Journalist über Mafia-Berichterstattung: „Ich gewinne leider nie“
Claudio Cordova ist Chef der Netzzeitung „Il dispaccio“ in Reggio. Im Interview spricht er über die Risiken für investigative Journalisten im „Kriegsgebiet“.
taz: Herr Cordova, mit Ihrer Webzeitung il dispaccio sind Sie selbständiger Journalist in Reggio Calabria, das Sie ein „Kriegsgebiet“ nennen. Wie kamen Sie zu dieser spezifischen Art, Ihren Beruf auszuüben?
Claudio Cordova: Als Journalist arbeite ich, seit ich 18 Jahre alt bin. Bis Dezember 2011 war ich für lokale Medien tätig, immer investigativ auf dem Sektor, der sich in Reggio aufdrängt: organisierte Kriminalität, Ndrangheta. Bei einem dieser Medien wurde ein Beitrag von mir von der Website gelöscht. Es ging um einen Lokalpolitiker und seine Verbindungen zur Ndrangheta. Daraufhin habe ich 2012 il dispaccio gegründet. Ich wollte meinem eigenen moralischen Kompass folgen. Über den Inhalt des gelöschten Artikels habe ich später ein Buch geschrieben – und wurde nicht verklagt: Weil ich die Wahrheit gesagt habe und die Beweise hatte.
Wie funktioniert il dispaccio?
Kalabrien ist arm, viele Zeitungen mussten schließen, die Leute zahlen nicht für Information. Es gab also keine Alternative zu Online, zur Multimedialität, zur Verbreitung über die sozialen Netzwerke. Wir finanzieren uns ausschließlich über Werbung, akzeptieren keine öffentlichen Gelder. Denn genau da sind wir mitten im Problem: Es gibt in Kalabrien keinen öffentlichen Bereich, für den man ausschließen kann, dass die Ndrangheta mitmischt. Da wir aggressiv sein wollen, können wir das nicht machen.
Aber ist der private Sektor, der dann Werbung schaltet, nicht ebenso mafiaverseucht?
Klar ist , dass wir nicht mit Firmen zusammenarbeiten, gegen die ermittelt wird. Aber unsere Anzeigenabteilung recherchiert auch intensiv, ob Kunden, gegen die nichts vorliegt, zu uns passen oder nicht. Die mafiösen Firmen suchen wir erst gar nicht, und sie suchen uns auch nicht unbedingt, weil wir kein Umfeld bieten, in dem sie sich wohlfühlen.
Aber es wäre nicht das erste Mal in Kalabrien, dass die Ndrangheta eben ein sauberes Umfeld unterwandert.
Es ist uns noch nicht passiert. Aber wir bleiben sehr vorsichtig. Die Ndrangheta ist in erster Linie ein Beziehungsgeflecht. Die Anzeigenabteilung muss deswegen bei jedem Kunden Rücksprache halten mit der Redaktion, nicht was die Preise angeht, sondern die mögliche Verwicklung mit der Organisierten Kriminalität. Und wir haben dann auch schon laufende Verhandlungen abgebrochenen. Es lag nichts Konkretes vor, aber wir haben lieber das Geld verloren als ein Risiko einzugehen. Was uns hilft, ist, dass Kalabrien weniger als zwei Millionen Einwohner hat, und wir sehr gut vernetzt sind. Man weiß also normalerweise, mit wem man es zu tun hat.
geboren 1986, lebt und arbeitet als Journalist in Reggio/Calabria. Seit 2014 ist er Berater der Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments. 2010 erschien sein Buch „Terra Venduta – Così uccidono la Calabria” über die illegale Entsorgung von radioaktiv verseuchtem Abfall in Kalabrien.
Wie viele Visits hat il dispaccio?
Wir haben durchschnittlich 25.0000 bis 30.000 Besuche am Tag, mit erreichten Spitzenwerten bei 70.000.
Wie viele Leute leben von der Arbeit bei il dispaccio?
Wir sind ungefähr zehn Leute, die an den Redaktionssitzungen teilnehmen. Die Hälfte davon etwa übernimmt auch redaktionelle Aufgaben, die anderen sind Autoren. Träger von il dispaccio ist ein Kulturverein, der auch Bücher herausgibt und Konferenzen organisiert. Derzeit konzentrieren wir uns aber auf die Webzeitung.
Sind die Beschäftigten krankenversichert?
Nein, darum müssen sie sich selbst kümmern.
Was bedeutet „investigativ“ genau in Bezug auf die Ndrangheta?
Es geht schlicht darum, das aufzudecken, was andere im Verborgenen halten wollen: Den grauen Sektor aufzuklären, wie wir hier sagen. Der militärische Arm der Ndrangheta, also der, von dem man meistens in den Nachrichten hört, ist in den letzten Jahren durch Justiz und Polizei unter Druck geraten. Das muss weitergehen, aber wir zielen auf die Verbindung mit den gesellschaftlichen Eliten. Denn ohne die wäre die Ndrangheta einfach eine Bande von Mördern, Erpressern und Dealern geblieben.
Werden Sie bedroht?
Alle fragen das immer, nicht nur im Ausland. Und die Antwort ist ja. Aber die „physische“ Bedrohung ist nicht entscheidend. Man versucht uns zu isolieren und diffamieren. Seit ich il dispaccio mache, wurde ich auf über eine Million Euro Schadenersatz verklagt – und nie verurteilt. Aber diese Sachen kosten Kraft, Zeit und Geld, es ist wie beim Fußball: Mein bestes Ergebnis ist ein Unentschieden, ich kann leider nie gewinnen.
Was in Reggio auffällt, ist, dass es zahlreiche Einzelne gibt die sich, in Verbindung mit Justiz und Polizei, gegen die Herrschaft der Ndrangheta stemmen. Aber es gibt keine breite Bewegung in der Bevölkerung, die das trägt, richtig?
Es gibt keine Zivilgesellschaft hier. Die Leute haben das Vertrauen in den Staat verloren und suchen nach Symbolen. Eines der schlimmsten Dinge in Reggio ist, dass auch die guten Leute Angst haben, miteinander zu verkehren, weil man nie sicher sein kann, ob der andere nicht doch zu den Bösen gehört.
Wie soll es mit il dispaccio weitergehen?
Meine Idee ist es, aus il dispaccio eine große Online-Zeitung für Süditalien zu machen. Das dauert aber noch mindestens fünf Jahre. Um zu vermitteln, dass es eben die Mafien sind, die den Süden nicht vorankommen lassen. Mafia ist Korruption – und hat nichts mit Folklore zu tun.
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