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Kommentar Volksabstimmung EuropaBitte keine Sonderplebiszite

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Schäuble und Steinbrück regen eine neue Debatte über eine mögliche Volksabstimmung an. Und das in einer denkbar schwierigen politischen Situation.

W as für eine chaotische Diskussion. Ausgerechnet in der Woche, in der in Berlin der Bundestag über den Fiskalpakt (Verschuldungsbremsen für alle) und den ESM-Vertrag (neuer dauerhafter 700 Milliarden-Euro-Rettungsschirm) abstimmt, fangen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein SPD-Vorgänger Peer Steinbrück eine ganz neue Debatte an. Sie spekulieren über mögliche Volksabstimmungen bei einer denkbaren engeren politischen Integration.

Was soll das Ganze? Europa ist ohnehin kompliziert genug. Wenn alles durcheinander diskutiert wird, kann das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger kaum verbessert werden. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass beim Gipfel der Europäischen Union am Donnerstag und Freitag plötzlich revolutionäre Reformen (etwa ein europäischer Finanzminister mit Vetorecht für nationale Haushalte) beschlossen werden, auf die die Bürger ausgerechnet jetzt vorbereitet werden müssten.

Die Fixierung auf eine Volksabstimmung geht ohnehin in die Irre. Selbst wenn man glaubt, mit bestimmten Hoheitsübertragungen auf die EU sei die Integrationsfähigkeit des Grundgesetzes am Ende, dann führt dies nicht zwingend zu einem Plebiszit über die kommenden Schritte. Entsprechende Interviewäußerungen von Verfassungsrichtern waren fahrlässig ungenau. Genauso gut wie das Volk kann auch eine gewählte verfassungsgebende Versammlung ein neues europafähiges Grundgesetz beschließen. Auch das Grundgesetz ist so entstanden und nie per Volksentscheid bestätigt worden.

Bild: taz
Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Besser ist es, auf Bundesebene generell Volksentscheide zuzulassen. Dann sind auch Abstimmungen über Europa möglich. Dagegen sind dramatisierende Sonderplebiszite zur Ablösung des Grundgesetzes gefährlich. Solche Spektakel des Ausnahmezustands missbrauchen die direkte Demokratie und schaden der europäischen Idee.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • RW
    Radikale Wissenschaftlerin

    DEMOKRATIE ist eh nur ein Übersetzungsfehler irgendwelcher faulen Philhellenen, die zudem nicht gerafft hatten, daß die Hälfte der griechischen Freihheitskämpfer Arvaniten waren und uns als Zugabe zu diesem perfekten Verbrechen auch noch den Nazionalstaat kredenzten; alles natürlich nur mit der Absicht sich "legale" Grundlagen zu schaffen, um die Herrschaft vom Adel zu übernehmen.

    Dasselbe gilt für olympische Spiele - im Altertum waren alle gedopt - und genauso für den Schwachsinn mit der Wiege der Demokratie: Keine Frauenrechte, Positionierung gegen die "Barbaren" - also alles Fremde - und die rechtlose Mehrheit waren Sklaven, die teilweise (in den attischen Silberminen) nur ein Jahr Lebenserwartung hatten.

  • C
    cassiel

    All diejenigen unter den Parteipolitikern die jetzt lautstark mehr direkte Demokratie fordern, sollte man fragen, was sie in der Vergangenheit denn für echte (direkte) Demokratie getan haben und ob sie nicht nur aus purem Opportunismus jetzt und nur dann dafür sind wenn ihnen das Ergebnis in den Kram passt:

    > http://demokratie.mine.nu/read_thread__1-1360

  • M
    mirfälltnixmehrein

    Knowing Wolfgang Schäuble -

     

    entweder er spekuliert darauf, dass ein plebiszit so in die hose geht, wie es unsere anti-eu berichterstattung vorbereitet hat. dann dürfen wir blödes volk auf die strafe gespannt sein.

     

    oder - falls es wider erwarten doch zustimmung gibt - wird schäuble finanzminister der eu und kann dann endlich durchregieren.

     

    wie es auch kommt, spült schonmal die blechnäpfe, krethi und plethi!

  • E
    Eulenspiegel

    Es weiß im Moment niemand ob es mit Europa und dem Euro weiter geht oder ob das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Jetzt auf einmal will man das Volk abstimmen lassen. So wälzt man die Verantwortung auf da Volk ab.Dann seht die Politik im Nachhinein als Unschuldslamm da-egal wie es ausgeht. Hätte man das Volk zeitig abstimmen lassen, dann hätten wir den ganzen Schlamassel überhaupt nicht. Jetzt, da die "Koryphäen" nicht mehr weiter wissen, soll das Volk entscheiden. Was sind das doch für Primitivlinge!

  • N
    naseweiser

    Man versuche doch mal , ganz "von oben" , sozusagen feuilletonistisch , ohne Zahlen ...

    anzuführen , zu beschreiben , wie sich die wesentliche Politik der Euro-Länder der letzten Jahre darstellt , worin sie sich erschöpft , welchen Eindruck sie vermittelt .

    Wäre es übertrieben zu denken : Sie weiß nicht ein noch aus ? Oder Merkels Satz " Es gibt keinen Königsweg aus der Krise ." - ... den inzwischen für einen Euphemismus zu halten , der einem auf der Zunge kleben bleibt ?

     

    Und vor diesem Hintergrund versuche man mal , eine oder mehrere Fragen zu einer Grundgesetzänderung zu formulieren , über die das Volk abstimmen könnte / sollte .

     

    Ein solches Ansinnen , das Grundgesetz jetzt u.a. zwecks Übertragung von Souveränitätsrechten nach Brüssel zu ändern , kann man nur sarkastisch kommentieren .

    Verschwörungstheoretisch könnte man sich fragen , welche Interessen(Gruppen) dahinter stehen ...

  • C
    Celsus

    Sonderplebiszite? Wir leben in einer Zeit, ind er Demokratiefeindlichkeit wesentlich stärker als früher propagiert wird. War es doch noch bei Erlass des Grundgesetzes selbstverständlich, dass das Volk dazu seine ZUstimmung geben sollte.

     

    Aber wenn heute mit der Finanzhoheit der Kern demokratischer Rechte nach dem Willen des Parlaments unwiderruflich an eine Institution mit gravierenden demokratischen Mängeln abgegeben wird, ist das schon ein Sonderplebiszit?

     

    Da habe ich gar ernsthafte Zweifel, ob das überhaupt noch verfassugnsgemäß ist, da die Rechte auf die EU-Ebene als Wirtschaftsvereinigung ohne funktionierende Demokratie und ohne eigene Verfassung zu übertragen.

  • V
    vic

    Diese Volksabstimmung wird es nicht geben, weil das Ergebnis bereits feststeht.

  • EB
    empörter Bürger

    Ich hätte jetzt nicht erwartet das in der taz sowas demokratiefeindliches steht. Es wäre natürlich schön wenn man auf Volksabstimmungen verzichten kann, aber dafür fehlen Parteien. Bis auf NPD gibt es doch keine EU-kritische Partei. Und die kann man doch nun wirklich nicht wählen. Man sollte endlich eine verbindliche Volksabstimmung zum Verbleib in der EU in die Wege leiten! WIR SIND DAS VOLK!!!

  • J
    JRcom

    Was für ein merkwürdiger Kommentar - und doch wieder, pardon, typisch für die taz, die manchmal recht planlos "gegenhält", als wäre das ein Wert an sich: nun versucht es Schäuble endlich einmal mit Demokratie, da wird es der ehemals linken Zeitung schon wieder zuviel. Natürlich m u s s eine solche Verfassungsänderung direkt abgestimmt werden. Die Frage, ob man insgesamt mehr Plebiszite zulassen sollte, ist ein ganz anderes Problem. Demokratie funktioniert übrigens komplex, und es wäre gar nicht unbedingt richtig ständig Volksabstimmungen durchzuführen, Partizipation lässt sich in vielen kleinen Schritten eher erreichen - bei Verfassungsfragen allerdings ist ein Plebiszit geboten.

    Übrigens mag es ja sein (ich weiß es nicht), dass Schäuble Unruhe schüren will (vielleicht aus Rache, weil er nun gezwungen wird so schnell zu handeln), diese Unruhe muss man aber nicht mitmachen: einem Plebiszit in Sachen Europa können wir in aller Ruhe entgegen sehen; es ist immer sinnvoll, möglichst breite Bevölkerungsteile in fundamentale Entscheidungen einzubinden. Und wenn sie sich anders entscheiden als die Politiker gerne hätten (was sich aber durch Information möglicherweise verhindern lässt), dann ist man eben noch nicht da, wo die Politiker gerne wären, aber das wäre dann die Wahrheit und damit gut. Alle Souveränität geht vom Volke aus, dabei muss es bleiben.