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Gqom-Musik aus SüdafrikaTownships calling

Zwischen House und Breakbeat: Der südafrikanische Dancesound Gqom ist in Europa angekommen. Aber es geht um mehr als nur Party.

Das Cover von „Gqom Oh! The Sound Of Durban Vol. 1“ Foto: Cargo

Ein Synthesizer-Ton schwebt bedrohlich im Hintergrund. Darüber schubsen sich digitale Drums gegenseitig an. Mit jedem in gebrochenem Takt hadernden Schlag der Bassdrum sacken die restlichen Klänge zusammen, werden abgesaugt in ein dunkles Loch, um sich im nächsten Moment wieder aufzupumpen. Der Track „Gunz & Soulz“ von Julz Da Deejay entwickelt eine eigenartig drückende wie schwerelose Wellenbewegung. Sein Stück findet sich auf „Gqom Oh! The Sound of Durban“, der ersten umfassenden Compilation auf einem europäischen Label, die ein tolles neues elektronisches Musik-Genre vorstellt: Gqom.

Gqom, was „Gom“ ausgesprochen wird, rumort seit 2011 in Südafrikas östlicher Küstenstadt Durban. 2014 hat die Musik erstmals Europas Tanzflächen erreicht, vor allem in Großbritannien. Dank ihrer rhythmischen Vielfalt lassen sich Gqom-Tracks zwischen House und Breakbeat bestens in den Fundus britischer Rave-Geschichte einfügen. So brachte das Londoner Label Goon Club Allstars 2015 eine EP der Rudeboyz aus Durban heraus. Auf Fotos in sozialen Netzwerken präsentierte das Trio daraufhin stolz die erste Gqom-Schallplatte überhaupt. Dass ihre Musik auf Vinyl aus England nach Südafrika reimportiert wurde, mag seltsam anmuten.

Je nach Übersetzung bedeutet „Gqom“ Trommel, Lärm, Eimer oder Musik – im Zentrum stehen hypnotisierend repetitive Drumbeats. Vorreiter wie der 21-jährige DJ Lag oder der 26-jährige Sbucardo beschreiben Gqom auch als „3 Step“. Statt durchgängig auf jede Zählzeit des 4/4-Taktes eine Bassdrum zu setzen, pulsieren bei Gqom drei Schläge im geraden Gerüst. Hopsend und gleichzeitig schlurfend schieben sich die Drum-Percussion-Polyrhythmen aus den Boxen. Dazu kommen gesampelte Zwischenrufe und düstere Synthesizerteppiche. Melodien sind Mangelware.

Gqom gilt als Soundtrack der Townships, jener Ghettosiedlungen, die während der Apartheid gebaut wurden, um die rassistische Segregation voranzutreiben. Die Folgen des Rassismus wirken bis heute, berichtet DJ Lag. „Junge Schwarze sind vor viele Herausforderungen gestellt. Armut, Arbeitslosigkeit und fehlende Möglichkeiten, aufs College zu gehen, bereiten Probleme. Davor bin ich zu Gqom geflüchtet.“

Die Alben

Various Artists: „Gqom Oh! The Sound Of Durban Vol. 1“ (Gqom Oh!/Cargo);

DJ Lag: „DJ Lag EP“ (Goon Club Allstars/Cargo), erscheint demnächst

Viele Protagonisten sind männlich, worauf die Worte „boy“ oder „boyz“ in den Pseudonymen hinweisen. Dass der Stil in Townships floriert, erklären Rudeboyz damit, dass dort unterschiedlichste Leute aufeinandertreffen und Musik ständig präsent ist. „Townships entwickeln am Wochenende Partygeist. Die Häuser werden zu Nachtclubs, seit Anfang der 2000er boomen Tavern Bars, kleine Kneipen. Die Leute bleiben lieber in den Townships, wenn sie eine gute Zeit haben wollen, und fahren nicht in die Innenstadt. Die Straßen sind voller Menschen und Autos, die laute Musik spielen. Townships sind Party-Nationen.“

DJ Lags Weg zur Musik ist beispielhaft, wie Keorapetse Mefane alias Khura erklärt. Er hat die Booking-Agentur Boldpage Entertainment gegründet, um zusammen mit Gleichgesinnten wie DJ Lag oder der auch selbstständig arbeitenden PR-Beraterin Cherish LaLa Mankai lokale Strukturen zu schaffen.“

Die, die Zugang zu Laptops haben und anfangen, mit Musik-Software zu experimentieren, dürfen sich glücklich schätzen. Sie sollen wissen, dass das Potenzial hat, ihr Leben positiv zu verändern. Ich glaube, dass unsere Communitys von Gqom profitieren. Wenn man sich um die Musiker kümmert, können sie Vorbilder werden, und die, die nach ihnen kommen, werden einen leichteren Weg vor sich haben.“

Von Handy zu Handy

Es geht aber auch darum, dass die Produzenten schon heute von ihrer Musik leben können. Gqom-Tracks werden per WhatsApp von Smartphone zu Smartphone geschickt und auf Plattformen wie Data File Host oder Kasimp3 hochgeladen und sind frei verfügbar. Bei Kasimp3 sollen die Uploader zwar an Werbeeinnahmen beteiligt werden. Die versprochenen Zahlungen blieben allerdings aus, resümiert Khura. Und damit fehlt die Möglichkeit für die Produzenten, etwas mit ihrer Musik zu verdienen. Die Tracks sind weit verbreitet, für den Alltag der DJs und Produzenten in Durban ändert das bislang leider nichts.

Kasimp3 bereitete auch den Einstieg für Francesco Cucchi alias Nan Kolè, der für die Compilation „Gqom Oh! The Sound of Durban“ verantwortlich zeichnet. Kurz nachdem er das erste Mal das Netz durchforstete, stieß er auf Gqom-Tracks. Inzwischen ist er von Rom nach London umgezogen und betreibt das Label Gqom Oh!, mit dem er die Verbreitung der hypnotischen Tracks fördern möchte. Durch Lerato Phiri, Mitgründerin des Labels und in Südafrika wohnhaft, entstand Kontakt zu den Produzenten in Durban.

Der raue und rohe Klang ist den einfachen Produktionsmitteln geschuldet; dass die Stimmung trotzdem kraftvoll und düster ist, beeindruckt Cucchi. Es sei „apokalyptische riot-Musik“. Ein Sound, der den Wunsch der Kids aus den Townships nach Veränderung ausdrückt. „Gqom ist keine politische Bewegung per se, aber die Musik klingt, als ob die Teenager versuchen, darin zu zeigen, was sie erleben.“

Für die Produzenten und ihre UnterstützerInnen geht es auf jeden Fall um mehr als nur um Party. Sie wollen Gqom als Kultur etablieren, die nicht nur in Europa Wellen schlägt, sondern auch zu Hause in Südafrika Wertschätzung erfährt. Auch in finanzieller Hinsicht, so dass sie davon leben und durch Gqom ihre Leben verändern können, wenn sie wollen.

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