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Kommentar Referendum EuropaLegitimation für falsche Krisenpolitik

Kommentar von Tom Strohschneider

Ausgerechnet Wolfgang Schäuble strebt ein Referendum über die Weitergabe von Hoheitsrechten an die EU an. Grund zum Jubeln gibt das allerdings nicht.

V iele haben sich gefragt, warum ausgerechnet Wolfgang Schäuble ein Referendum über die Weitergabe von Hoheitsrechten an die EU ins Spiel gebracht hat. Bisher war der Finanzminister nicht groß als Anhänger direkter Demokratie in Erscheinung getreten. Und er ist auch jetzt nicht zu einem geworden: Um die politische Teilhabe des Souveräns geht es weder Schäuble noch denen im Unionslager, die jetzt noch über die Frage des Wann streiten – aber nicht mehr über das Ob.

Natürlich gibt es gewichtige Argumente, endlich das Grundgesetz an die Machtverschiebungen von der nationalen hin zur europäischen Ebene anzupassen. Und selbstverständlich ist es ein Gebot der Demokratie, über so wichtige Dinge wie die Verfassungsidentität eines Landes seine Bürger entscheiden zu lassen – und nicht allein Angela Merkel, ein paar Regierungsbeamte und Bankberater, denen das Grundgesetz auf irgendwelchen Euro-Notgipfeln bei der Durchsetzung ihrer angeblich alternativloser Rettungsmaßnahmen bloß störend im Wege steht.

Aber wenn sich die Bundesregierung jetzt an ein Referendum heranrobbt, geht es ihr nicht um die Vertiefung der Demokratie „von unten“, sondern um deren Instrumentalisierung zur Erleichterung einer vertieften Integration in Europa „von oben“. Schäuble hatte seinen Vorstoß für eine Volksabstimmung mit dem Hinweis auf kommende Vorschläge der Chefs von vier europäischen Institutionen begründet. Inzwischen ist deren Wegskizze „zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ bekannt – es ist der Versuch, die kriselnde Euro-Gemeinschaft noch weiter zu Lasten der Mitgliedsstaaten umzubauen.

Bild: privat
Tom Strohschneider

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Mehr Europa ist nicht falsch. Aber den neuen Freunden direkter Demokratie geht es darum, der falschen Krisenpolitik mehr Legitimation zu verschaffen und den schon jetzt Über-Mächtigen das Durchregieren auf Brüssler Parkett zu erleichtern – nicht darum, die sozialen und politischen Rechte aller zu stärken. Kein Austeritätsdiktat würde dadurch besser, dass es hierzulande weniger rechtliche Bedenken hervorruft. Kein Fehler der europäischen Integration würde dadurch behoben, kein Schritt in Richtung einer sozialeren und ökologischeren Union gegangen.

Wenn nun über Volksabstimmungen diskutiert wird, sollte zudem eines nicht vergessen werden. Studien haben gezeigt, wie Referenden die soziale Schieflage reproduzieren können: Nicht „das Volk“ insgesamt wird politisch gestärkt, sondern vor allem gut situierte Schichten, die eher daran teilnehmen und so ihren Interessen Geltung verschaffen – zu Lasten der wahlabstinenten Ärmeren. Oder um es mit dem Demokratieforscher Wolfgang Merkel zu formulieren: „Den Besitzstand wahrenden Abwehrreflexen der wirtschaftlich und sozial Begünstigten unserer Gesellschaften wird mit Volksabstimmungen häufig eine zusätzliche Arena zur Privilegiensicherung eingerichtet.“

Schäuble hat stellvertretend für die Regierung und aus verfassungspolitischer Not eine Tür aufgerissen, an der die Befürworter von bundesweiten Referenden lange vergeblich gerüttelt haben. Wenn das Thema nun auf die Tagesordnung rückt, weil die Krisenpolitik anders nicht mehr so widerstandslos fortgesetzt werden könnte, gibt es keinen Grund, nun jubelnd durch diese Tür hindurch zu rennen. Eine Volksabstimmung über die Weitergabe von Hoheitsrechten an die EU wird zwar kommen. „Mehr Demokratie“ sieht aber anders aus.

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6 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Ich denke, hier sucht man lediglich einen "Notausgang" aus der Eurozone. Nachdem alles Pulver verschossen und es endgültig klar ist, dass es ohne eine wie auch immer geartete Vergemeinschaftung von Schulden sowie drastisch forcierter politischer Integration nicht weiter geht, darf der deutsche Wähler ran, um Europa zu beerdigen (den darauf wird es hinauslaufen). Die Bundesregierung (und die hinter ihr stehenden deutschen Geldeliten) sind fein raus, man hätte ja alles getan, aber das Volk.....

    Schäuble weiß, dass dieses Referendum in Deutschland keine Chance hätte. Wenn er es jetzt fordert (ohne je als großer Befürworter der direkten Demokratie in Erscheinung getreten zu sein), dann will er genau dieses Scheitern. Die deutschen Eliten glauben wohl mittlerweile, besser ohne Europa auskommen zu können.

  • OP
    Otto Pardey

    Der Untergang eines politischen Wahnzustandes

    in Europa.

  • LS
    Ludwig Staab

    @Thomas

     

    Sehe ich genauso!

     

    Übrigens, Herr Strohschneider: wer in einer Demokratie nicht wählen geht, wird nie was zu melden haben, egal wie direkt oder representativ das Wahlsystem ist.

    Und das ist gut so!

  • SS
    Sabine Super

    Protestkundgebung diesen Freitag anlässlich der Selbstentmachtung des Bundestags:

     

    http://attacberlin.de/startseite/neues-detailansicht/article/protestkundgebung-gegen-fiskalpakt-am-freitag-den-290612-um-16-uhr/

     

    Ja, die Volksabstimmung auf Bundesebene muss kommen, da es nicht verfassungsgemäß ist, das der Bundestag sein Haushaltsrecht an ein nicht legitimiertes und unkontrolliertes EU-Gremium verschenkt, das dann auf ewig über die Steuergelder der Deutschen bestimmen darf !

     

    Nebenbei: Hier die Verfassungsbeschwerde des Vereins "Mehr Demokratie" zum kostenlosen Mitmachen:

    http://verfassungsbeschwerde.eu/home.html

     

    Ich bin für direkte Demokratie. Allerdings ist zu befürchten, dass bei der bestehenden Medien-Gleichschaltung in Deutschland eine Mehrheit der Deutschen u.a. dem ganzen unsozialen Bankenrettungsautomatismus mit Ewigkeitscharakter (ESM) sowie dem Fiskalpakt zustimmen wird.

     

    Die Leute sind einfach fast alle blöd und lassen sich erfahrugsgemäß per penetranter Wiederholung den größten Quatsch eintrichtern. Komischerweise sind die selbsternannten Intellektuellen meist besonders blöd. Siehe auch hier:

     

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=13671#more-13671

     

    "Es steht schlecht um Deutschlands kritisches Bürgertum – Jakob Augstein liefert mal wieder den Beweis"

  • U
    Ulrich

    Es ist zu befürchten, dass das, was Schäuble und Co im Sinn haben, langfristig zu einem europäischen Bundesstaat führt, der jedoch weniger demokratisch sein wird sondern eher dem wilhelminischen Deutschland ähnelt. Da gibt es dann eine Zentralregierung, wenig demokratisch legitimiert, Scheinwahlen in den Mitgliedsländern und alles dient dem Zweck, die wirtschaftsliberale Hegemonie und die Privillegien der Eliten abzusichern. Wollen wir so ein Europa wirklich? Aber wie es scheint, sind die Deutschen die einzigen, die das nicht kapieren, wie ihre anhaltende Begeisterung für Frau Merkel zeigt.

  • T
    Thomas

    Nur weil manche Schichten nicht zur Wahl geben sollen alle anderen darunter auch leiden? Wir können ja gleich die Demokratie abschaffen...