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Die Geschichten der Susanne Neuffer„Meine Helden wollen nie nach Süden“

Erstaunlich unbemerkt von einem größeren Publikum schreibt die Hamburger Schriftstellerin Susanne Neuffer seit vielen Jahren wunderbare Geschichten

Hat zu schreiben begonnen, weil sie befürchtete, ihr könnten die Bücher ausgehen: Susanne Neuffer Foto: Frank Keil

Es gibt eine wunderbare Erzählung der Hamburger Schriftstellerin Susanne Neuffer, da geht es hoch hinauf in die norwegischen Berge, in eine Pension. Die Saison neigt sich dem Ende zu, der Winter kommt. Und so könnten der Wirt und seine einzige studentische Angestellte zusammenräumen, runterfahren ins Tal, wo auf ihn die Frau und die Kinder warten und auf sie eine Vorlesung über den Tourismus in der europäischen Literatur – eigentlich.

Doch noch sitzt ein Mann Tag für Tag in immer dem selben, aber noch halbwegs sauberen Pullover in der Gaststube vor einem Glas Bier. Drei schwedische Wanderinnen verschwinden gelegentlich in der Weite der Landschaft und auch der Linienbus kommt noch, wenn auch der Busfahrer längst nicht mehr aussteigt. Die Lawine, die all dem ein Ende bereiten könnte, will nicht kommen und so bleibt alles in der Schwebe. Bis sie gehen könnten, endlich! Aber wollen sie wirklich – da runter ins Tal?

„In diesem Jahr der letzte Gast“ heißt die Erzählung und so lautet auch der Titel ihrer letzten Versammlung von Erzählungen, die vielfach einen so beängstigenden wie auffrischenden Zustand variieren: Wir meinen, wir wüssten Bescheid über uns und das Leben, wir fühlen uns sicher und meist auch wohl in unserem Alltag – und dann bricht hier eine Ecke ab, dort öffnet sich ein Hohlraum, in den man hineinfallen und sogleich für immer verschwinden könnte. Nichts ist sicher, außer dass nichts sicher ist.

Alles andere als harmlos

„Jemand aus der Hamburger Literaturszene hat mir mal gesagt, ich sei zu harmlos und meine Geschichten seien zu harmlos, also würde das nichts mit mir werden“, sagt Susanne Neuffer und lächelt auf eine Weise verlegen, die ahnen lässt, dass sie für ein solches Urteil nur leisen Spott übrig hat und dass es ihr dennoch ein wenig Sorge bereitet. Was, wenn ihre erzählten Welten wirklich risikolos zu betreten wären?

Papperlapapp! Denn ihre Geschichten sind alles andere als harmlos. Sie sind im Gegenteil von einer untergründigen Sprengkraft; sie sind poetisch raffiniert ausgefeilt und zugleich sozusagen bitterkomisch und es ist ein kleines bis großes Rätsel, dass Neuffer als Autorin so wenig bekannt ist.

„Erst wollte ich Journalistin werden, aber dafür war ich nicht energisch genug, dann sah es kurz nach Wissenschaft aus“, erzählt sie aus den Tagen, als alles anfing. Es wird schließlich die Schule, eine Familie kommt hinzu, Kinder. Doch etwas hält sie am Schreiben, mal ein Gedicht, mal ein Beitrag für die Stadtteilzeitung. Es kommt der Tag, wo ihr auffällt, dass sich in ihrem bisherigen Leben ein ganz ordentlicher Stapel Geschriebenes gebildet hat, und sie bewirbt sich um den Hamburger Förderpreis für Literatur.

Den Preis bekommt sie erstmalig 1996, wobei sie ihn damals über das Preisgeld hinaus als eine besondere Ermutigung empfindet: Die Manuskripte müssen anonym eingeschickt werden, es wirkt nicht die Bekanntheit eines einreichenden Namens, es zählt nur die literarische Qualität. Das gefällt ihr bis heute.

Als sie sich anschließend auf den Weg zu einem Verlag macht, versucht sie es – wozu man ja angehenden Autoren stets rät – zuerst ganz oben: Hanser, Fischer, Suhrkamp. Und es folgen entsprechend die schnörkellosen Absagen. Doch schließlich meldet sich der Maro-Verlag zurück, nur zwei Wochen, nachdem sie diesem ihr Manuskript mit Lyrik zugesandt hatte. Ein sogenannter Kleinverlag aus dem fernen Nürnberg, bekannt bei Bukowski-Fans.

Faible für Männerliteratur

Dass sie ihrerseits auf Maro kam, lag wiederum an der Bücherhalle in Hamburgs bis heute wenig angesagtem Stadtteil Langenhorn, wo sie seit sehr Langem wohnt. „Dort gab es ein Regal mit dem Etikett ‚Männerliteratur‘, und das fand ich interessant, denn ich hab immer Jungsbücher gelesen.“ Sie findet in jenem Regal die bei Maro verlegte Lyrik Raymond Carvers, die die entscheidende Brücke schlägt.

Dass sie ein Faible für sogenannte Männerliteratur hat, ist wiederum ihren Cousins zu verdanken, die ihr, als sie mal als Kind krank war, eine Kiste mit Büchern vors Bett stellten: darin allerlei Abenteuerliches über Reisen durch die Mongolei, jede Menge Karl May, auch Coopers Lederstrumpf.

Zum Schreiben war es nur ein kleiner Schritt, und sie sagt jetzt den Satz, den viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller sagen, also parat haben: „Geschrieben habe ich schon immer.“ Nur in diesem Fall zunächst aus einer kindlichen Befürchtung heraus: „Ich dachte, die Bücher, die ich lesen könnte, würden nicht reichen, also fange ich schon mal an, selbst eines zu schreiben.“

Es gibt eine weitere, ganz wunderbare Geschichte, die vom Einbruch des Unverhofften wie Befürchteten in die gesicherte Wirklichkeit erzählt: diesmal über einen Mann, dessen Sohn nun erwachsen ist und der in einer WG wohnt, in einer anderen Stadt. Vater und Sohn verstehen sich gut, wie das heute durchaus normal ist.

Und so ist es keine Frage, dass der Sohn seinem Vater sein Zimmer in seiner gerade verwaisten WG überlässt, als dieser mal einen ruhigen Ort zum Arbeiten braucht. Er muss ein Gutachten über eine Frau schreiben, die in einem Supermarkt um sich geschossen hat, weil ihr alles zu viel wurde: dieser Supermarkt, die einkaufenden Leute, der Kapitalismus, das ganze blöde Leben – so viel noch mal zum Thema Harmlosigkeit.

Verwirrend hübsch

Jedenfalls: der Vater sitzt in der leeren WG-Wohnung, arbeitet ein bisschen vor sich hin, als überraschend doch jemand aus der WG auftaucht, eine Frau, jung und hübsch, so wie man eben hübsch ist, wenn man noch jung ist. Sie bittet ihn, ihr doch zu sagen, was sie zu einer Hochzeit passendes anziehen soll und sie wechselt flugs die Kleidung und bittet um seine Einschätzung. Keine Frage: Er will nichts von ihr, um Gottes Willen, nichts weniger als das! Doch auch als sie längst gegangen ist, ist sein Zustand der Verwirrung noch lange nicht ausgestanden.

„Meine Personen gehen nicht unter, sie siegen aber auch nicht, sie arrangieren sich auf ihre Weise mit der Realität“, sagt Susanne Neuffer. Wobei ihr quasi als Beobachtungsmaterial – zunächst für die Andeutung eines Dramas und dann dessen vorsichtig-genaue Ausschmückung – kleine Alltagsmomente, oft aber auch nur Orte und manchmal beide dienen: „Da saß mal in Langenhorn ein Geiger und geigte verzweifelt vor sich hin, und niemand wollte ihn hören, und dann war er wieder weg.“

Das reichte? Das reichte. „Wo ist er hin und was ist mit ihm passiert? Das hat mich beschäftigt“, sagt sie. Und sie verknüpft die Geschichte dieses Geigers mit der Geschichte einer Frau, die sich den so kläglich fiedelnden Geiger mit aller Kraft wegwünscht, die nach Norden will, nach Finnland, wo ihr der Geiger – wenn auch in ganz anderer Form – wiederbegegnen wird. „Meine Helden wollen nie nach Süden“, sagt Susanne Neuffer.

Ein Lyrikband, zwei Erzählbände sind so zusammengekommen, ein Roman auch: „Schnee von Teheran“, der von einer Lehrerin erzählt, die während der Sommerferien auszieht, reale, mit der Hand zu fassende Arbeit wiederzufinden. Viel Kraft habe es gekostet, die Erzählstränge zusammenzuhalten; zugleich sei es für sie sehr wichtig gewesen, genau diese Arbeit zu leisten.

In Brechts Arbeitszimmer

Sie sagt: „Meine Kraft reicht für die Kurzgeschichte, vom ersten scheußlichen Entwurf an.“ Sie sagt: „Wenn das ein fremder Text wäre, der da vor mir liegt, würde ich gar nicht weitermachen, aber ich mache ja weiter. Und dann bekommt er durch die vielen Überarbeitungen langsam eine Form.“ Wochen dauere es, bis eine Geschichte fertig ist. Acht, zehn, zwölf Überarbeitungsdurchgänge seien normal.

Und manchmal wird ein Text auch dadurch fertig, dass sie ihn für einen Wettbewerb losschickt, durchaus mit Erfolg: 1999 Bettina-von-Arnim-Preis, 2007 Walter-Serner-Preis, 2011 MDR-Literaturpreis. Und 2014 folgt erneut der Hamburger Förderpreis. Für Nachschub ist gesorgt: „Ich habe einige Geschichten, die rumliegen und die mich beunruhigen.“ Wobei liegenlassen zuweilen helfe.

Gerade hat sie ihre Lyrik der vergangenen Jahre gesichtet, im dänischen Svendborg, in Bert Brechts einstigem Arbeitshaus, dank eines Residenzstipendiums der Hamburger Kulturbehörde, mit Blick aus Brechts Zimmer auf den Sund und die Fähren, die dort im Stundentakt durchs Wasser stampfen.

Es sei großartig gewesen, sagt Neuffer. Sie könne es nur empfehlen, vier Wochen habe sie wunderbar arbeiten können: „Es war wie ein Klosterleben, man sollte da niemanden mit hinnehmen, der Aufenthalt dort wäre sofort sinnlos.“ Und dann sitzt sie noch mit einem jungen Drehbuchautor an einem Projekt, bei dem noch nicht verraten werden kann, worum es geht.

Überhaupt ist Film etwas, das sie sehr reizt. „Ich wünsche mir, dass Andreas Dresen mal eine meiner Kurzgeschichten verfilmt“, sagt sie. Und wieder ist da dieses leichte Schwanken zwischen solidem Selbstbewusstsein und der Sorge, dass das vielleicht nichts werden könnte. Dabei sprühen ihre Geschichten doch Satz um Satz von einer skurrilen Lebendigkeit, zu der eine gekonnte filmische Umsetzung gut passen könnte.

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