Umfrage zu Facebook: „Langweilig, unnütz, nicht relevant“
Immer feste drauf: Erst wurde Facebook als Eindringling in die Privatsphäre kritisiert, dann als Loser an der Börse. Nun wenden sich auch noch die Nutzer ab.
BERLIN taz | Hat Facebook seine beste Zeit hinter sich? Unter die Negativschlagzeilen über den verpatzten Börsengang des sozialen Netzwerks mischen sich jetzt weitere schlechte Botschaften: Laut einer nicht repräsentativen Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters messen US-Amerikaner dem sozialen Netzwerk weit weniger Bedeutung zu als noch vor einem halben Jahr.
34 Prozent der 1.032 Befragten verbringen demnach weniger Zeit auf der Plattform als zuvor und begründen das größtenteils damit, sie hätten dafür schlicht keine Zeit mehr oder Facebook sei „langweilig, nicht relevant oder unnütz“.
„Facebook steht vor der Herausforderung, sich immer wieder neu zu erfinden“, kommentiert der Analyst für Internet-Unternehmen Ray Valez vom US-Informationsdienst Gartner die Umfrageergebnisse. „Der Neuigkeitsfaktor nutzt sich ständig weiter ab, immer neue Interaktionsformen sind nötig, um die Nutzer zu interessieren.“
Valez verweist in diesem Zusammenhang auf Features wie die neue „Timeline“, die vor allem durch das große Profilbild auffällt. Auch die verstärkte Einbindung von Diensten wie der Smartphone-App Instagram und den eigenen Dienst Camera seien wichtig.
Nur verwalten
Doch reicht das aus, um die Nutzer bei der Stange zu halten? Noch habe Facebook keine ernst zunehmenden Konkurrenten, sagt Nils Jacobsen. Laut dem Medienjournalisten bedienen nächst größere Social-Media-Plattformen wie Twitter ein anderes Publikum, in Deutschland und anderen europäischen Ländern sei überdies noch nicht dieselbe Übersättigung wie im Facebook-Heimatland USA erreicht. „Doch die Schnelllebigkeit des Internets insgesamt wird künftig Facebooks größtes Problem sein“, sagt Jacobsen.
Er hält es für einen Fehler, dass Facebook sich systematisch entschieden hat, bestehende Kontakte nur zu verwalten und deren Vernetzung zu verbessern. Es gehe nur noch darum, Inhalte „likeable“ zu machen, kritisiert Jacobsen. Es sei völlig unverständlich, warum in einem 900 Millionen Menschen umfassenden Netzwerk nicht auf mehr lokale Interaktion gesetzt werde – wie etwa bei Reisen nach dem Couch-Surfing-Prinzip.
Statt aufs Lokale, aufs Zwischenmenschliche zu setzen, strebte Facebook mit dem Börsengang eine neue ökonomische Liga an. Mit wenig Erfolg: Die Aktie ist mittlerweile nur noch 25,80 US-Dollar wert und hat somit in den ersten zwei Börsenwochen knapp 30 Prozent Verlust verzeichnet. „Dabei ist das Unternehmen immer noch extrem sportlich bewertet“, sagt Jacobsen.
Facebook-Hype nervt
Ein Börsenwert von 75 Milliarden US-Dollar sei mit den geringen Gewinnen des Unternehmens von einer Milliarde US-Dollar nicht zu rechtfertigen. Geschäftsmodelle, die komplett auf sozialen und psychologischen Prozessen wie etwa der Wirkung von Werbung auf das Kaufverhalten der Nutzer basierten, seien nach wie vor schwer einschätzbar. Dennoch würden sie von Analysten vorher häufig überbewertet.
Laut der Reuters-Umfrage sind viele Amerikaner von genau diesem Hype genervt. 44 Prozent der Befragten gaben an, seit dem Börsengang merklich weniger Sympathie für Facebook zu verspüren. Bei vielen Befragten löste der Absturz der Aktie nicht nur Unbehagen im Bezug auf das Netzwerk aus, er beeinflusste sogar ihre generelle Einstellung gegenüber Börsengeschäften negativ. 46 Prozent gaben an, nun eher nicht mehr über Investititonen in Aktien nachzudenken.
Auch andere Unternehmen aus dem Bereich Social Media sind an der Börse wenig erfolgreich, wie Jacobsen anmerkt. Er bezieht sich dabei auf die Entwicklung der Papiere von //zynga.com/:Zynga, einer Plattform für Online-Spiele, die seit ihrem Börsenstart im vergangenen Dezember Verluste von 43 Prozent des Aktienkurses verzeichnet. Auch das Versandportal Groupon, das Aktionären am ersten Handelstag noch kurzfristig Gewinne von mehr als 50 Prozent beschert hatte, liegt Jacobsens Beobachtungen zufolge mittlerweile mehr als 55 Prozent unter dem Ausgabekurs.
Mobile Anwendungen
Die aktuelle Reuters-Umfrage stellt das Geschäftsmodell Facebooks und anderer sozialer Medien generell in Frage: Immer mehr Nutzer greifen nur noch über mobile Anwendungen auf ihren Smartphones auf die Plattform zu, die mobile Nutzung des Internets nahm zwischen 2011 und 2012 insgesamt um 35 Prozent zu.
Gleichzeitig machen die Einnahmen durch mobile Werbeformen mit 2,6 Milliarden US-Dollar laut der Agentur eMarketer noch immer nur einen winzigen Anteil der gesamten US-Werbe-Marktes im Wert von über 170 Milliarden US-Dollar aus – viele Werbeformen sind auf den Smartphones schlicht noch nicht darstellbar.
Reuters gegenüber gaben zudem 80 Prozent der Befragten an, noch nie etwas aufgrund einer Facebook-Werbung gekauft zu haben. Hier sind laut einer Untersuchung des Analystennetzwerks eMarketer aus Februar herkömmliche Mailprogramme weit wirkungsvoller.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher