Nachfolge von Joachim Gauck: Die Taktiererei beginnt
Wer soll nächster Bundespräsident werden? Alle wollen mit allen sprechen (nur nicht mit der AfD), aber die Lager sortieren sich bereits.
Was im ersten Moment banal klingt, ist eine Botschaft: Merkel will versuchen, sich mit anderen Parteien auf einen Kandidaten zu einigen. Schließlich folgt nur wenige Monate nach der Bundespräsidentenwahl im Februar die Bundestagswahl im September – die Suche nach Kandidaten folgt also auch der Frage: Wer will zukünftig mit wem koalieren?
Offiziell wollen weder Merkel noch ihre Parteispitze über geeignete Kandidaten sprechen: „Aus Respekt“ vor dem Amtsinhaber, hieß es am Montag von Mitgliedern der Unionsspitze.
Merkel hat Zeit und verschiedene Optionen: Sie könnte einen Kandidaten präsentieren, der für die Grünen tragbar ist, um den Wunsch nach einer schwarz-grünen Koalition zu signalisieren, oder jemanden, den die SPD unterstützt. Wahrscheinlich ist: Sie sucht jemandem, der für beide Parteien akzeptabel ist. Oder sie setzt auf eine UnionskandidatIn, der oder die im dritten Wahlgang durchkommt. So hielte sich Merkel für die Bundestagswahl alles offen.
Union für Lammert. Und die SPD?
Trotzdem dringt der Name eines Wunschkandidaten durch: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Er genieße „großen Rückhalt“, sagt Christian Baldauf, CDU-Vorstandsmitglied. Auf einem Treffen der Unions-Fraktionsführungen der Länder hätte er sich bereits als Konsenskandidat abgezeichnet – auch bei der CSU.
Aktuell: Die Bundesversammlung wählt am 12. Februar 2017 den Bundespräsidenten. Derzeit sind elf Parteien in ihr vertreten, so viele, wie seit 1949 nicht mehr. Die endgültige Zusammensetzung wird aber erst nach einer erneuten Volkszählung und den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin klar.
Generell: Sie besteht je zur Hälfte aus Bundestagsabgeordneten und aus Entsandten der Landesparlamente. Von den 1.260 Mitgliedern der Bundesversammlung ist im ersten und zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit, also 631 Stimmen, nötig. Sollte es zu einem dritten Wahlgang kommen, würde eine relative Mehrheit ausreichen.
Rechnerisch: Derzeit gäbe es eine Mehrheit für einen gemeinsamen Kandidaten von CDU/CSU/SPD, aber auch von Schwarz-Grün. Für eine rot-rot-grüne Mehrheit würde es knapp werden, mit Beteiligung der Piraten würde man allerdings das Quorum erreichen.
Und wie sehen das Grüne und SPD? No comment. Beide Parteien werden bereits von der Linkspartei unter sanften Druck gesetzt. Eine halbe Stunde nach dem Rücktritt Joachim Gaucks erneuert die Linke zackig ihren Vorschlag vom Wochenende: Die Partei stünde zu einer Verständigung mit SPD und den Grünen über einen gemeinsamen Kandidaten bereit, erklären die Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Auf Nachfrage heißt es: Das Angebot sei völlig ernst gemeint.
Zumindest bei linken SPDlern stößt der Vorschlag auf positive Resonanz, bietet er doch die Gelegenheit, das tot geglaubte Projekt Rot-Rot-Grün für 2017 wiederzubeleben. „Rot-Rot-Grün hat derzeit eine parlamentarische Mehrheit und die sollten wir nutzen“, meint etwa die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die auch das Forum demokratische Linke in der SPD, DL21, vertritt. Sie glaubt, dass einE gemeinsame KandidatIn des linken Lagers eine breite Unterstützung in der eigenen Partei finden könnte – gerade auch in Abgrenzung zum derzeitigen Koalitionspartner.
In den Reihen der Grünen ist man weit weniger enthusiastisch und nicht erbaut darüber, dass die Linke vorgeprescht ist. Parteichefin Simone Peter, die den linken Flügel vertritt, gibt am Montag nur knapp bekannt, dass Hektik oder vorschnelle Personalvorstellungen jetzt nicht zielführend seien.
Tatsächlich spielt die Zeit für die Grünen. Je näher die Bundestagswahl rückt, desto schwieriger wird es für Union und SPD, einen gemeinsamen Kandidaten zu finden, umso gefragter werden die Grünen als Mehrheitsbeschaffer. „Die beiden großen Parteien werden auf uns zukommen und wir werden mit allen sprechen, außer der AfD“, meint Peters selbstbewusst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus