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In Russland ein Politikum

Putins Albtraum: Das Moskauer Elektronik-Duo IC3Peak spielte beim Berliner Festival CTM

Von Jens Uthoff

Es ist kein Halten mehr, irgendwann. Als Sängerin Nastja Kreslina mit ernstem Gesichtsausdruck, wirbelndem blondiertem Zopf vor dem Gesicht und in die Höhe gerecktem Mikrofon die Verse „Ich fülle die Augen mit Kerosin / auf dass alles brenne, auf dass alles brenne“ shoutet, da hüpfen und pogen mehrere hundert junge Männer und Frauen vor der Bühne; viele grölen die Zeilen mit. Hinter Laptop und Rhythmusmaschine dreht derweil Bandkollege Nikolai Kostilew an den Reglern, ein satter, dichter Basssound erfüllt den Festsaal Kreuzberg in Berlin.

Das russische Hip-Hop-/Elektronik-Duo ­IC3Peak ist erstmals zu Gast in Deutschland, am Donnerstag treten Kreslina und Kostilew vor rund 500 Besucher_innen im Rahmen des Avantgarde-Festivals Club Transmediale (CTM) auf. Man durfte sehr gespannt sein auf die beiden dunklen Gestalten, die in schwarze Kapuzenjacken gehüllt sind, denn in Russland ist ihre Kunst ein Politikum. Während der Tour zum neuen Album „Skaska““ („Märchen“, 2018) sorgten Inlandsgeheimdienst und Polizei kürzlich dafür, dass viele Konzerte abgesagt oder abgebrochen werden mussten. IC3Peak stehen im Fokus der von Wladimir Putin angekündigten härteren Gangart, die er gegenüber Rapmusikern fahren will, um, wie er sagt, den „Verfall der Nation“ zu stoppen. Er fürchtet ­IC3Peak wohl deshalb, weil sie das Potenzial haben, in Russland eine neue relevante Jugendkultur mitzubegründen: Ihre Videoclips werden millionenfach abgerufen und geteilt.

Im Konzert erschließt sich schnell, warum das Publikum – im Festsaal ist der Großteil unter 30 Jahre alt, viele Russinnen und Russen, mindestens genauso viele Frauen wie Männer – auf IC3Peak abfährt. Da ist auf der einen Seite der (Sprech-)Gesang und die Bühnenpräsenz Nastja Kreslinas, ihr müheloses Changieren zwischen straight gerappten Wortsalven und hohem Soprangesang – und da sind die tief tönenden, wenig komplexen, aber stets knallenden Beats Nikolai Kostilews. Beides zusammen hat Wums. Zudem sind die Songs eingängig, harte Parts und melodiöse Passagen wechseln sich ab. Während in den Videoclips die morbide Ästhetik eine tragende Rolle spielt, steht bei der Performance die Kraft des geschrienen, gerappten, gekreischten Worts im Vordergrund.

Meist werden IC3Peak dem Cloudrap-Genre – wie die jüngere Hip-Hop-Generation, die viel im Netz veröffentlicht, genannt wird – zugeordnet, aber da sind genauso Anteile von Hardcore-Techno, Gothic und Dark Wave. Ihre Texte treffen bei vielen jungen Leuten, die die national-orthodoxe russische Erzählung nur noch als Hohn begreifen, einen Nerv. Im Titelstück des neuen Albums etwa singt Kreslina übersetzt: „Ich bin aus einem schrecklichen russischen Märchen, ganz egal woher du kommst / Ich fürchte mich nicht vor dem Tageslicht, der Nebel reicht hier auch so schon“. Die Anziehungskraft, die die Ästhetik des Duos hat, ist im Publikum unübersehbar, man sieht viele weißlich geschminkte Frauen mit schwarzem oder rotem Lippenstift, einige Männer in Schwarz und mit ins Gesicht reichenden Tattoos, wie es in der Cloudrap-Szene angesagt ist. Neuer russischer Trap-Style.

Eine knappe Stunde tanzen diese Kids und shouten die Verse mit. Dann ertönt ein letzter harter Beat, ein letzter wütender Schrei, und das russische Märchen ist vorbei. IC3Peak treten wortlos von der Bühne. Sie haben aber auch alles gesagt.

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