Mutmaßlicher Betrug mit Öko-Siegel: Pestizid-Erdbeeren als Bio verkauft
Aus der Türkei werden 40 Tonnen Tiefkühlware nach Deutschland geliefert. Dort stellt sich heraus: Die Früchte enthalten 25 verschiedene Ackergifte.
Daraufhin wurden die 4.000 Kartons mit je 10 Kilogramm der Früchte für die Vermarktung gesperrt. Das geht aus Unterlagen der EU-Kommission und beteiligten Unternehmen hervor, die der taz vorliegen. Die Erdbeeren sollten dem Importeur zufolge zum Beispiel Müslis, Früchtetees oder Snacks beigemischt werden.
Der Fall gehört zu „Opson VIII“. Das ist eine von den Polizeiorganisationen Interpol und Europol koordinierte Operation gegen irreführende und betrügerische Praktiken in der Lebensmittelbranche. Die verdächtige, im September angekommene Lieferung entspricht etwa 2 Prozent der gesamten deutschen Bio-Erdbeerernte von 2017.
Betroffen ist wieder einmal die Nürnberger Bio-Kontrollstelle Kiwa BCS. Sie hat den Lieferanten in der westtürkischen Provinz Izmir zertifiziert. Kiwa BCS hatte auch der Dubaier Handelsfirma Hakan Organics das Biosiegel verschafft. Dieses Unternehmen exportierte laut US-Landwirtschaftsministerium Anfang 2017 Zehntausende Tonnen konventionelle Sojabohnen und Mais aus der Ukraine beziehungsweise Rumänien über die Türkei in die Vereinigten Staaten. Lieferdokumente zeigten den Ermittlern zufolge, dass die Sojabohnen mit einem im Ökolandbau verbotenen Schädlingsbekämpfungsmittel behandelt wurden. Daraufhin ordnete das Ministerium in Washington an, das US-Biosiegel zu entziehen. Dagegen hat Hakan Widerspruch eingelegt, weshalb die Firma Anfang März noch zertifiziert war.
Importeur fand Pestizide
Nicht Kiwa BCS, sondern dem deutschen Importeur der Erdbeeren ist aufgefallen, dass die Ware offenbar nicht bio war. Er ließ die Früchte im Labor untersuchen, nachdem sie in Deutschland angekommen waren. Die Laboranten fanden die Pestizide.
Das Unternehmen verließ sich nicht auf den Bericht eines Hamburger Labors, den der türkische Exporteur vorgelegt hatte, wonach die Ware sauber war. Möglicherweise sind die Proben falsch gezogen worden – oder sie stammten gar nicht von den Erdbeeren, die dann nach Deutschland geliefert wurden.
Die EU-Kommission hat denn auch Kontrolleure im Visier: „Wir raten dringend, dass die Kontrollstellen nicht direkt in diese Untersuchungen involviert werden, weil sie (in einigen Fällen) Ziel der Aktion sind“, schrieb sie an die nationalen Aufsichtsbehörden. Auf eine Anfrage der taz antwortete eine Sprecherin der Kommission über den Fall nur: „Die Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat darauf reagiert und das Netzwerk gegen Nahrungsmittelbetrug benachrichtigt.“ In dem Netzwerk informieren sich die EU-Staaten bei solchen Vorkommnissen gegenseitig.
Fast nur Importware in Müslis
Weder Kiwa BCS noch Europol oder das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wollten sich auf Anfrage der taz zu der Sache äußern. „Das wird untersucht“, sagte eine Sprecherin der Kontrollstelle. Auch zu Vorwürfen wegen früherer Skandale nahm sie nicht Stellung. Der türkische Exporteur ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme unbeantwortet.
Der deutsche Importeur betonte, dass nur 2 Messwerte von Pestiziden in den Erdbeeren leicht über dem Orientierungswert des Bundesverbands Naturkost Naturwaren von 0,010 Milligramm Wirkstoff pro Kilogramm Produkt lägen. Manche Unternehmen recherchieren erst ab dieser Menge, ob gegen die Regeln für den Ökologischen Landbau verstoßen wurde oder ob die Chemikalien beispielsweise durch unvermeidbare Abdrift von konventionellen Feldern in die Bioware gelangt sind. Derzeit wird dem Importeur zufolge geklärt, ob die Ware als konventionell oder bio einzustufen ist.
Erdbeeren für Joghurt, Quark oder Müslis werden laut Agrarmarkt Informationsgesellschaft fast ausschließlich importiert. „Die Hauptmengen kommen aus Polen und dem Baltikum“, sagte Ökomarktanalystin Diana Schaack der taz. Kunden, die Wert auf regionales Essen legen, können solche Ware kaum vermeiden. Denn auf den Packungen geben die Hersteller die Herkunft dieser Zutaten meistens nicht an.
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