Kommentar Volksabstimmung Europa: Bitte keine Sonderplebiszite
Schäuble und Steinbrück regen eine neue Debatte über eine mögliche Volksabstimmung an. Und das in einer denkbar schwierigen politischen Situation.
W as für eine chaotische Diskussion. Ausgerechnet in der Woche, in der in Berlin der Bundestag über den Fiskalpakt (Verschuldungsbremsen für alle) und den ESM-Vertrag (neuer dauerhafter 700 Milliarden-Euro-Rettungsschirm) abstimmt, fangen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein SPD-Vorgänger Peer Steinbrück eine ganz neue Debatte an. Sie spekulieren über mögliche Volksabstimmungen bei einer denkbaren engeren politischen Integration.
Was soll das Ganze? Europa ist ohnehin kompliziert genug. Wenn alles durcheinander diskutiert wird, kann das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger kaum verbessert werden. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass beim Gipfel der Europäischen Union am Donnerstag und Freitag plötzlich revolutionäre Reformen (etwa ein europäischer Finanzminister mit Vetorecht für nationale Haushalte) beschlossen werden, auf die die Bürger ausgerechnet jetzt vorbereitet werden müssten.
Die Fixierung auf eine Volksabstimmung geht ohnehin in die Irre. Selbst wenn man glaubt, mit bestimmten Hoheitsübertragungen auf die EU sei die Integrationsfähigkeit des Grundgesetzes am Ende, dann führt dies nicht zwingend zu einem Plebiszit über die kommenden Schritte. Entsprechende Interviewäußerungen von Verfassungsrichtern waren fahrlässig ungenau. Genauso gut wie das Volk kann auch eine gewählte verfassungsgebende Versammlung ein neues europafähiges Grundgesetz beschließen. Auch das Grundgesetz ist so entstanden und nie per Volksentscheid bestätigt worden.
Besser ist es, auf Bundesebene generell Volksentscheide zuzulassen. Dann sind auch Abstimmungen über Europa möglich. Dagegen sind dramatisierende Sonderplebiszite zur Ablösung des Grundgesetzes gefährlich. Solche Spektakel des Ausnahmezustands missbrauchen die direkte Demokratie und schaden der europäischen Idee.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
BSW scheitert, Schwarz-Rot hat eine Mehrheit
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?