Prosa von Social-Media-Robotern: Der Bot in meiner Timeline
Bots sind Twitter-Accounts, bei denen ein Programm die 140 Zeichen generiert. Einige kommen äußerst kreativ und politisch daher, andere nicht.
„Die klassische Fliegerjacke liegt im Trend. Sie sagt: Wir sind emporgeflogen, so hoch wir können, und jetzt, wie Satan, fallen wir“ (@KimKierkegaard).
Was soll das denn heißen? Ganz einfach: Diesen Tweet, der da in der Timeline auftaucht, hat kein normaler User verfasst, sondern ein Bot.
Das sind Accounts, bei denen kein Mensch hinter der Tastatur sitzt, sondern ein Programm automatisch die 140 Zeichen generiert. @KimKierkegaard, der Tweets von Kim Kardashian mit Aussagen des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard kombiniert, hat mittlerweile ganze 210.000 Follower – das ist in etwa die Hälfte der Follower, die auch Jan Böhmermann hat. So mancher Bot dürfte damit auf Twitter relevanter sein als die meisten menschlichen Nutzer_innen.
Twitter-User begegnen solchen Bots schon jetzt täglich auf der Plattform. Verbirgt sich hinter einem Account ein Mensch oder eine Maschine? Das ist manchmal gar nicht so leicht zu sagen. Twitter selbst schätzt den Anteil der Bots an den 310 Millionen aktiven Nutzer_innen mittlerweile auf rund 5 Prozent.
Auch die taz nutzt einen solchen Bot, der Beiträge zur Flüchtlingsdebatte automatisch retweetet, also erneut veröffentlicht. Das erspart Arbeit und ist praktisch. Daneben gibt es aber immer mehr Bots, die keinen offensichtlichen Nutzen haben. Eine unsinnige Spielerei, könnte man denken. Dahinter steckt aber vielmehr die Frage, wie Medien funktionieren und genutzt werden.
News aus der Zukunft
Einen dieser Bots betreibt der Berliner Autor und Künstler Gregor Weichbrodt. Sein @futur_news setzt Schlagzeilen aus der „Tagesschau“ ins Futur und verfremdet schwarz-weiße Bilder der Nachrichtensprecher_innen. Wenn Jan Hofer und Co dann verkünden: „Die Bundesregierung wird den Wechsel an der Spitze des Bundesnachrichtendienstes bestätigen“, wird die „Tagesschau“ zur seltsam beklemmenden Nachricht aus der Zukunft.
Weichbrodt ist fasziniert von der stets neutralen Haltung der Nachrichtensprecher_innen. „Aus einer anderen Perspektive kippt diese reduzierte Vortragsweise ins Rohe, zum Beispiel wenn über einen Terroranschlag berichtet wird, der Ton aber derselbe ist, als ginge es um die Börse“, sagt Weichbrodt. „Ich wünsche mir manchmal, die Nachrichten mit derselben Zurückhaltung aufnehmen zu können, mit der Jan Hofer sie verkündet.“
Die Idee hinter @futur_news war konzeptionell: „Wenn die Nachrichten darüber berichten würden, was passieren wird, anstatt, was bereits passiert ist, entsteht gefühlter Handlungsspielraum.“ Ob das angesichts der täglichen Nachrichtenflut positiv ist oder noch mehr überfordert, da ist er sich selbst nicht ganz sicher.
So wie @futur_news greifen viele Bots alltägliche Tweets und Nachrichtenelemente auf und verwerten sie neu. Sie remixen, verfremden und stellen sie in einen neuen Kontext. Dabei filtert das Programm nicht, sondern ahmt die Mediensprache lediglich nach, ganz wertfrei.
Sensationalismus und Objektivität
Auch der Programmierer und Internetkünstler Darius Kazemi verfährt gern nach diesem Muster. Er hat mittlerweile über 30 Twitter-Bots erstellt. Ähnlich wie @futur_news spielt sein beliebter @TwoHeadlines mit dem Wesen der Nachrichtenwelt. Er fügt ganz einfach zwei unterschiedliche Überschriften von Google News zusammen. Das Ergebnis sind dann Cut-up-Gebilde wie „Die Stadt Baltimore wird Ubers erstes weibliches Vorstandsmitglied“ (@TwoHeadlines).
„Das ist vielleicht mein lustigster Bot“, schreibt Kazemi auf seiner Webseite. Er bedient sich ganz einfach der Sprache der Nachrichtenwelt inklusive Sensationalismus und vermeintlicher Objektivität und legt damit die Wirkungsweise von Medien frei. Die User fragen sich: Was glauben und was nicht? Und stellen damit selbst die Wahrheitshoheit der Medien infrage.
Ähnliches geschieht auch mit der eigenen Timeline. „Twitter ist immer voll mit Leuten, die Unmengen an wichtigen und weniger wichtigen Dingen posten“, sagt Weichbrodt. Zu oft werden diese Tweets dann zu ernst genommen. „Wenn dann zwischendurch ein Bot in der Timeline auftaucht und einem irgendeinen Quatsch unterjubelt, wird das ausgehebelt.“
Dieser Mechanismus funktioniert auch auf einer persönlichen Ebene. Einige der Bots nehmen Tweets anderer Nutzer_innen und stellen damit die seltsamsten Dinge an. Der Bot @ProfJocular von Darius Kazemi etwa stellt ihnen willkürliche Witzkategorien wie „Gefängniszellen-Witz“ voran – auch wenn der Tweet eigentlich ernst gemeint ist. Wenn das mal nicht die Twitter-User verärgert, die sich selbst und ihr Social-Media-Profil ansonsten so ernst nehmen!
Jede Menge Müll
Im März zeigte der von Microsoft mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Chatbot „Tay“ aber, wie die Aneignung anderer Tweets auch ausarten kann. Auf Twitter sollte Tay eigentlich von anderen Nutzer_innen lernen, wie junge Menschen kommunizieren. „Je mehr ihr mit ihr sprecht, desto klüger wird sie“, versprach Microsoft.
Tatsächlich lernte Tay vor allem, Hitler-Vergleiche zu ziehen, den Holocaust zu leugnen und Feministinnen zu beschimpfen. Schon nach wenigen Stunden musste das Experiment abgebrochen werden und Tay „schlafen“, das heißt offline gehen. Aus Sicht der Entwickler_innen ist das Projekt gescheitert. Tatsächlich entlarvte der Bot das Kommunikationsverhalten vieler Twitter-Nutzer_innen.
Die riesige Resonanz auf Tay zeigt, warum sich gerade Twitter als Plattform für Medienkritik dieser Art eignet: Es ist ein Massenmedium, in das jede_r individuell eingreifen kann. „Damit erreicht man relativ einfach viele Leute“, so Weichbrodt. Die Twitter-Bots funktionieren als Medienkritiker auch deshalb so gut, weil sie eben Teil dieser Medien sind. Indem sie ihre eigenen Produktionsbedingungen reflektieren, reflektieren sie auch die Mechanismen hinter Nachrichten und Twitter.
Während Twitter-Bots in Deutschland noch ein neues Phänomen sind, gibt es im englischsprachigen Bereich schon eine ganze Community, die an immer neuen Ideen arbeitet. Kunst ist das aber nicht unbedingt, findet Weichbrodt. „Eine Maschine kann nie kreativ sein, sie kann nur simulieren, aber das immer besser“, sagt er mit Verweis auf die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz. „Das Unberechenbare macht für mich Kreativität aus“. Bots aber führen lediglich stur aus, worauf sie programmiert wurden. Hinter jedem Bot steckt noch immer ein_e Programmierer_in, die wahren kreativen Köpfe.
Gregor Weichbrodt jedenfalls hat schon wieder neue Ideen. „Dass @futur_news am Ende ein Bot geworden ist, war nicht geplant. Vielleicht mache ich daraus noch etwas anderes.“
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