Die Welt schaut Assads Massakern zu: Was tun für Syrien?
Zerstörte Existenzen, Folter, Haft, über zehntausend Tote: Die Welt schaut zu, was in Assads Reich geschieht. Was kann man sonst tun?
Nach dem Massaker von Hula diskutieren die internationalen Akteure Möglichkeiten der Hilfe für die syrische Bevölkerung. Hier sind die denkbaren Szenarien:
Das Ziel: Offiziell muss das Ziel lauten: Schutz der Zivilbevölkerung, Ende der Gewalt. Soll der UN-Sicherheitsrat ein militärisches Eingreifen mandatieren und damit legalisieren, geht das nicht anders. Unausgesprochenes Ziel wäre freilich der Sturz des Assad-Regimes, notfalls durch Interventionstruppen.
Die Teilnehmer: Militärisch ausreichende Fähigkeiten hätte nur die Nato unter wesentlicher Beteiligung der USA. Allerdings drängt bislang keine Regierung wirklich auf eine militärische Intervention, niemand bereitet etwa einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor und sucht dafür Unterstützung – trotz der Äußerung von Frankreichs Staatschef Hollande, der einen Waffengang nicht ausschließen will.
Syrische Regierungstruppen haben nach Angaben von Aktivisten erneut den Bezirk Hula unter Feuer genommen. Dabei seien am Donnerstag meist schwere Maschinengewehre eingesetzt worden, erklärten das Syrische Observatorium für Menschenrechte und die Örtlichen Koordinationskomitees. Beide Gruppen teilten mit, ein junger Mann sei in Hula von einem Heckenschützen getötet worden.
Ein lokaler Kommandeur der von Deserteuren gegründeten oppositionellen Freien Syrischen Armee aus der Provinz Homs sagte im Nachrichtensender Al-Arabija, es gebe Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff auf zwei Dörfer in der Nähe von Al-Hula. In diesen Dörfern hätten nach dem Massaker der vergangenen Woche zahlreiche Zivilisten aus Al-Hula Zuflucht gesucht. (dpa/dapd)
Die Probleme: Zwei der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, Russland und China, sind Verbündete der Regierung Assad. Sie blockieren bisher nicht nur jede Idee militärischer Intervention, sondern überhaupt jedes verschärfte Vorgehen der Vereinten Nationen gegen das syrische Regime. Es scheint derzeit – und nach der Libyen-Erfahrung – ausgeschlossen, dass sie ihre Position in absehbarer Zeit grundlegend ändern. Ein militärisches Eingreifen der Nato ohne Mandat des Sicherheitsrates, wie 1999 im Kosovokonflikt, wäre völkerrechtswidrig und ist kaum zu erwarten.
Aber auch die militärischen Erfolgsaussichten einer solchen Operation sind unklar. Ging es in Libyen darum, per Luftkrieg die Armee so zu schwächen, dass die Rebellen militärisch die Oberhand gewinnen konnten, so kann davon in Syrien keine Rede sein. Die regimetreuen Milizen, die für die jüngsten Massaker verantwortlich gemacht werden, operieren in den Städten. Mit Luftangriffen sind sie nicht zu treffen, ohne die Zivilbevölkerung massiv zu gefährden. Bodentruppen wären nötig; aber wer die stellen sollte, ist unklar.
Dazu kommt: Die Glaubwürdigkeit der Nato, unter Sicherheitsratsmandat das Prinzip der „Schutzverantwortung“ militärisch durchzusetzen, hat durch die eigenwillige Interpretation der Sicherheitsratsresolution zu Libyen massiv gelitten. Im Herbst letzten Jahres gab die brasilianische Regierung stellvertretend für viele im globalen Süden ihre Bedenken zu Protokoll, das Prinzip könne für Zwecke wie „regime change“ missbraucht werden. Neben China und Russland dürften also weitere Länder Bedenken hegen – zumal der Verdacht naheliegen würde, dass nicht nur Syrien, sondern auch dessen Verbündeter Iran getroffen werden soll. Und schließlich: Ein Krieg wäre exorbitant teuer.
Kann das klappen? Die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Eingreifens bleibt vorerst gering.
Das Ziel: 1. Beendigung der Kampfhandlungen sowie Durchsetzung und Überwachung der weiteren Punkte des Annan-Friedensplans (Rückzug aller schweren Waffen aus Städten und Wohngebieten, Freilassung politischer Gefangener, Demonstrations- und Pressefreiheit)
2. Unterbindung jeglicher Waffenlieferung nach Syrien
3. Sicherstellung der humanitären Versorgung der notleidenden Bevölkerung und der Flüchtlinge.
4. Vorbereitung von freien, von der UNO überwachten Wahlen.
Die Teilnehmer: Der UNO-Sicherheitsrat beschließt mit Zustimmung aller fünf Vetomächte (USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien) einen robusten Blauhelmeinsatz und weitet zugleich das bereits gegen das Assad-Regime verhängte Waffenembargo auf die bewaffneten Oppositionskräfte aus. Auch die militärische Ausbildung und eine Finanzierung dieser Kräfte wird vom Sicherheitsrat untersagt.
Wer macht’s? Eine mindestens 10.000 Soldaten umfassende Blauhelmtruppe, gebildet etwa aus Kontingenten aller fünf Vetomächte sowie eventuell weiterer Staaten. Ausgestattet mit einem robusten Mandat des Sicherheitsrates, das über die Selbstverteidigung hinaus den Waffeneinsatz zur Durchsetzung der obigen Ziele erlaubt.
Probleme: Der Einsatz würde immense Kosten für die Länder verursachen, die die Truppen stellen. Ob die USA zu einer Blauhelmmission bereit wären, ist unklar – bisher war die US-Armee noch nie an solchen Einsätzen beteiligt. Blauhelme wurden zudem bislang immer nur mit Zustimmung der Regierung des jeweiligen Stationierungslandes stationiert. Diese Zustimmung wird Syriens Präsident Assad wahrscheinlich nicht erteilen, denn er muss bei freien Wahlen mit dem Verlust seiner Macht rechnen. Allerdings ist zu vermuten, dass Assads Truppen es nicht wagen würden, amerikanische oder russische Soldaten anzugreifen.
Kann das klappen? Die Chancen sind seit dem Massaker von Hula gestiegen, auch wenn Russland derzeit weitere UN-Beschlüsse ablehnt. Die bisherige UN-Beobachtertruppe reicht offensichtlich nicht aus. Die Regierungen der USA, Chinas, Russlands und der EU-Staaten eint die Sorge vor einem Zerfall der Zentralgewalt in Damaskus und in der Folge ganz Syriens mit destabilisierenden Folgen für die gesamte Nahost-Region. In Moskau setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein weiteres Festhalten an Assad den russischen Interessen in Syrien und in der Region längerfristig eher schadet als nutzt.
Das Ziel: Der Sturz des Regimes mit militärischen Mitteln. Die Freie Armee Syriens (FSA) soll befähigt werden, die Streitkräfte zurückzuschlagen und befreite Gebiete zu halten. Damit wären sowohl Schutzzonen für Zivilisten als auch eine Basis für den Kampf gegen Präsident Assad geschaffen.
Die Teilnehmer: Im April haben die arabischen Golfstaaten, vor allem Saudi-Arabien und Katar, nach Informationen der Washington Post beschlossen, die Rebellen mit monatlich mehreren Millionen Dollar zu finanzieren. Die USA sollen den Vorstoß demnach mit Informationen unterstützen. Doch auch islamistische Gruppen im Ausland spielen eine Rolle: Nach Einschätzung von Experten sammeln unter anderem Muslimbrüder sowie Salafisten hohe Spendenbeträge, die sie an die Rebellen in Syrien weiterleiten.
Die Probleme: Die meisten westlichen Staaten scheuen davor zurück, die FSA zu unterstützen. Denn es handelt sich nicht um eine „Armee“ mit zentralen Strukturen, sondern um ein Sammelbecken für eine Vielzahl von Bürgerwehren und Milizen, die sich teils aus Deserteuren, teils aus Zivilisten rekrutieren. Daher birgt der Vorstoß das Risiko einer Ausweitung von Chaos und Gewalt. Die UN haben der FSA bereits „massive Menschenrechtsverstöße“ vorgeworfen. Auch die offene Frage, inwieweit islamistische Strömungen die FSA prägen, bereitet dem Westen Sorge. Derzeit mehren sich zudem Hinweise, dass Extremisten aus dem Ausland eingesickert sind. Damit wird der Konflikt immer unübersichtlicher. In wessen Händen die Waffen am Ende ankommen, lässt sich nicht sicher sagen.
Derzeit koordinieren Exilsyrer den Transfer der Gelder aus dem Ausland zu den Aufständischen vor Ort. Schmuggler bringen die Waffen über die Grenzen nach Syrien. Dennoch sind die überwiegend leicht gerüsteten Rebellen dem Militär nach wie vor weit unterlegen. Einzelne Bataillone sollen zwar inzwischen große Mengen von Waffen horten. Im Allgemeinen aber fehlt es der FSA an allem; sogar mit ihrer Munition müssen viele Gruppen streng haushalten.
Kann das helfen? Möglicherweise. Die militärische Stärke der Rebellen kann durchaus einen Einfluss auf den Ausgang des Konflikts haben. Doch die FSA müsste drastisch aufrüsten, um gegen eine 300.000 Mann starke und hoch gerüstete Armee bestehen zu können. Zudem besteht die Gefahr, dass das Regime zu noch brutaleren Mitteln greift: Bisher hat Assad weder Kampfflugzeuge noch Chemiewaffen eingesetzt. Das könnte sich ändern, wenn sich sein Regime ernsthaft bedroht fühlt.
Das Ziel: Das Regime von Baschar al-Assad unter Druck setzen und Syrien zu einer Veränderung seiner Politik zwingen.
Die Teilnehmer: Europäische Union und die USA setzen schon länger auf Sanktionen. Mitmachen will sonst aber niemand. Auf UN-Ebene sind Sanktionen bisher am Widerstand Russlands gescheitert. Auch am Mittwoch nannte Moskau ein weiteres Handeln der UN zu Syrien „verfrüht“.
Die Probleme: Die europäische Staatengemeinschaft hat ihre Sanktionen seit Anfang 2011 fast monatlich verschärft. Zuletzt wiesen einige EU-Staaten, darunter auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die jeweiligen syrischen Botschafter aus. Dies gilt als die schärfste Waffe in der Diplomatie. Die Aktionsmöglichkeiten der Länder sind damit weitgehend ausgereizt. Für eine Ausweitung des Waffenembargos fehlt ein UN-Mandat, das Russland bisher verweigert.
Begonnen haben die EU-Staaten bereits 2002, als sie Waffenlieferungen nach Syrien untersagten. Seit Herbst 2011 dürfen Unternehmen aus der EU kein Öl und Gas aus Syrien mehr importieren. Seit Dezember sind Investitionen im Bausektor und in der Versicherungsbranche in Syrien verboten. Im April kamen dann biologische und chemische Produkte auf die Liste von Exportverboten. Anfang Februar verhängten die Außenminister Einreiseverbote gegen 115 führende Personen des Regimes in Damaskus. Außerdem wurde deren Vermögen in der EU eingefroren. Bis heute stieg die Zahl der Einreiseverbote auf 128 Vertreter der syrischen Staatsführung.
Die EU versucht mit ihren Sanktionen gezielt die Familie des Staatsführers zu treffen. Ende März erteilte sie der Mutter, der Schwester und der Ehefrau von Baschar al-Assad Einreiseverbote. Außerdem beschlossen die 27 Staaten Ende April, den Export von Luxusgütern nach Syrien zu untersagen, von denen vor allem die herrschende Klasse profitiert.
Die USA haben ebenfalls zahlreiche Personen des Regimes mit Einreiseverboten belegt und ihre Vermögen eingefroren. Außerdem wurde der Handel mit Syrien beschränkt. Ob die Sanktionen, vor allem die Im- und Exporte, tatsächlich auch eingehalten werden, ist schwierig zu beurteilen. Die Vereinigten Staaten haben kürzlich härtere Strafen für die Personen und Unternehmen angedroht, die die Sanktionen umgehen.
Kann das helfen? Bisher scheint Präsident Assad von den Beschränkungen nicht sonderlich beeindruckt. Seine Luxuskleidung kann er sich schließlich auch aus anderen Teilen der Welt beschaffen.
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