piwik no script img

Studie zu Migranten aus der TürkeiTheoretisch religiös

Junge Deutschtürken bekennen sich stärker zum Islam als ihre Eltern, beten deshalb aber nicht mehr. Ihre emotionale Bindung an die Türkei ist ungebrochen.

Gleichzeitig Muslim und Deutscher: Junge beim Koranunterricht in Nürnberg. Bild: dapd

BERLIN taz | Junge Deutschtürken geben sich religiöser als ihre Eltern. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die am Freitag in Berlin vorgestellt wurde. Die Meinungsforschungsinstitute Info GmbH und Liljeberg haben dafür 1.011 türkeistämmige Bürger befragt. 64 Prozent der 15- bis 29-jährigen gab dabei an, „religiös“ oder „stark religiös“ zu sein – 7 Prozent mehr als bei den 30- bis 49-Jährigen.

Der Anteil derjenigen, die regelmäßig beten, ist unter den jungen Deutschtürken aber trotzdem deutlich geringer als in den älteren Generationen. Das plakative Bekenntnis zum eigenen Glauben geht also nicht unbedingt mit einem entsprechenden Lebensstil einher.

In Deutschland leben 2,7 Millionen Bürger mit einem Migrationshintergrund aus der Türkei. Nur ein Viertel von ihnen besitzt einen deutschen Pass. Vor allem Ältere und Transferempfänger besitzen daneben auch die „Mavi Card“ – einen Ausweis, der ihnen in der Türkei Rechte einräumt: ein Zeichen, dass sie sich eine Zukunft dort vorstellen können.

Die emotionale Bindung an die Türkei ist bei vielen ungebrochen, der türkische Premier Tayyip Edogan beliebter als Angela Merkel. Viele tragen sich sogar mit der Absicht, irgendwann in die Türkei zu ziehen – Rentner wie auch jüngere, gut ausgebildete Deutschtürken. Ein Grund dafür dürften Diskriminierungserfahrungen sein: Mehr als ein Viertel gab an, schon einmal wegen der Herkunft oder Religion am Arbeitsplatz beschimpft worden zu sein. 16 Prozent gaben an, deshalb sogar schon körperlich angegriffen worden zu sein: Das sind fast doppelt so viele wie in einer Umfrage zwei Jahre zuvor.

Alles in allem zeichnet die Umfrage ein widersprüchliches Bild. Der Aussage, der Islam sei die einzig wahre Religion, stimmten 72 Prozent der Befragten zu. Zugleich bezeichnete sich die große Mehrheit der Befragten, rund 60 Prozent, nur als „eher religiös“, 10 Prozent gar als „nicht religiös“.

Die Distanz zur deutschen Mehrheitsgesellschaft und deren Werten ist aber deutlich gestiegen. 84 Prozent sind zwar davon überzeugt, dass man „gleichzeitig ein guter Muslim und ein guter Deutscher“ sein kann. Und 78 Prozent der Befragten gaben an, sie möchten sich „unbedingt und ohne Abstriche in die deutsche Gesellschaft integrieren“. Von 40 auf 62 Prozent stieg aber die Zahl derer, die der Aussage zustimmten: „Am liebsten bin ich nur mit Türken zusammen.“ Auch die Ablehnung von Atheisten, Juden und Christen hat bei einer Minderheit zugenommen.

Rund die Hälfte (52 Prozent) betrachtet zudem Homosexualität als „Krankheit“, lehnt vorehelichen Sex bei Männern (43 Prozent) wie Frauen (63 Prozent) ab und legt großen Wert auf die Jungfräulichkeit von Frauen vor der Heirat (52 Prozent; Anm. der Red.: eine Frage zur Jungfräulichkeit von Männern vor der Heirat wurde nicht gestellt). Fast alle finden es aber auch „schlimm“, seine Kinder zu schlagen (92 Prozent) oder seine Ehefrau zum Geschlechtsverkehr zu zwingen (94 Prozent).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • D
    D.J..

    @drecksblatt:

     

    "könnt ihr mal aufhören menschen als migranten, deutschtürken und deutsche etc. zu bezeichnen? was soll das? wer braucht einen staat oder eine staatlich vorgegebene bezeichnung für die existenz als mensch?"

     

    Hmm, jetzt ist es also die Schuld der taz, wenn sich Menschen, deren Familie lange in D lebt, sich als "Deutschtürken", oder "Türken" definieren (was sie meinetwegen können sollen, warum nicht? Problem ist nur der Nationalismus). Ihr Vorschlag: Nur noch von "Menschen" reden und keinerlei Gruppendefinition unterhalb dessen? Dann wird gewiss alles, alles gut.

    Stimmt mein Eindruck, dass die ganz Linken von Tag zu Tag mehr verblöden?

  • D
    D.J.

    @Wolfgang,

     

    passt der teils extreme türkische Nationalismus - durchaus auch in der Mitte der deutschtürkischen Gesellschaft - auch in Ihr schlichtes Linksphrasen-Weltbild? Mann, sind solche Sprüche peinlich.

  • M
    Martin

    Und wenn die Ergebnisse dieser Umfrage legitim sind, ist es dann Rassismus oder einfach auch legitim, wenn sich eine Mehrheit der Deutschen weniger Muslime wünscht?

  • T
    Türkgerman

    Früher oder später, mindestens aber wenn die Wirtschaft hier im Lande zusammenbricht, werden viele Türken Heim kehren. Türkische Geschäftsleute werden ihre kleinen Läden dicht machen, die Reinigungskraft von nebenan ihre Koffer packen. Das heisst, es werden dann noch weniger Steuern gezahlt werden, deutsche Mietswohnungen werden leer stehen u s w...

  • J
    JAKOBINER

    Sich auf gute Weise aus der Masse der anderen "herausheben" zu wollen, ist ein normales soziales Bedürfnis von Menschen.

    Das haben sogenannte Führer schon immer gewußt und mißbraucht, egal wohin wir schauen.

     

    Womit erringen Menschen Aufmerksamkeit?

    Mit herausragenden Leistungen und/oder Fähigkeiten!

    Wer dazu nicht in der Lage ist, sucht sich eine eigene Nische. Oder, er versucht mit UN-Taten negative Aufmerksamkeit und "Macht" zu zeigen.

    Beispiele:

    1. Ein erfolgloser Liedermacher dichtet Nazi-Songs und erfährt nun die erwartete "Medienbeachtung".

    2. Dogmatische "Salafisten" erzeugen Angst mit Gewalt gegen "Ungläubige", und erringen unkontrollierte Macht in unserer Gesellschaft.

  • P
    Pankower

    schön das auch die taz über das Thema schreibt.

    Ich dachte schon Ihr wollt es ignorieren weil es nicht gerade für einen Erfolg von Multi-Kulti spricht.

    Bleibt bitte an dem Thema dran. Die Studie nennt viele Probleme, mich würden Lösungsvorschläge seitens der Politik interessieren.

  • T
    T.V.

    "Von 40 auf 62 Prozent stieg aber die Zahl derer, die der Aussage zustimmten: „Am liebsten bin ich nur mit Türken zusammen.“"

     

    In welchem Zeitraum denn?

  • K
    Kanallie

    "Fast" alle Deutschen sagen auch das man nichts gegen Türken hat. Wieviele von denen aber einen persönlichen Kontakt oder Beziehungen zu diesen Menschen (im privaten) pflegen, kann man doch im Promillebereich suchen. Auf mich wirkt das wie Heuchelei. Das Verhältnis zwischen diesen Kulturen ist nach wie vor durch einen großen Graben getrennt.

  • W
    Wolfgang

    Ungeschminkte und zugleich unvollständige Wahrheit:

     

    Die ungebrochene und stets noch erfolgreich von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung geleugnete postfaschistische Diskriminierung von Menschen ausländischer Herkunft ermöglicht keine menschenwürdige und zugleich demokratische Integration (wo in der geleugneten Realität der Gesellschaft keine Demokratie existiert, da gibt es auch keine Integration, da gibt es nur Nationalismmus als Herrschaftsideologie der Bourgeoisie) in Deutschland.

     

    Notwendig ist hierfür, für Gleichberechtigung und Integration, die Überwindung der nationalistisch-rassistisch und postfaschistischen Gesinnung bei der bürgerlichen Bevölkerungsmehrheit, insbesondere bei der deutschen Oberschicht und deren gesellschaftspolitischen Administration.

     

    Aber auch diese Wahrheit wird weiterhin von allen Repräsentanten der bürgerlichen Parteien, der Wirtschaft, der bürgerlichen Medien und Parlamentsmehrheit nachhaltig geleugnet. Auch von den MitarbeiterInnen der TAZ ?

     

    Trotz alledem!

  • L
    Lesender

    Diese Studie müsste man auch mit den Jugendlichen anderer Migrantenethnien durchführen und direkt vergleichen. Das wäre interessant...

  • B
    Benjamin

    Die Türken werden in Deutschland begafft wie die Tiere im Zoo. Warum macht man keine Studien über Deutsch-Italiener um sich anschließend zu wundern, warum viele von denen ein positives Bild von der Mafia haben?

  • S
    sagbar

    Diese Entwicklung ist in ihrer Tendenz dramatisch.

    Denn es stellt sich nicht allein die Frage nach der religiösen Zugehörigkeit, sondern die nach einer gewünschten Parallelgesellschaft.

     

    Schlimm sind die Enttäuschungen der jungen Menschen aufgrund von Diskriminierungen und Gewalttätigkeiten. Schlimme Befürchtungen darf man aber auch haben aufgrund der Aussagen, dass Andersgläubige von dieser Gruppe nicht wetgeschätzt werden.

     

    Alles in allem eine Entwicklung, die wenig positiv stimmt und deutlich macht, dass Parallelgesellschaften nichts zur Demokratie beittragen.

  • D
    drecksblatt

    könnt ihr mal aufhören menschen als migranten, deutschtürken und deutsche etc. zu bezeichnen? was soll das? wer braucht einen staat oder eine staatlich vorgegebene bezeichnung für die existenz als mensch?

  • A
    Arne

    Wieder mal eine so blöde Stduie, die die Integration mehr hintertreibt als sie zu fördern.

    Wieso werden diese Fragen gestellt, wenn nicht gleichzeitig eine Vergleichsgruppe befragt wird.

     

    In Deutschland dürfte der Anteil derjenigen, die den Islam für die richtige Religion halten zwar nicht gewachsen sein, aber immer mehr (vom PI-Spinner bis zum Bundespräsidenten) reden davon, dass das Christentum kulturell zu Europa oder zu Deutschland gehört. Das ist nur etwas anders ausgedrückt. Und deswegen beten hier bestimmt auch nicht mehr.

     

    Und den meisten in Deutschland lebenden sind offenbar auch andere Staatsmänner sympathischer als Angela Merkel. Die möchten zwar nicht Erdogan, aber Helmut Schmidt wieder. Also träumen auch die von einer anderen Kultur. Nämlich der der alten Bundesrepublik in den Grenzen von 1989. Damals, als es noch kein Hartz IV; vor der Wiedervereinigung; noch keine mordenden Nazis; noch kein nervöses Schilen auf den Medaillenspiegel bei den olympischen Spielen (die DDR war sowieso immer vor der BRD); noch keine hupenden Autokorsos, wenn die Fußballnationalmannschaft mal ein Spiel gewonnen hat; noch kein Privat-TV, dass die Werbung ab und an mal durch genau so blöde Volksverdummung unterbricht; damals, als "Deutschland" wirklich nur ein Wort war.

     

    Wer sollte es da den jungen Türken übelnehmen, dass auch sie von einer anderen Welt als dieser BRD heute träumen?