV Ressentiments bedient oder davon schwadroniert, dass die Verschärfung des Asylrechts eine gemeinsame Tat aller demokratischer Parteien zum Erhalt der Demokratie sei. Man sollte schon an die Wurzel des Übels gehen und das sind die frustrierend ungerechten Verhältnisse in diesem Land, die dazu führen den Fremden als Bedrohung und dankbares Objekt zu sehen auf das man herabschauen kann. Solche Ressentiments salonfähig gemacht zu haben ist eben nicht nur Hetzern wie Ulfkotte oder Sarrazin geschuldet, sondern einer Politik die ganze Bevölkerungsteile mit kultureller und sozialer Verelendung bedroht. Und wir sollten es eigentlich seit 1929 wissen wohin das führt.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Die Rede von den geistigen Brandstiftern kommt mir bekannt vor. Das hörte man auch in den 60ern und 70ern gerne, als man die Frankfurter Schule, Böll, Dutschke, die angeblich linken Medien usw. für die RAF verantwortlich machte.

     

    Wenn dieses Volk nicht in der Lage ist, sich der grassierenden Hetze von Angsthasen und in der Wolle gefärbten Rassisten emotional oder wenigstens intellektuell zu widersetzen, dann zeigt dies vor allem eins, wie schlecht es um das Rückgrat dieses Volk bestellt ist.

     

    Aber das wundert nicht, zumal wenn man bedenkt, dass ein gewisser Adorno schon früh die Gefahr für die Demokratie nicht aus den Rändern der Gesellschaft, sondern aus ihrer Mitte kommen sah.

  • Sie vergaßen Horst Seehofer zu erwähnen, der in seinem Landtatgswahlkampf diese Rhetorik überhaupt losgetreten hat.

  • Zunächst wünsche ich Frau Reker eine schnelle und vollständige Genesung. Insbesondere wünsche ich ihr, dass sie eine gute Antwort auf den persönlichen seelischen Schock des Angriffs findet. Und dass ein Mensch, der sich wie sie für sozial Schwache und Flüchtlinge einsetzt, die Wahl gewinnt, das wünsche ich mir.

     

    Ihren Worten, Herr Beucker, möchte ich gerne noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Den derzeitigen Attentaten von rechts auf unsere Demokratie ist nämlich in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren ein subtilerer Angriff vorausgegangen, der hier möglicherweise ebenfalls eine Rolle spielt. Ich meine die neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte, die zunehmend dabei ist, die Mittelschicht unserer Gesellschaft auszuhöhlen.

     

    Die Mittelschicht ist traditionell diejenige Schicht, die eine Demokratie stabilisiert. Ihre Abstiegsängste sind mindestens ein Nährboden für die rechte Ideologie; zumindestens einer von mehreren. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass auch die national Denkenden Aspekte sozialer Gerechtigkeit in ihrem Weltbild haben. Leider beschränken sie sich darauf, soziale Rechte nur für Deutsche einzufordern und Ausländer davon auszuschließen.

     

    Das ist der zentrale Widerspruch, der ihr Weltbild zur Ideologie werden lässt. Denn echte Gerechtigkeit lässt sich nur in einem System erreichen, das allen ihre Rechte garantiert. Schließt man irgendeine Gruppe davon aus, seien es nun sozial Schwache (Neoliberale), Reiche (Kommunisten) oder Ausländer (rechte Ideologen), kann letztlich nur Ungerechtigkeit dabei herauskommen.

     

    Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, warnt, dass unsere innere Ordnung in Gefahr ist, dass wir vor sozialen Unruhen stehen und jetzt jemand die Notbremse ziehen muss. Seine Befürchtung teile ich; den Konsequenzen, die er daraus zieht, möchte ich jedoch aufs Schärfste widersprechen. Was wir jetzt brauchen, sind nicht neue Grenzzäune, sondern eine sozialere Politik.

    • @Smaragd:

      Wir müssen die Fehler der Hartz IV-Reformen und der Rentenreform zurücknehmen. Eine gesetzliche Rente, die aus einem existenzsichernden Grundbetrag plus einem geringeren einkommensabhängigen Teil besteht, ist erforderlich, wenn wir den Rechten ernsthaft das Wasser abgraben wollen. Ebenso wie eine vernünftige Absicherung gegen Arbeitslosigkeit. Finanziert werden kann dies z.B. aus einer Vermögenssteuer, einem moderat erhöhten Spitzensteuersatz, einer Steuer auf Luxusartikel, oder einer Kombination daraus.

       

      Nein, das widerspricht nicht meiner Forderung, auch Reichen ihre Rechte zu gewähren. Dem Grundrecht auf Eigentum würde nur eine entschädigungslose oder nicht rational begründbare Enteignung widersprechen. Mir geht es darum, die Reichen wieder allen anderen gleichzustellen - für eine lebendige Demokratie. Von sozialen Unruhen haben auch die Reichen nichts, weil sie ihre großen Einkommen hauptsächlich aus wirtschaftlicher Aktivität erzielen und in einem Land mit sozialen Unruhen kaum jemand investiert.

      • @Smaragd:

        Prima Beiträge!

        Die treffende Analyse im ersten, insbesondere Ihre konkreten Lösungsvorschläge im zweiten Teil - schön auf den Punkt gebracht!

  • Wenn die Nazis nicht ENDLICH dingfest gemacht werden, auf Gefängnisse und Psychiatrien verteilt, wird dieses Land im Bürgerkrieg versinken.

    • @amigo:

      Das ist echt nicht der Moment, Scheiße zu reden.

       

      Wenn man diesem Attentat irgend etwas gutes abringen will, dann das, dass niemand, der diese Tat schönredet oder relativiert noch für sich in Anspruch nehmen kann für unsere Werte zu stehen. Wer aber Leute wegen ihrer Gesinnung festnehmen lassen und wahllos ins Gefängnis oder in einer psychiatrischen Klinik unterbringen will, der kann sich gerne mit den rechten Antidemokraten in eine Ecke stellen. Da könnt ihr dann auch gerne einen "Bürgerkrieg" anzetteln, viel Spaß.

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Mitverantwortung tragen die letzten Regierungen, die eine weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich erst ermöglicht haben. Mitverantwortung tragen jene in unserer Gesellschaft, die da meinen, dass Millionengehälter für Fußballer und Manager gerechtfertigt sind und das Schaumschlagen eben jener wichtiger sei als die Würde von Menschen, die auf Beistand und Unterstützung angewiesen sind.