Zapfenstreich für Wulff: Den Marsch geblasen
Die Vuvuzelas waren krass. Der Zapfenstreich unendlich lang. Der Kommentator unendlich hilflos. Und die ARD zeigte Wulff wie immer avantgardistisch von hinten übers linke Ohr.
Dunkel war's, der Mond schien helle, und „Dschingderassa-Bumm“ machte das Lach- und Wachbatallion. Christian Wulff hätte so gern sein Christian-Wulff-Lächeln gestrahlt, doch weil es schließlich um einen staatstragenden Akt ging, hieß es ganz schnell „Mundwinkel geradeaus!“, und dann standen sie da und lauschten dem Yorkschen Marsch. Und die Fernsehrepublik Deutschland lauschte wieder Ulrich Deppendorf, der für die ARD staatstragend durch den Abend trug. „So was hat es bei einem Großen Zapfenstreich noch nicht gegeben“, sagte Deppendorf und meinte die Geräuschkulisse im Hintergrund. Die war so laut wie weit weg – einige 100 Meter, näher durfte niemand ran.
Und dennoch hatte die Polizei offenbar nicht ganz gründlich geplant, wie weit die Absperrung gehen musste. Denn nördlich des Schlosses waren die Demonstranten fast in Sichtweite. Der Lärm war ohrenbetäubend. Wer im Park dabei war und die Augen schloss, fühlte sich wie im Fußballstadion. Wenn die Gästemannschaft einläuft.
Hübsch dann von der ARD, die aktuelle Geräuschkulisse zunächst hinter den ersten Einspieler über den lustigsten Bundespräsidenten seit langem zu legen, und den Ton dann erst runterzuziehen. Drinnen redete sich Uli Deppendorf dann nicht ganz so um Kopf und Kragen wie vor einem Jahr beim Zapfenstreich für Karl-Theodor zu Guttenberg. „Man spürt es, man hört es an diesem Abend in der Hauptstadt: glücklich ist mit dieser Veranstaltung keiner.“
Formvollendete Moderation
„Dafür sollen so viele Bundesminister da sein wie noch nie“, fabulierte der Chef des ARD-Hauptstadtstudios also formvollendet, als würde das irgendetwas aussagen. „Ich habe nur Wut und Scham, nichts anderes“, sagte draußen derweil eine Demonstranten-Dame. Kunststück, schließlich hatte die treusorgende Polizei vorsorglich jede Menge Vuvuzelas als gefährliche Gegenstände beschlagnahmt.
Und der ARD-Reporter, der die Demonstranten-Außenwette (Die Polizei verlor: Es waren nicht die erwarteten 3000) moderierte, gab den Mr. Höflich in Person: „Darf ich Sie noch einmal fragen“, fragte er lauter Menschen, die er vorher noch gar nicht gefragt hatte: „Ich darf Sie auch fragen: warum sind Sie hergekommen?“ Ja, warum doch gleich? Aber dann waren wir schon wieder „drin“, live im Park des Schloss Bellevue. „Ja, jetzt sind wir wieder live hier im Schloss Bellevue“, sagte auch Uli Deppendorf. Und die Perlenkette der fackeltragenden Uniformierten leuchtete prachtvoll.
Die Demonstranten gaben derweil nicht auf. „Schande, schande, schande“, skandierten sie. Die Polizei patroullierte währenddessen auf der Spree, leuchtete die Störer aus. Im Schlosspark sicherten die Wachleute das Ufer. Mehrfach schien es, als hätten Demonstranten versucht, in den Schlosspark zu gelangen. Nichts an dem Zapfenstreich war ruhig, melancholisch, nachdenklich. Der Zapfenstreich verlief so wie die Amtszeit von Christian Wulff. Es war ein Desaster.
"Zur Meldung Augen rechts"
„Das Gewehr über! Zur Meldung Augen rechts“, brüllt ein Mann, der Christian erschrickt sich ein bisschen, dann kommt ein Oberleutnant mit der Urkunde, nur dass der Oberleutnant heute eine Frau Oberleutnant ist. „Ist das vielleicht eine kleine Geste für den Weltfrauentag?“, fragt Deppendorf seinen militärischen Co-Moderator in Uniform neben sich, doch erklärt lieber, wer links und wer rechts auf der Urkunde unterschrieben hat – was immerhin die Erkenntnis mit sich bringt, dass auf der Urkunde eigentlich nichts steht, bzw. nur, dass der Bundespräsident eben diese Urkunde bekommt.
Dann aber doch noch echte Aufklärung: Nein, bei der Musike hat Christian nicht gewulfft, vier Stücke gehen voll in Ordnung. Das hatten andere bei ihrem großen Zapfenstreich auch, erklären Deppendorf und sein Militärkamerad (Deppendorf: „Wir sind ja schon fast ein eingespieltes Team!“) unisono. Aber warum guckt Christian Wulff dann weiter so ernst? Er empfinde am heutigen Tag Bedauern, aber auch Dankbarkeit, habe Wulff drinnen, im Schloss, beim Empfang gesagt. Deppendorf erzählt derweil, wer alles nicht da ist bzw. auch erst gar nicht eingeladen war. Steinbrück hatte ja schon einen Vertreter benannt, nur um festzustellen, dass er gar nicht gemeint war.
Abschied in kleinem Kreis sozusagen. Auch alle noch lebenden Vorgänger von Herrn Wulff waren verhindert, den toten hatte mal wieder keiner Bescheid gesagt. „Das ist ein Abend, den man sich so nicht hat vorstellen wollen“, macht Deppendorf derweil Wort-Meter: „Vielleicht geht dem einen oder anderen der Gedanke durch den Kopf, ob man nicht hätte doch verschieben wollen sollen“. Häh? Wieso verschieben? Ausfallen, müssen. Und dann haben sie Wulff den Marsch geblasen. Das hat die ARD allerdings so prima ausgesteuert, dass man den Krach der Demonstranten kaum noch hören konnte.
Von hinten über das linke Ohr
„Das nächste Stück ist Over the Rainbow – Über dem Regenbogen“, wird erläutert und dass „der Sänger in dem Lied sich nach dem Traum dann was wünschen kann, tja“, macht Ulli Deppendorf. Und die Lippen von Christian Wulff umspielt ein ganz, ganz kleines Lächeln. Was man bei der ARD nicht so richtig sehen kann, weil sie den BuPrä immer so avantgardistisch von hinten über das linke Ohr zeigen. Was auch einen gewissen Erkenntniswert mit sich bringt: Christian Wulff war extra nochmal beim Friseur.
Dann wird es ganz absurd: Dass der Zauberer von Oz missbraucht wird, ist ja schon happig. Aber dass mit „Gewehr über“ ein Kirchentagslied wie „Zwischen Himmel und Erde“ militärmusikkompatibel verviervierteltaktet wird, ist dann wie vieles bei Christian Wulff: geschmacklos. Dann „wird’s ernst“, sagt jedenfalls der Herr Co-moderierende Oberleutnant. Und dass die Pfeifen und Trommeln für die Infanterie stehen und die Trompeten und Pauken für die Reitererei. Doch die ist heute gar nicht da, dafür, merkt Deppendorf scharfsinnig an, „heute sind noch die Vuvuzelas der Demonstranten draußen dazukommen, zu dem was eigentlich an einem stillen Ort stattfinden sollte“.
„Die Soldaten, die hier stehen, verteidigen auch diese Freiheit“, sagt darauf der Oberleutnant und es klingt ein bisschen trotzig. Dann kommt das Gebet, mit „Helm natürlich“, was immer ein bisschen wie 1933 aussieht, „auch das Gebet wird begleitet von den Protesten“, quatscht Deppendorff fast noch ins heiligste Ritual, was ihn dann doch ein bisschen sympatisch macht. Und dann ist fast fertig, und damit die ARD nicht wieder Bahnstrecken wie bei Zu Gutenbergs Zapfenstreich zeigen muss, darf Nico Fried von der Süddeutschen nochmal sagen, das nicht alles schlecht war, und dann ist wirklich Schluss.
Mal ehrlich: Da hätte doch eigentlich auch Gottschalk senden können, Christian Wulff hätte sich im Sesselchen fläzend nochmal zu rechtfertigen versucht und ein paar Quittungen von Sylter Hotels in die Kamera halten können. Vielleicht hätte Thommy dem Christian sogar erklärt, warum so viele Leute das so anders sehen als Bettina, der Herr Rossmann und er selber. Und wenn da unbedingt noch bengalische Beleuchtung sein musste, hätten es doch auch Wunderkerzen getan.
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