Debatte Bürgerkrieg in Syrien: Reden wir mit Assad!
Baschar al-Assad ist ein furchtbarer Verbrecher, aber wir müssen mit ihm verhandeln. Die Alternative lautet: noch mehr Krieg.
W er ist verantwortlich für den Chemiewaffeneinsatz in Syrien mit Hunderten Toten? Das Regime in Damaskus, wie westliche Regierungen glauben? Oder die Rebellen, wie Moskau und Teheran behaupten, die engsten Verbündeten Assads?
Die Antwort auf diese Frage könnte entscheiden, ob eine westliche Militärintervention erfolgt. Vor gut einem Jahr hatte US-Präsident Barack Obama erklärt, der Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime in Damaskus sei eine „rote Linie“. Würde sie überschritten, würden die USA „handeln“, in den Bürgerkrieg eingreifen.
Nicht weniger als die Glaubwürdigkeit amerikanischer Außenpolitik stünde auf dem Spiel, sollte Obama seinen klaren Worten keine Taten folgen lassen – für den Fall, dass Assad tatsächlich der Urheber des Giftgasangriffs wäre.
Auch wenn dem Regime jede Grausamkeit und Skrupellosigkeit zuzutrauen ist, kann es eigentlich nicht so dumm sein, durch den Einsatz von Chemiewaffen eine Militärintervention und damit den eigenen Sturz zu provozieren. Umso weniger, als die Regimetruppen gegenüber den Aufständischen längst die Oberhand gewonnen haben.
In arabischen Medien kursieren sehr unterschiedliche Bewertungen. So meldet die saudische Zeitung Al-Scharq unter Berufung auf die Freie Syrische Armee, dass eine Eliteeinheit des Regimes, angeführt vom Bruder des Präsidenten, Mahir al-Assad, gegen den Widerstand des zuständigen Kommandanten Chemiewaffen entwendet und zum Einsatz gebracht haben soll.
ist Politikwissenschaftler, Islam-Spezialist und Publizist. Er lebt in Berlin.
Mahir hat den Kommandanten demzufolge erschossen und eigenmächtig Giftgas eingesetzt. Das mag erklären, warum das Regime zunächst gezögert hat, Chemiewaffeninspektoren Proben am Ort des Geschehens nehmen zu lassen.
Washingtons Dilemma
Die israelische Zeitung Ha’aretz verweist auf die oppositionelle syrische Internetseite al-Hakika, die schon vor zwei Wochen von Chemiewaffenschmuggel aus der Türkei berichtet habe. Laut al-Hakika hätten Rebellen den Giftgasangriff durchgeführt, um eine Militärintervention herbeizuführen.
Vermutlich wird die Wahrheit nie ans Tageslicht kommen. Sie wäre viel zu gefährlich. Längst ist der syrische Bürgerkrieg ein Stellvertreterkrieg geworden: hier der Westen, die Türkei und die Golfstaaten, die sich auf die Seite der Aufständischen gestellt haben, vor allem um den wachsenden Einfluss Irans zurückzudrängen – dort Moskau, Teheran und Peking, die an Assad festhalten, um den Einfluss des Westens in der Region nicht größer werden zu lassen. Wie viele Syrer dabei sterben, ist unerheblich, solange nicht wenigstens einer der beiden Seiten der geopolitische Einsatz zu riskant wird.
Genau darin liegt Washingtons Dilemma. Man hat sich dort wie auch in Europa zu früh gegen Assad und für die Aufständischen entschieden, ohne sie allerdings militärisch unterstützen zu wollen. Nun geben Dschihadisten und Al-Qaida-Kämpfer den Ton an, längst nicht mehr die Gemäßigten. Würde Assad gestürzt, kämen diese Steinzeitkrieger an die Macht, zumindest vorübergehend und in Teilen des Landes. Sie verstehen sich auf Tod und Zerstörung, nicht aber auf Politik.
Vor allem London und Paris halten dennoch unbeirrt an ihrer Illusion von „gemäßigten Rebellen“ fest, die Syrien irgendwie in Richtung Demokratie befördern sollen. Zu diesem Zweck werden undurchsichtige Oppositionsgruppen mit Sitz in Istanbul oder Doha unterstützt, die in Syrien nicht über den geringsten Einfluss verfügen.
Ein Militärschlag wäre eine Kriegserklärung an Moskau
Natürlich wäre Washington mühelos in der Lage, die militärische Infrastruktur des Assad-Regimes in Schutt und Asche zu legen. Das aber wäre fast eine Kriegserklärung an Moskau und vor allem an Teheran. Was dann?
Machen wir uns nichts vor: Ein demokratisches, friedliches Syrien wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Die ethnischen und religiösen Konflikte haben sich als stärker erwiesen als die Bereitschaft vor allem ärmerer Sunniten, für ein freies Syrien ohne Assad zu kämpfen und zu sterben.
Hass und Rachegefühle bestimmen mittlerweile den Bürgerkrieg, jenseits aller Geopolitik. Vor die Wahl gestellt zwischen Pest und Cholera, zwischen Regime und al-Qaida, haben sich viele Syrer für Assad entschieden. Das ist einer der Gründe für den Siegeszug seiner Armee.
Assad ist ein furchtbarer Verbrecher, aber er wird an der Macht bleiben – vorerst. Reden wir mit ihm. Verhandeln wir mit ihm. Mit ihm und mit Moskau, auch mit Teheran. Hier die Guten, da die Bösen – diese Gleichung geht leider nicht auf. Die Alternative wäre Krieg und noch mehr Krieg, bis hin zum Flächenbrand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren