piwik no script img

Linkspartei-Chefin Katja KippingDie Aufsteigerin

Katja Kipping ist seit zwei Wochen Chefin der schwierigsten deutschen Partei. Mit 34 Jahren. So jung hat noch nie jemand eine Partei geführt.

Neue Parteivorsitzende: Wie lange wird sich Katja Kipping halten können? Bild: dapd

BERLIN taz | Katja Kipping sitzt sie in einem Café in Berlin-Wedding und wirkt etwas müde. Sie ist 34 Jahre alt und seit zehn Tagen Chefin der schwierigsten Partei in Deutschland. Ob sie das wirklich werden wollte, ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist.

„Es war ein Selbstläufer“, sagt sie „irgendwann musste ich es machen.“ Erst war die Ostdeutsche mit Katharina Schwabedissen aus dem linken Landesverband NRW als weibliche Doppelspitze angetreten, um den Crash der Flügel zu verhindern. In den taktischen Scharmützeln beim Parteitag in Göttingen blieb am Ende nur eine von dem Frauenduo übrig: sie.

Ist das vielleicht eine besonders raffinierte Art des Aufstiegs? So zu tun, als wäre sie unabsichtlich die Treppe hochgefallen? Die mächtigen Männer in der Partei, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, haben sie lange belächelt. Doch am Ende lief in Göttingen alles auf sie zu.

Kipping hat Schwabedissen beim Machtspiel in Göttingen nicht aus dem Boot geschubst – aber als es darauf ankam, wusste sie, wo es nach oben geht. Und das Bekenntnis, nur als Frauendoppel anzutreten, war passé.

„Die Dynamik hat mich mitgerissen“

Was sich da abzeichnet, ist ein Muster weiblichen Machterwerbs, das man so ähnlich von Angela Merkel und Hannelore Kraft kennt. Frau drängt sich nicht in den Vordergrund und wird lange unterschätzt. Aber im entscheidenden Augenblick führt kein Weg an ihr vorbei. „Die Dynamik hat mich mitgerissen“, sagt Kipping. Im Bartsch-Lager wird sie gern als „ostdeutsche Ich-AG“ bespöttelt. Aber auch die Reformer bescheinigen ihr taktisches Geschick.

Wenn man ihre Biografie von außen anschaut, ist das Bild eindeutig: Mit 21 Jahren im Sächsischen Landtag, mit 25 Vizechefin der PDS, mit 27 im Bundestag, mit 29 Jahren Vizevorsitzende der Linkspartei, jetzt Vorsitzende. Es ging immer nur bergauf. Eine Karrieristin. „Es mag kokett klingen: Aber es wäre für mich nicht schlimm, wenn es einen Karriereknick gäbe“, sagt Kipping.

Sie wirkt in manchem wie der personifizierte Widerspruch: eine Karrierefrau ohne unbedingten Machtwillen. Eine Vorsitzende, die in vielem anders ist als ihre Partei: jünger und eher dem Feminismus als sozialdemokratischen und postkommunistischen Traditionen zugetan. Auf die Frage, ob sie ein Vorbild hat, winkt sie ab: Dafür sei sie „zu sehr Kind der Postmoderne“.

Offen für Linkslibertäre

Kipping ist als Sozialpolitikerin eine vehemente Gegnerin von Hartz IV. Damit liegt sie in der Partei auf Linie, nicht aber mit ihrem Lieblingsprojekt: dem bedingungslosen Grundeinkommen. Damit ist sie in der Linkspartei, die fest in der Arbeitsgesellschaft wurzelt, in der Minderheit.

Sie denkt anders als Ostreformer und Westgewerkschafter, ist weniger am Staat, mehr an individueller Freiheit orientiert. Kipping will die Partei fürs Prekariat am Laptop öffnen und „im linkslibertären Milieu andocken“. So ein Satz würde weder Dietmar Bartsch noch Oskar Lafontaine einfallen.

Als sie 2003 Vizechefin der PDS wurde, hat sie erst mal Brauchbares zum Anziehen gesucht: Es sollte nicht nach „Girlie- und nicht nach Bürolook“ aussehen. Nicht pubertär, nicht zu seriös. Jetzt trägt sie dezenten Silberschmuck, knallrote Schuhe, einen eher eleganten Blazer. Das wirkt irgendwie seriös, aber ganz weit weg von dem alterslosen Kristina-Schröder-Kostüm.

Sie weiß, wie man sich inszeniert. In einer Talksshow mit Benjamin Stuckrad-Barre schlug sie sich kürzlich tapfer und tanzte mit dem rüpelhaften Moderator durchs Studio. Sie beherrscht den Lifestyle-Sound ebenso wie Theoretisches. Als es ihr mal mies ging, las sie Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ und schaute „Sex and the City“. In Interviews versteht sie es, sich als hippe, junge Frau zu inszenieren, die weiß, was Politik in der ersten Person ist und ohne Politiker-Worthülsen vom richtigen Leben reden kann.

Eine Hausmacht hat sie nicht

Sie hat ein Baby, sechs Monate alt. Und sie will trotz Parteiamt jeden Tag „drei, vier Stunden am Stück“ mit ihrem Kind verbringen. Den Ausschussvorsitz Arbeit und Soziales im Bundestag gibt sie auf. Sie will keine 08/15- Politikerin sein. „Einen Kitagutschein zu bekommen“ sagt sie, „war fast schwieriger, als Parteichefin zu werden.“

Allerdings kann es schwierig werden, Parteichefin zu bleiben. Eine Hausmacht hat sie nicht. Ihr Umfeld bilden die kleine Debattenzeitschrift prager frühling und ein Dutzend AltersgenossInnen, die meisten aus Sachsen.

„Ich habe in den letzten Jahren gute Schutzmechanismen entwickelt“, sagt Kipping. Aber die hat sie nur selten gebraucht. Denn bis jetzt waren meistens alle nett zu Katja Kipping. Die Medien und die Genossen. Weil sie jung, kreativ und klug ist und sich geschickt aus dem Stellungskrieg der Lager herausgehalten hat.

Aber ist sie für das Säurebad öffentlicher Kritik gewappnet, mit dem gerade Linkspartei-ChefInnen immer rechnen müssen? Bis jetzt war Katja Kipping vor allem ein Versprechen, ein Wechsel auf die Zukunft. Jetzt ist die Zukunft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • P
    Politkinteressiert

    @Gabriel: Die Schwarzarbeit ist gewollt und Systembedingt.

     

    Viele die einen miniJob machen etc. werden vom Amt derart terrorisiert mit Sinnlosen Maßnahmen, Einladungen oder fehlerhaften Bescheiden/Leistungen das sie ihren miniJob oder Teilzeitstelle aufgeben und Schwarz arbeiten.

     

    Das macht für viele um so mehr Sinn, als das 80% von dem was sie Verdienen sowieso wieder bei dem ALGII gekürzt wird....

     

    Ähnliches bei Selbständigen. Ich kenne welche die sagen sie melden ihr Gewerbe bald wieder ab und machen nur noch Schwarz weil sie das Amt so Terrorisiert obwohl sie nur noch 50-100eur ALGII bekommen (+Krankenasse). Andere sagen sie arbeiten nur noch so oft das sie nur 100.- im Monat einnehmen.. das ist die Freigrenze, da gibt es keine Abzüge und daher auch keine falschen Berechnungen etc.

     

     

    Daher tut Katja Kipping und die Piratenpartei gut daran sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen zuzusetzen. Das würde diese ganzen Probleme auf einen Schlag abschaffen... bzw. ihre Ursachen und die Probleme verschwinden dann automatisch.

     

    Auch Lohndumping, Zwangsarbeit, schlechte oder schlecht gelaunte Mitarbeiter (Die einfach nur aus Not oder Zwang eine bestimmte Tätigkeit ausüben) würden verschwinden. Sogar die Beschaffungskriminalität oder Verbrechen aus Sozialen Gründen würden abgedämpft werden durch ein BGE.

     

    Die Idee mit Mindesteinkommen und Höchsteinkommen habe ich auch bereits seit Jahren. Das würde die Menschen wieder näher zusammenbringen. Aktuell ist es ja so das wir viele Parallelgesellschaften haben. Nicht nur durch Religion oder Abstammung. Sondern insbesondere aufgrund der Einkommensunterschiede.. der eine geht in den Supermarkt, der nächste ins Sozialkaufhaus und der andere in ein Edles Mamoriertes Luxus-geschäft wo man nicht einmal Artikel auspreist... wobei das Ordnungsamt bei normalen Geschäften aufschreien würde wenn keine Preise an den Produkten sind ;)

     

    Und der Schrei danach das jeder Millionär werden kann ist absurd... aber so Funktioniert das System... es weckt Irrglaube an die sich die Menschen klammern...

     

     

    Katja ist recht innovativ und daher auch sehr beliebt und bekannt. Nicht nur weil sie recht hübsch ist, sondern weil sie auch was drauf hat.

    Problematisch ist nur das der Wähler oft nix auf dem Kasten hat und genauso ein Großteil der Linken Parteimitglieder noch immer zu Rückschrittlich sind wie andere etablierte Parteien...

  • FF
    fast forward

    Mit Katja Kipping an der Spitze der Partei, wird Die Linke für mich wählbar. Das rückwärtsgewandte Ost-West-Gedröhne gehört mit dem Abtreten der Altvorderen und dem Aussterben der Altstalinisten hoffentlich schon bald der Vergangenheit an.

  • OP
    Otto Pardey

    Das aendert nichts an der Tatsache,

    Oskar Lafontaine ist gegenwaertig nicht zu ersetzen.

    Meineserachtens waere Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine

    die bessere Wahl welche die Interessen des sogenannten

    kleinen Mannes besser vertreten.

  • A
    Auceza

    Die taz mag uns nun erzählen, dass alles so schwer für die "junge" Frau ist, sie eine zerstrittene Partei zu einen hat und vielleicht auch noch ihr Hamster gestorben ist.

     

    Deshalb ist es auch nachvollziehbar und entschuldbar, wenn "die Aufsteigerin" einen Vorschlag macht, welcher so absurd erscheint, dass vermutlich die breite Mehrheit der Bundesbürger nur noch mit dem Kopf schüttelt.

     

    Eigentlich wäre die Linke gegenwärtig kaum eine Schlagzeile wert: Kipping hat es geschafft, dass ihre Idee in allen Medien zerrissen wird.

     

    Also ehrlich, liebe taz-Redaktion, Frau Kipping hat sich auch zu meiner Enttäuschung völlig disqualifiziert. Sie hat freiwillig ihre Seriosität vernichtet. Wer kann sie jetzt noch ernst nehmen???

     

    Sie sollte sofort zurücktreten, um den bereits entstandenen Schaden für die Partei in Grenzen zu halten: sie verschreckt die Wählerschaft.

     

    Es sollte besser eine kompetente Frau das Amt von Kipping übernehmen.

     

    Und überhaupt... warum gibt es zu diesem Artikel noch keinen einzigen Kommentar???

  • R
    Rita

    Absolut korrekte Einstellung. Wir wünschen Ihr viel Glück und haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das deutsche Volk sich endlich mal was traut

  • FM
    Frau Maja

    "So jung hat noch nie jemand eine Partei geführt." Ach ja? Also "So jung hat noch nie jemand DIESE Partei geführt." Das würde ich gelten lassen, aber ansonsten ist das Unsinn. Sebastian Nerz beispielsweise, der bis März BuVo der PIRATEN war, ist mal locker 5 Jahre jünger als Frau Kipping.

  • SW
    Schon wieder James

    Wenns einem dreckig geht, Peter Weiss zu lesen, ist vermutlich homöopathisch. Ich schaffe meist nur zwei, drei Seiten. Na, heute sind ja Bloomsday und Dublin dran (DLF ab 20.05).

     

    Aber eine Aufsteigerin soll sie jetzt sein? Wer sich um ein dahinsiechendes, zerrissenes Wesen spritzig-witzig bemüht - ist doch eher eine Heilige oder Sozialarbeiterin.

     

    Wir Anarchisten haben es da einfacher - wir sind schon ganz oben. Wir wissen, dass Konkurrenz zu Monopolen führt und kollaborieren, ohne zu kollabieren.

     

    Trotzdem schön, endlich ein frisches Gesicht zu sehen. Von den heruntergezogenen Mundwinkeln der anderen Parteien habe ich genug. Da haben sich zuviel Leute mit burn-out Syndrom eingenistet, die dringend längeren Urlaub brauchen.

  • N
    Nun

    dass linkenchefs oft mit viel Häme übergossen wurden, war ja nicht aufgrund eines Naturgesetzes so, sondern wiel sie es oft verdient hatten.

    Und insofern das an den Personen lag (Bastatöne bei Gysi und Lafontaine, übelste DDR-Verharmlosung bei Lötzsch) kann sich das mit neuen Personen ja durchaus ändern.

     

    Vielleicht wird sie ihre eigenen Anlässe zu Kritik bieten, alles Andere wäre ja übermenschlich.

    Besonders dazu zu neigen scheint sie allerdings nicht, wenn man die bisherige, bei aller Jugend ja nun auch bereits 13 Jahre dauernde politische Karriere anschaut.

     

    Linke werden nicht einfach deswegen scheiße gefunden, weil die Menschen nicht anders können. Sondern weil die Linke es bisher einfach nicht gebracht hat, Linke Inhalte unters Volk zu bringen auf eine glaubwürdige, verständliche, trotzdem nicht zu simple, mitreißende usw. Weise.

     

    Kipping ist das aber zuzutrauen.

  • UG
    Ulrich Gensch

    "...Mit 34 Jahren. So jung hat noch nie jemand eine Partei geführt...."

     

    Warum ist es für JournalistInnen eigentlich immer so wichtig, einen Superlativ zu finden, dass sie nicht mehr recherchieren, ob das überhaupt stimmt? Zumindest DIE GRÜNEN hatten mal eine jüngere Vorsitzende (Verena Krieger, 1989, damals 27 Jahre alt).

  • D
    deviant

    "Die schwierigste Partei"?

     

    Sicher, Die Linke ist eigentlich ein Sammelbegriff für zwei Parteien...aber sie hat immerhin Substanz und Stammwählerpotenzial von rund 5%.

     

    Die FDP hat weder ein Programm, noch Personal, noch signifikant eigene Wähler. Ihre Ideologie ist spektakulär gescheitert und von ihrem Koalitionspartner wird sie konsequent gedemütigt, trotz Koalitionsvertrags. Halten kann sie sich allein noch aufgrund der "journalistischen" Werbemacht einzelner Verleger, was die Partei leicht erpressbar macht - ebenso wie die Abhängigkeit von wenigen Großspendern (wie sich das äußert, haben wir an der Hotelsteuer gesehen).

     

    All diese Probleme hat Die Linke nicht: Innerparteilich mag man da einen schweren Stand haben, die "schwierigste Partei" ist Die Linke sicher nicht.

  • DH
    Der Heinz

    Die Rache der Frau Schwabedissen bzw. ihrer AnhängerInnen wird kommen, soviel sollte Frau Kipping bedenken. Ich dachte eigentlich, sie sei anders als die anderen Politiker, aber scheinbar ist dem nicht so.

  • S
    schreiber

    sorry aber die Einleitung ist falsch. Sebastian Nerz von der Piratenpartei - ehemaliger Vorsitzender, jetzt zweiter ist deutlich jünger (Ich meine er ist 1983 geboren)

  • KB
    Kai Baumann

    "Mit 34 Jahren. So jung hat noch nie jemand eine Partei geführt"

     

    hmm, wie alt ist Sebastian Nerz nochmal? Kleiner Hinweis, 1983 geboren.

  • G
    Gabriel

    Zum bedingungslosen Grundeinkommen: Ich kenne viele Hartz 4 Empfänger, die schwarz arbeiten und kein Interesse an einem Job haben. Es gibt eine Untersuchung: Bundesagentur für Arbeit, Stat. Bundesamt, Auswahl von Nationalitäten mit hohem Anteil Hilfsbedürftiger, - die zeigt, dass teilweise über 50% einer Schicht Hartz 4 bekommen. Ich kenne auch Fälle, wo Menschen wegen der Verpflichtung bei Hartz 4 sich zu bewerben und "Fortbildungen" (eher Zeit absitzen, damit man nicht schwarz arbeitet) zu machen, aus Hartz 4 gingen. In Griechenland und vielen anderen Ländern gibt es so eine großzügige Unterstützung nicht. Was ist daran also schlimm?

  • V
    vic

    Ich wünsche Katja Kipping alles Gute und viel Erfolg. Die Linke wird gebraucht, mehr denn je.