Der Fall Timoschenko in der Ukraine: Die „Gasprinzessin“
Kein Politiker polarisiert in der Ukraine so sehr wie Julia Timoschenko. Sie drängt zurück in die Politik. Ihr Rivale Janukowitsch will sie ausschalten.
KIEW taz | Die Zelte auf Chrestschatik, der Hauptstraße von Kiew, gehören längst zum Stadtbild. Seit Monaten demonstriert hier der harte Kern der Timoschenko-Anhänger für die Freilassung der Oppositionsführerin – nur wenige Schritte von dem Gericht entfernt, das Präsident Janukowitschs Rivalin im Dezember 2011 in einem umstrittenen Verfahren zu sieben Jahren Haft verurteilt hat. Ein Porträt Timoschenkos schmückt ein Zelt, vor dem ein stilisiertes Gitter steht. Teilnahmslos gehen Passanten vorbei.
Seit über zwei Jahren macht der Fall Timoschenko Schlagzeilen – doch wie geht es der Inhaftierten selbst? Viel drängt nicht an die Öffentlichkeit aus dem Krankenhaus im ostukrainischen Charkiw, wo die Erkrankte unter strengster Bewachung liegt. Nur eins scheint klar zu sein: Timoschenkos Rückenprobleme sind sehr ernst. Ärzte der Berliner Charité haben eine Operation am Rücken als ihre einzige Chance auf vollständige Genesung bezeichnet.
Wie immer eine Lösung bezüglich ihrer Ausreise zur medizinischen Behandlung aussehen mag: Timoschenkos langfristiges Ziel bleibt, in die aktive Politik zurückzukehren. Sie plant, nach ihrer Ankunft in Berlin einen ersten Schritt dazu zu machen. Und hofft dabei auf die Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der noch ein Urteil über ihren Prozess zu sprechen hat.
Janukowitsch will dagegen seine Rivalin auf Dauer ausschalten. Als Notsicherung könnten hier weitere anhängende Verfahren gegen Timoschenko dienen, die zurzeit auf Eis kliegen. Dabei geht es um die Firma „Vereinigte Energiesysteme“, die Timoschenko Mitte der 1990er Jahre leitete. Der Exmanagerin werden unter anderem Steuerhinterziehung und eine Verwicklung in einen Auftragsmord vorgeworfen. Timoschenko und ihre Anwälte weisen die Anklagen als absurd und politisch motiviert zurück.
Bei einer Stichwahl würde sie gewinnen
Obwohl seit über zwei Jahren im Gefängnis, bleibt Julia Timoschenko populär und somit für den amtierenden Präsidenten gefährlich. Eine Umfrage der der Regierung nahestehenden Gruppe „Rating“ ergab, dass die Oppositionsführerin sich bei einer Stichwahl mit 28 gegen 24 Prozent gegen dem Präsidenten durchsetzen würde.
„Timoschenko ist der einzige Mann in der ukrainischen Politik“, sagte einst Expräsident Kutschma über seine charismatische Rivalin. Kein Politiker polarisiert mehr als sie. Timoschenko wurde Mitte der 1990er Jahre im Gashandel reich, was ihr den Titel „Gasprinzessin“ einbrachte. Diesen Aufstieg teilt sie mit vielen jüngeren Vertretern der politischen und wirtschaftlichen Eliten der Ukraine, deren Karrieren in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei begannen.
Die Exverbündete von Premier Pawlo Lasarenko, der später in den USA wegen Geldwäsche und Korruption verurteilt wurde, war nach dem Zerwürfnis zwischen ihrem Mentor und Kutschma gezwungen, sich von wirtschaftlichen auf politische Tätigkeit zu verlegen. Die Anfänge ihrer Popularität reichen ins Jahr 2001 zurück, als sie sich an die Spitze der Oppositionsbewegung setzte. Bei der Orangen Revolution 2004 stellte sie sich voll hinter Janukowitschs Herausforderer Juschtschenko.
Nachdem dieser Präsident wurde, führte sie zweimal die Regierung. Im Januar 2009 unterzeichnete sie mitten in der Gaskrise einen für die Ukraine ungünstigen Gasvertrag mit Russland. Nach ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen von 2010 gegen Janukowitsch wurde sie dafür des Amtsmissbrauchs beschuldigt und zu sieben Jahren Haft verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite