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Film über SextourismunsEuropäische Überheblichkeit

Eine Wienerin, Mitte 50, sehnt sich nach Zärtlichkeit und Sex. Bei den Beach Boys in Kenia wird sie fündig. Ulrich Seidls neuer Film „Paradies: Liebe“.

Als sei sie Goyas schöne Nackte: Margarete Tiesel als Teresa in „Paradies: Liebe“. Bild: Neue Visionen Filmverleih

Als Ulrich Seidls Film „Paradies: Liebe“ beim Festival von Cannes lief, hatte einer der Darsteller Schwierigkeiten, rechtzeitig anzureisen. Bei der Pressekonferenz erklärte der Wiener Regisseur, der junge Kenianer Peter Kazungu habe Probleme mit Pass und Visum bekommen.

Das war insofern bezeichnend, als eine der Asymmetrien, um die der Film unentwegt kreist, jäh zutage trat. Ein Österreicher oder ein Franzose hätte ohne Probleme ein Touristenvisum für Kenia erhalten, einem Kenianer wird ein solches Visum für den Schengen-Raum rasch verwehrt. Gleichberechtigung ist ein ferner Traum, wo es um das Verhältnis von Afrika und Europa geht.

So schaffte es Kazungu zwar gerade eben, im Palais du Festival auf dem Podium Platz zu nehmen, den Film aber hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen können. Deswegen hatte es keinen Sinn ihn zu fragen, wie er sich darin dargestellt sieht. Das war schade, denn von ihm, der sich im echten Leben wie im Film als Beach Boy verdingt, also als einer, der die romantischen und sexuellen Bedürfnisse europäischer Frauen erfüllt und sich dafür aushalten lässt, hätte man gern erfahren, ob er mit dem Blick, den der Film auf ihn wirft, etwas anfangen kann.

Der Film

„Paradies: Liebe“. Revgie: Ulrich Seidl. Darsteller: Margarete Tiesel, Peter Kazungu, u.a. Österreich 2012, 120 Minuten.

Zugleich hat es etwas von einem Reflex, wenn sich diese Frage so sehr aufdrängt. Dass der Zuschauer sich beim Laiendarsteller vergewissern möchte, ob der mit dem fertigen Film einverstanden ist, ist eine unwillkürliche Reaktion auf die Unsicherheit, die Seidls Arbeiten regelmäßig auslösen. In ähnlichem Maße wie „Hundstage“ oder „Import/ Export“ wirft „Paradies: Liebe“ die Frage auf, wie der Regisseur mit den Akteuren, die er engagiert, umgeht. Stellt er sie bloß? Oder verleiht er ihnen, im Gegenteil, eine besondere Form der Würde, die ihnen die schwierigen Verhältnisse, in denen sie leben, vorenthalten? Hätte Peter Kazungu in Cannes gesagt, er möge Seidls Film, er hätte das Publikum, zumindest auf den ersten Blick, entlastet. Es wäre von der schwierigen Aufgabe befreit, selbst eine Antwort zu finden.

Paradies-Triologie

„Paradies: Liebe“ ist der erste Teil einer ehrgeizigen Trilogie, der zweite, „Paradies: Glaube“, erlebte seine Uraufführung im September bei der Mostra von Venedig, die Premiere von „Paradies: Hoffnung“ wird während der Berlinale stattfinden. Es geht im ersten Teil längst nicht nur um den Beach Boy namens Mungu; im Mittelpunkt steht vielmehr die Wienerin Teresa (Margarethe Tiesel), eine Frau Mitte fünfzig. Sie hat eine pubertierende Tochter, die sie ohne Partner großzieht, und sie arbeitet als Pflegerin für Behinderte. In der spektakulären ersten Sequenz des Films steht sie vor der exotischen Dekoration eines Autoskooters, auf der Piste vergnügen sich ihre Schützlinge, Menschen mit Downsyndrom; die Kamera schaut von der Haube der Autoskooter in selige Gesichter.

Wenige Szenen später reist Teresa nach Kenia, an die Stelle der exotischen Kulisse im Autoskooter tritt also ein echter Palmenstrand, säuberlich aufgeteilt in einen Bereich, der zum Hotel gehört, und einen, den die Beach Boys besiedeln. Eine Kordel trennt die beiden Sphären; die Kameramänner Edward Lachmann und Wolfgang Thaler bringen diese Aufteilung mehrmals in sorgfältig komponierten Totalen zum Vorschein.

Teresa fühlt sich dick und hässlich; sie dürstet nach Zuwendung. Als sie Mungu begegnet, ist sie so naiv zu glauben, eine romantische Beziehung mit ihm zu führen. Die Enttäuschung ist programmiert, ändert aber nichts daran, dass die Figur ihrer Verwundbarkeit zum Trotz ein Paradebeispiel europäischer Überheblichkeit ist. Wenn die kenianischen Männer nicht tun, was sie möchte, wird sie herrisch. „Paradies: Liebe“ lotet diese tiefe Ambivalenz aus Bedürftigkeit und Arroganz aus, er wirft seiner Hauptfigur nicht vor, was sie tut, er entwickelt sogar ein Gespür für die Komik, die in dieser verqueren, neokolonialen Austauschbeziehung eben auch steckt. Aber zugleich erspart der Film seinem Publikum nichts.

Zum Geburtstag einen Lover

Gegen Ende etwa findet sich eine lange, deprimierende Sequenz, in der Teresa und drei Freundinnen sich an einem jungen Mann schadlos halten, auch er wird von einem Laiendarsteller, der im echten Leben als Beach Boy arbeitet, verkörpert. Es ist Teresas Geburtstag, der Mann ein Geschenk der Freundinnen, er tanzt für sie in der Hotelsuite, doch das, wofür sie ihn bezahlt haben, die Erektion, will sich nicht recht einstellen.

An diesen Bildern entzünden sich all die Fragen, die Seidls Oeuvre seit Jahr und Tag umstellen. Es sind Fragen, die sich nicht erübrigen, nur weil der Vorwurf, der Regisseur beute seine Protagonisten aus, schon oft und auf billige Weise erhoben wurde. Sie stellen sich bei jedem Film neu: Wenn Seidl einen Beach Boy anheuert und ihn mit halber Erektion filmt, verhält er sich dann nicht ähnlich wie die Freierinnen? Nutzt er nicht die Schieflage in Sachen Wohlstand, Macht und Mobilität aus, so wie es die Europäerinnen in Kenia tun? Bekräftigt er damit die Erbärmlichkeit von Verhältnissen, in denen Frauen über fünfzig keinen anderen Weg als die Fernreise finden, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu stillen, und Männer in Kenia, Ghana oder in der Karibik darauf angewiesen sind, Sex und Gefühle zu veräußern?

Es gibt auf diese Fragen keine abschließende Antwort. Wer sie bejaht, setzt sich selbst auf ein hohes moralisches Ross, wer sie als abgedroschen abtut, verkennt ihre Dringlichkeit. Vermutlich liegt in der quälenden Unabgeschlossenheit genau die Qualität des Films.

Doch auch diese Qualität schafft einen leisen Zweifel nicht aus der Welt. Der liegt darin begründet, dass Seidl und die Ko-Autorin Veronika Franz das Elend, das in „Paradies: Liebe“ aufscheint, ja nicht vorgefunden, sondern erfunden haben. So virtuos der Film im Einzelnen inszeniert ist, etwa in den Einstellungen, in denen Teresa auf der Bettstatt unterm Moskitonetz döst, als sei sie Goyas schöne Nackte, so bleibt doch ein Unbehagen, denn die Figuren, auf die mit Zärtlichkeit zu blicken der Wunsch des Film sein mag, erscheinen ein klein wenig zu klar konturiert in ihrer Not. Die Frage, inwieweit die eurozentrische Überheblichkeit der weiblichen Hauptfigur und das Pendant, die subalterne Verschlagenheit der Beach Boys, Resultat einer gewaltigen Konstruktions- und Projektionsanstrengung sind, treibt einen noch lange nach dem Abspann um.

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10 Kommentare

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  • W
    Wildwasser

    Möchten die Kommentatoren den Sextourismus von Männern mit dem von Frauen gleichsetzen?

     

    Ich finde es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Ulrich Seidls und Larry Clarks Filmansätzen: während Seidl sich nahe an die Subjekte heranwagt, an die verkrachten Existenzen (der ausreisende Tiefgaragenwächter in ‚Import/ Export’), die Einsamen und psychisch Gestörten in ‚Tierische Liebe’, um damit die Ausdehnung menschlicher Bedürfnisse zu zeigen, damit auch ihre Verirrung, so erobert sich Larry Clark seine Objekte voyeuristisch, distanzlos, und ergötzt sich selbst an den Jugendlichen, z.B. in Wassup Rockers. Ihr Leben ist trivial, tragisch, öde, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Gefilmten und ihre Eltern hinterher kein zweites Mal an Larry Clarks Arbeiten mitwirken wollen.

    Ich finde gerade nicht, dass Ulrich Seidls Zugänge fragwürdig sind. Im Gegenteil – die Zuschauer treffen sich bei der Frage, ob nicht sie auch an der sexuellen Ausbeutung teilhaben, die in Import/ Export an anderer Stelle stattfindet: dort sieht ein österreichischer Automatenaufsteller wie selbstverständlich sein Recht auf eine Ukrainische Frau und demonstriert seinem Helfer, wie sie mit Geld zu ködern sei.

    Mir stellt sich eher die Frage, spielen die Leute Seidls Szenen oder wie gelingt es ihm sie zu filmen?

    Wenn diese Gefilmten unfreiwillig Teil einer Seidl’schen Satire werden, dann nicht weil er sie so dreht, sondern weil sie so in ihren Handlungsrahmen involviert sind und nicht anders können: wie in „Jesus Du weißt“ oder „Mit Verlust ist zu rechnen.“ Seidl beutet sie nicht aus.

    dass Seidl und die Ko-Autorin Veronika Franz „das Elend, das in „Paradies: Liebe“ aufscheint, ja nicht vorgefunden, sondern erfunden haben.“ Die Frage, inwieweit die eurozentrische Überheblichkeit der weiblichen Hauptfigur und das Pendant, die subalterne Verschlagenheit der Beach Boys, Resultat einer gewaltigen Konstruktions- und Projektionsanstrengung sind, treibt einen noch lange nach dem Abspann um.

    Mich nicht, denn ich denke, sie sind vorgefunden und nicht erfunden.

    Z.b. in dem Seidlschen Film "Die letzten Männer", die in einzelnen Episoden schildern, wie sie zu ihrer Philippinischen Frau gekommen sind. Diese kommen auch zu Wort. Es geht da viel um Sauberkeit, Duschen und das Haus und so.

  • L
    lounger

    "Resultat einer gewaltigen Konstruktions- und Projektionsanstrengung"

     

    Ja ne, ne. Schon klar. Möglicherweise ist es aber auch einfach der Versuch eines realistischen Abbildes.

  • Z
    Zirkuspferdchen

    Verstörendes gehört zum Thema, für die Hinzufügung dessen gebührt dem Regisseur und seinen DarstellerInnen Dank:

     

    "Es ist Teresas Geburtstag, der Mann ein Geschenk der Freundinnen, er tanzt für sie in der Hotelsuite, doch das, wofür sie ihn bezahlt haben, die Erektion, will sich nicht recht einstellen. "

     

    Mit Liebe und Sehnsucht hat das nichts zu tun. Ich erlaube mir ein Werturteil: die Sequenz entlarvt die moralische Zerrüttung unglücklicher, saturierter Europäerinnen, die sich eigentlich auch in ihrer Stadt einen Callboy suchen und den zum "Spaß" buchen könnten. Für eine Demütigung dieser Art müsste wohl aber zu tief in die Tasche gegriffen werden ...

  • A
    aujau

    die SextouristInnen spulen die Europaeische Tradition des Umganges mit Sexualitaet ab. In anderen Kulturen wird Ausbeutung mit weniger Reiseverkehr durchgefuehrt. Das Problem ist oft das gleiche.

  • SI
    schuldig im Sinner der Anklage

    Die Frage der Rezension greift zu kurz. Film ist immer Ausbeutung. Und immer unwahr. Film erfindet immer sichtbare Realitäten mit der Kraft, die erlebbaren Realitäten zu verdrängen. Ganz gleich, ob es eine vermeintliche "Literaturverfilmung" oder eine ebenso vermeintliche "Dokumentation" ist. Ganz zu schweigen von den Mischformen zwischen Fiktion und Dokumentation.

    Film ist immer fiktional und Film gebraucht und mißbraucht immer wen und was er ablichtet und im Gegensatz zu zahlreichen anderen Formen hat er (wie die Fotografie auch, aber stärker, weil bewegt und um den Ton bereichert) immer die Kraft, eine Sinneserfahrung für Gewissheit vorzugaukeln.

    Erst gestern fand ich zum x-ten male in der Wikipedia die Inhaltsangabe eines Buches, die tatsächlich aber die inhaltlich stark abweichende Handlung einer "Verfilmung" war. Ich bin sicher, der Autor hat geglaubt, das gelesen zu haben. Wie viel stärker wirkt das bei "Dokus" und "Dokudramen".

    Der Vorwurf, auf den Sie Seidl prüfen, ist zu bejaen. Aber nicht nur bei Seidl, sondern bei jedem Regisseur per se. Aber er ist freizusprechen. Man kann Filme nicht anders machen. Wer niemals freizusprechen ist, das ist der Zuschauer.

  • TR
    Thorsten Reinert

    Typische feministische Verlogenheit.

     

    Weibliche Sextouristinnen werden als liebebedürftige arme Weibchen exkulpiert, die nichts dafür können, dass sie halt die europäische Machtposition gegenüber den Dritte-Welt-Männern innehaben, exkulpiert. Sie erscheinen als wahre "Opfer". Wie immer Frauen immer nur Opfer, aber niemals Täterinnen sein können. Denn Frauen sind nach feministischer Ansicht die "besseren Menschen" qua Geburt.

     

    Männliche Sextouristen dagegen werden regelmäßig als Schweine, Ausbeuter, Frauenunterdrücker, Kinderschänder und schlimmeres dargestellt. So ist die feministische Rollenverteilung: Der Mann - das Schwein. Die Frau - Das Opfer. Selbst wenn sie dasselbe tun.

     

    Nichts neues also in der feministischen verlogenen Doppel-Moral.

  • S
    SegelTörn

    "Als sei sie Goyas schöne Nackte: Margarete Tiesel als Teresa in „Paradies: Liebe“. "

     

     

    Hätte man das Bild eines fetten alten Sack in Thailand auch so untertitelt?

     

    Ihr seid soooo süüüüß.....aber nur wenns um Frauen geht, gell?

  • M
    Max

    Dieser Artikel hat mein Interesse geweckt, den Film zu sehen: eine sehr schöne und reflektierte Filmkritik.

    Die Tatsache, dass Erstweltler nicht nur bloßen Sex, sondern sogar schon Zärtlichkeit "kaufen", lässt wahrlich tief blicken, in vielen Hinsichten...

    Die letzten drei Absätze irritieren mich allerdings sehr.

    Es ist doch glasklar, dass jemand, der solch einen Film macht, eine ehrliche humanistische Ambition hat und auch sehr konkret etwas für alle sehr positives erreicht: nämlich vielen Menschen schmerzhaft vor Augen zu führen, was täglich ganz real in gewissen touristischen Zonen dieser Welt passiert! Ich habe solche Anbahnungen auf den Kap Verden mit eigenen Augen gesehen, die Handlungsbeschreibung klingt für mich nach einer absolut realistischen Weitererzählung von dem, was ich nicht mehr gesehen habe. Tagesgeschäft dort.

    Die Reflektionen zum Ende hin wirken auf mich eher ein wenig naiv; es ist die (sehr deutsche) Sorge spürbar, die Sache womöglich nicht nach Regeln der hoch-intellektuellen Kunst der Kulturkritik gewendet zu haben.

    Ohne erzählerische Ausschmückungen kommt ein Film nunmal nicht aus, aber viel dazuerfinden musste Seidl, glaube ich, nicht.

    Ich denke, das mit der "gewaltigen Projektions- und Konstruktionsanstrengung" und "Bekräftigung der Verhältnisse" ist schlicht Humbug. Sich filmisch dieses Themas anzunehmen, ist absolut ehrenwert.

     

    Dennoch einen großen Dank an die Autorin für diese sonst sehr lesenswerte Filmkritik!

  • E
    EstablishmentBlues

    Da klingt aber viel Verständnis für die arme Wienerin durch, die keinen anderen Weg findet, ihre Einsamkeit zu überwinden. Fast schicksalshaft wird sie zusammengeführt mit dem Beach Boy, der auch keinen anderen Weg findet für seine Bedürfnisse... immerhin, er verkauft auch ja seine Gefühle, nicht nur den Körper.

     

    Der fette 50 jährige perverse Sack, der sich eine junge Asiatin kauft, hätte wohl mehr Ekel hervorgerufen.

  • I
    ich_nicht

    Mich kotzt diese Doppelmoral einfach nur noch an.

     

    Männliche Sextouristen sind einfach nur Schweine und Ausbeuter, weibliche hingegen betrachten wir differenziert.

     

    Nur ist es so: Auch Männer sehnen (ja, Männer können unter Sehnsucht leiden) nach Zärtlichkeit und Sex und reisen deshalb in andere Länder, um dort ihre Bedürfnisse zu stillen. Nur ein derart ausgewogener Artikel würde über sie, besonders in der taz, nie verfasst.

     

    Was die weiblichen Sextouristinnen angeht: Die "Beach Boys" sind derart angeekelt von diesen häßlichen, alten Fregatten, dass sie nicht anders können als ihr Angewidertsein mit wirklich viel Alkohol zu ertränken. Aber hey, es springt ein bisschen Kohle bei raus, und - Jackpot - vielleicht ermöglicht eine dieser Freierinnen einem auch die Migration in eines dieser westlichen Schlaraffenländer.